Die Erde wird sich im Durchschnitt über 4 Grad erwärmen. Durch Hitze, Dürren und Überschwemmung werden einige Gegenden der Welt unbewohnbar sein. Die Menschen werden fliehen müssen. Ja, es ist ein dystopisches Bild, das die Wissenschaftsjournalistin Gaia Vince in ihrem Buch "Das nomadische Jahrhundert" zeichnet. Aber sie vermittelt darin auch eine optimistische Zukunftsvision.
Es ist provokant und auch unbequem, dass sie dabei die beiden größten Herausforderungen unserer Zeit in einem Gedankenspiel miteinander verbindet: Migration und die Klimakatastrophe. Vince zeigt sachlich fundiert anhand von wissenschaftlichen Projektionen, was uns erwartet, wenn es uns nicht zeitnah gelingt, den Ausstoß von Treibhausgasen drastisch zu reduzieren. Große Teile der Welt würden durch die Folgen des menschengemachten Klimawandels unbewohnbar.
Die Menschen, so argumentiert Vince, reagierten darauf so, wie sie es immer schon getan haben: Sie setzten sich in Bewegung, um zu lebensfreundlicheren Gegenden zu gelangen – in einem noch nie dagewesenen Ausmaß. Und diese Bewegung habe bereits begonnen und werde sich in den nächsten Jahrzehnten noch verschärfen.
Was zunächst sehr bedrohlich klingt, wertet Vince jedoch als Chance, wenn es gelingt, Migration gezielt zu lenken und zu planen. Dafür braucht es natürlich entsprechende globale politische Maßnahmen. Denn, dass Migration derzeit ein politisch sehr aufgeladenes Thema mit großem destruktiven Potenzial ist, davor verschließt Gaia Vince die Augen auch nicht.
Herausfordernd und horizonterweiternd
Zugegeben, nicht jede oder jeder wird Vince in ihrer Argumentation folgen, dass Rassismus, Fremdenhass und Nationalismus nicht in erster Linie aus der Angst vor dem Fremden entstehen, sondern durch eine ungerechte Verteilung von Ressourcen, Entwicklungschancen und Möglichkeiten, die zu einer Spaltung von Gesellschaften führen – auch wenn sie diese mit Fakten untermauert.
Ein weiterer großer Gedankenschritt wird von den Lesenden verlangt, wenn die Autorin ihre Vision von Migration entfaltet. Sie erschließt verschiedene Zukunftsszenarien und legt dar, wie internationale Zusammenarbeit und offene Grenzen zu einer Lösung und nicht zum Problem werden könnten. Doch lässt man sich auf ihre Argumente ein, kann dies sehr horizonterweiternd sein.
Gaia Vince ist es in diesem Buch gelungen, dramatische Fakten mit einer optimistischen Vision zu verbinden. Es ist ein wichtiges Buch zu zwei wichtigen Themen, das auch komplexe Zusammenhänge gut verständlich vermittelt. Es ist ein Buch, das erschreckt und trotzdem Hoffnung macht. Wirklich jede*r sollte es lesen.
Das nomadische Jahrhundert, Gaia Vince, Piper Verlag, ISBN: 978-3-492-07259-5
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