"Religion trägt in sich die Versuchung des Totalitären", sagt Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßlert bei der Diskussionsrunde "Wie viel Religion braucht Demokratie?" in München. Auch Institutionen, die Religionen vertreten, trügen stets die Versuchung in sich, "ihr Gedankengut, ihre Überzeugungen absolut zu setzen". Zu der Veranstaltung in der Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) hatte sie als stellvertretende HSS-Leiterin gemeinsam mit Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) eingeladen.
Judentum, Christentum und Islam seien keine monolithischen Einheiten, führte Breit-Keßler aus. Man denke etwa an evangelikale Anhänger des früheren US-Präsidenten Donald Trump, an islamistische Terroristen, die ihre Verbrechen missbräuchlich im Namen Allahs verübten, oder an fundamentalistische jüdische Siedler im Westjordanland, die das Existenzrecht der palästinensischen Mitbevölkerung malträtierten. Nicht wenige Kirchenmitglieder in Deutschland machten keinen Hehl aus ihrer Abscheu gegenüber dem Rechtsstaat und ihrer Sympathie für "Quer-Nichtdenker, Reichsbürger und rechtsextremistische Gruppierungen".
Erst im Laufe des 20. Jahrhunderts hätten sich die christlichen Kirchen dazu durchgerungen, Menschenrechte, insbesondere auch Religionsfreiheit und Meinungsfreiheit, anzuerkennen. "Wer seitens der Kirchen mit dem Finger auf andere Religionen zeigt und deren Demokratiefähigkeit anmahnt, sollte sich erinnern: Die Prinzipien, auf denen Aufklärung und Demokratie beruhen, mussten häufig gegen den erbitterten Widerstand der Kirchen durchgesetzt werden", mahnte Breit-Keßler. Selbst heute seien nicht alle Menschenrechte in den Kirchen fraglos akzeptiert, etwa, was die sexuelle Orientierung oder die Rolle der Frau betreffe.
Religion müsse daher demokratie- und diskursfähig sein und die Zuständigkeiten des Rechtsstaates respektieren. "Sie darf sich nicht als Staat im Staate oder gar als eine Art Über-Staat verhalten", sagte Breit-Keßler. Pflicht des demokratischen Rechtsstaates sei es außerdem, die Religionsfreiheit zu verteidigen. Daher dürften Antisemitismus und Islamfeindlichkeit, "erst recht Attacken und Bedrohungen gegenüber Juden oder Muslimen", niemals geduldet werden. Auch die Verhöhnung christlicher Glaubensinhalte, der Angriff auf christliche Gläubige seien nicht tolerabel.