Der Blick, mit dem uns Amir anschaut, während er von seinem Leben erzählt, ist der eines Mannes, der schon viel gesehen hat. Auch sein flaumiger Dreitagebart und seine Ernsthaftigkeit, wenn er überlegt, wie er auf unsere Fragen antworten soll, lassen ihn erwachsen erscheinen. Doch Amir ist gerade erst volljährig geworden, fast noch ein Kind.
Lustige Locken, ein bedrucktes T-Shirt, viele Träume. Er ist als sogenannter unbegleiteter, minderjähriger Geflüchteter nach Deutschland gekommen. Er ist ein UMA, wie es in der Fachsprache heißt. 2022 ist er aus dem Iran nach Deutschland gekommen. Er lebt seitdem in einer Wohngruppe der Hephata Diakonie.
Nahe dem Bahnhof in der 13000-Einwohner-Gemeinde Usingen im Hochtaunus leben hier in drei Häusern Geflüchtete. Die meisten von ihnen sind noch Kinder und sie sind allein aus ihren Ländern nach Deutschland geflohen.
Wir schreiben oft über die Fluchterfahrungen und -wege von Menschen aus dem Iran, Afghanistan und auch aus arabischen Ländern, und als Journalist:innen, die selbst geflohen sind, wissen wir, wie ermüdend die Fragen sein können und wie anstrengend es ist, immer und immer wieder die schrecklichen Ereignisse zu erzählen. Zudem gehen wir davon aus, dass auch Sie, liebe Leser:innen Ihre eigenen Erfahrungen haben. So soll es in diesem Artikel nicht darum gehen, warum Amir den Iran verließ und was er auf dem Weg nach Deutschland durchgemacht hat. Es soll darum gehen, was er seitdem erlebt hat. Wie geht es ihm in Usingen?
Besonderer Schutz
Es ist nicht leicht, Interviews mit unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten zu vereinbaren. Sie stehen unter besonderem Schutz und oft haben ihre gesetzlichen Vormünder Bedenken, sie mit Journalist:innen sprechen zu lassen. Es ist also etwas Besonderes, dass wir Amir treffen können.
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Schon als wir die Haustür des Wohnheimes aufdrücken, bemerken wir, dass dies auch ein besonderer Ort ist. Man bekommt sofort das Gefühl, willkommen zu sein. Wie inmitten einer Familie, wo man Ruhe und Wärme eines gemeinsamen Lebens deutlich spüren kann. In der Küche wird das Mittagessen vorbereitet, und der Duft nach Gemüse und Reis lässt das Wasser im Mund zusammenlaufen. Das Haus hat drei Stockwerke. Jugendliche und junge Erwachsene aus Deutschland, Somalia, dem Iran und Afghanistan leben hier .
Amir trifft uns in einem gemütlichen Aufenthaltsraum. Er begrüßt uns freundlich. Auf dem Tisch stehen Olivenbrot und Wasser für uns bereit.
Wie hast du das geschafft?
Aber zurück zum Anfang. Wie war es für ihn, als er zuerst nach Deutschland kam? "Ich bin im November 2022 nach Deutschland gekommen. Der Empfang war sehr freundlich und ich habe mich gleich wohlgefühlt", erzählt er. "Es war, als wäre ich gerade in den Iran zurückgekehrt, denn die Menschen hier sind sehr nett und hilfsbereit." Ein guter Start. Schnell musste er aber feststellen, dass große Herausforderungen auf ihn warten.
Die größte war die deutsche Sprache. "Am Anfang fühlte ich mich, wie viele andere auch, etwas fremd und unsicher. Ich habe schnell damit begonnen, Deutsch zu lernen und mich besser in die Gesellschaft einzufügen", sagt er. Er hat gebüffelt und viel Energie in den Sprachkurs gesteckt. Schnell absolvierte er die Sprachlevels, im Frühjahr wechselte er in die Regelschule und bekam auch da gute Noten. "Leider gab man mir kein Zeugnis, da ich nur zwei Monate in dieser Klasse war", sagt er. Ein feines Lächeln erhellt sein Gesicht: "Man hat mir aber schriftlich bestätigt, dass ich in diesem Kurs gute Leistungen gebracht habe".
Parallel dazu begann die Suche nach einem Ausbildungsplatz. "Mein Plan war, eine Ausbildung im Bereich Elektronik zu machen. Auch im Iran hatte ich Interesse an diesem Bereich", sagt er. Auf dem Weg dahin musste Amir zunächst eine Bewerbung schreiben. Das war schwer und es brauchte viel Mühe, bis sie soweit war, dass sie abgeschickt werden konnte. "Zum Glück haben mir meine Betreuer geholfen", sagt er.
Betriebe wollen motivierte Auszubildende
Axel Kirchberger, der Leiter der Wohngruppe, der Amir auf seinem Weg begleitet, ist hinzugekommen und hat neben ihm auf dem Sofa Platz genommen: "Wenn ein Jugendlicher wie Amir so schnell gut Deutsch gelernt hat, dann hat er gute Chancen, und wir ermutigen die Jugendlichen, ihren Weg zu gehen", sagt Kirchberger. Die Suche nach einem Ausbildungsplatz könne dennoch frustrierend sein.
"Wichtig ist eine gute Bewerbung und ein Zeugnis. Im Zeugnis ist es wichtig, dass es möglichst wenige oder am besten keine Fehlzeiten gibt. Das ist fast wichtiger als die Noten", sagt er. Die Betriebe wollten motivierte Auszubildende, und ganz besonders gut komme es an, wenn Jugendliche freiwillig in den Ferien ein Praktikum machten.
Amir zeigt wieder seinen ernsten Gesichtsausdruck und es ist ihm anzusehen: Es war eine schwierige Zeit. "Nach einem Jahr der Bemühungen konnte ich mich im Mai bei einem Unternehmen bewerben und war eine Woche als Praktikant dort", erzählt er. Es klappte dann nicht auf Anhieb, "aber ich wurde an ein anderes Unternehmen vermittelt und dort angenommen".
Demnächst ist er offiziell Auszubildender eines Fachbetriebs. "Nach der Ausbildung will ich im Bereich Elektronik einen Master machen und vielleicht eine eigene Firma gründen", sagt Amir. In dieser Firma würde er dann Jugendlichen wie ihm selbst Ausbildungsplätze anbieten, "dass sie eine gute Chance im Leben bekommen".
Sich nichts einreden lassen
Zum Abschluss unseres Gespräches stellen wir Amir die Frage, die viele unserer Interviewpartner gerne beantworten: "Was ist Deine Botschaft an unsere Leser:innen und was willst Du Jugendlichen empfehlen, die wie Du neu nach Deutschland fliehen?". Amir denkt kurz nach und sagt dann: "Gebt niemals auf und verfolgt Eure Ziele weiter. Lasst euch nicht von anderen einreden, dass ihr nicht erfolgreich sein könnt!" Ihm hätten am Anfang Leute einzureden versucht, dass er nie Deutsch lernen werde, dass man ihm keinen Ausbildungsplatz geben werde und dass alles zu schwierig sei. "Meine Empfehlung: Geht weiter voran und gebt nicht auf!"
Dieser Beitrag entstand im Rahmen von Amal on Tour, einer Kooperation zwischen der Redaktion von Amal und der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers.
evangelisch.de dankt Amal Berlin für die inhaltliche Kooperation.