Journalist: "Kirchenasyl gerät unter Druck"

Autor Ingo Dachwitz
Darja Preuss
Ingo Dachwitz ist Medien- und Kommunikationswissenschaftler und Redakteur bei netzpolitik.org. Er war Jugenddelegierter in der 11. Synode der EKD und ist Mitglied der aej.
Podcast "Razzia im Pfarrhaus"
Journalist: "Kirchenasyl gerät unter Druck"
Netzpolitik.org hat am Freitag 10. Mai einen siebenteiligen Doku-Podcast namens "Systemeinstellungen" gestartet. Die Geschichten darin drehen sich um Menschen, die unerwartet ins Visier des Staates geraten. In der zweiten Folge betrifft das eine Pfarrerin, die ihre Kirche für Geflüchtete öffnete und von der Staatsanwaltschaft Besuch bekommt. evangelisch.de Redakteurin Katja Eifler hat mit dem Autor Ingo Dachwitz gesprochen.

Der siebenteilige Podcast handele von erschüttertem Vertrauen und Ohnmacht gegenüber dem System, so beschreibt es Netzpolitik.org. Neben dem Fall der Pfarrerin erzählen die Macher:innen die Geschichte einer 15-jährigen Klima-Aktivistin, die sich vor der Polizei bis auf die Unterwäsche ausziehen muss oder die eines Journalisten, der durch den Verweis auf ein "linkes" Online-Archiv vor Gericht landet. Heute erscheint die Folge "Razzia im Pfarrhaus". Journalist Ingo Dachwitz hat sie als Netzpolitik-Reporter hauptverantwortlich recherchiert.

evangelisch.de: Herr Dachwitz, warum haben Sie gerade das Thema Kirchenasyl gewählt und warum gerade diese Geschichte?

Ingo Dachwitz:  Im Podcast "Systemeinstellungen" erzählen wir die Geschichten von Menschen, die unerwartet im Visier des Staates landen. Weil sie sich für Klimaschutz engagieren, zum Beispiel, weil sie kritischen Journalismus betreiben oder Asyl suchen. Diese Folge handelt von Pastorin Sandra Menzel, die mit ihrer Gemeinde im Hunsrück Geflüchteten Kirchenasyl gegeben hat. Sie hat sich damit vor ein paar Jahren nicht nur eine Anzeige des Landrates eingehandelt, sondern auch eine Hausdurchsuchung und die Beschlagnahmung von Daten.

Seit dem Jahr 2004 berichtet netzpolitik.org über politische, gesellschaftliche, technische und kulturelle Fragestellungen rund um die Prozesse der Digitalisierung.

Wir erzählen, was das mit den Menschen macht, wenn sie überwacht werden und plötzlich mit der Polizei konfrontiert werden und dass dies engagierte Menschen politisch einschüchtern kann. Das Thema Kirchenasyl ist dafür ein super Beispiel: Der Streit darum schwelt seit vielen Jahren, im beschaulichen Hunsrück ist er eskaliert.

Immer wieder berichtet auch evangelisch.de darüber, dass Behörden oder andere Vertreter des Staates das Kirchenasyl anfechten oder nicht akzeptieren wollen und dass es vor Ort zu unerwünschten Vorfällen kommt. Sind das alles nur Einzelfälle oder können Sie auf Grundlage ihrer Recherche bestätigen, dass es mehr geworden ist?

Dachwitz: Inzwischen zeichnet sich ein deutliches Muster ab, weshalb ich nicht mehr von Einzelfällen reden würde. Im Zuge der drastischen asylrechtlichen Verschärfungen Deutschlands und der EU gibt es wieder mehr Fälle von Kirchenasyl, in 2023 waren es etwa 1.500. Das Klima für Geflüchtete wird rauer und auch das Kirchenasyl gerät unter Druck. Statt Angela Merkels "Wir schaffen das" gilt jetzt Olaf Scholz‘ "Wir müssen endlich im großen Stil abschieben".

Dass die Polizei Kirchenräume stürmt, um Menschen abzuschieben, galt lange Zeit als undenkbar. Seitdem sich die Kirchen 2015 mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einig geworden sind, gab es das nur ein einziges Mal, 2020 in Kaiserlautern. Jetzt gab es allein seit dem Sommer 2023 sechs versuchte oder vollzogene Räumungen von Kirchenasylen.

"Das Signal, das davon ausgehen soll, ist eindeutig: Das Kirchenasyl ist nicht mehr sicher."

In Schwerin war wenige Tage vor Weihnachten sogar das SEK im Einsatz. In vier Fällen kam es tatsächlich zur Abschiebung, quasi direkt aus der Kirche heraus, zuletzt gerade am Sonntag in Niedersachsen. Das Signal, das davon ausgehen soll, ist eindeutig: Das Kirchenasyl ist nicht mehr sicher.

In der jetzt aktuellen Folge mit dem Titel " Razzia im Pfarrhaus" eskaliert die Situation sogar und eine Staatsanwältin beschlagnahmt bei der Pastorin zu Hause Daten vom Kirchencomputer und liest ihre WhatsApp-Nachrichten. Die Pastorin vermutet bewusste Einschüchterung. Muss die Kirche da nicht allgemein Alarm schlagen?

Dachwitz: Die Ereignisse sind in doppelter Hinsicht ein Warnsignal für die Kirchen. Zum einen sehen wir hier einen klar politisch motivierten Angriff auf das Kirchenasyl. Die Gemeinden haben sich im Rahmen der Verabredung mit dem BAMF bewegt und es war zu jeder Zeit gemeldet, welche Personen sich an welcher Adresse aufhalten. Das Verfahren gegen die Pfarrpersonen wegen Beihilfe zu unerlaubtem Aufenthalt wurde deshalb später eingestellt und die Hausdurchsuchungen für rechtswidrig erklärt. Zum anderen ist es aber auch ein Signal, die Themen Datenschutz und Datensicherheit ernst zu nehmen.

Aus Perspektive des Datenschutzes sind kirchliche Daten, beispielsweise aufgrund des Seelsorgegeheimnis, oft besonders sensibel. Hat so ein Fall vielleicht auch Folgen in Bezug auf die digitale Sicherheit? Rüttelt er wach?

Dachwitz: Das hoffe ich. Pfarrpersonen sind darauf angewiesen, dass die Menschen ihnen vertrauen. Heute findet Seelsorge aber eben nicht nur im persönlichen Gespräch in der Kirche statt, sondern auch in digitaler Form, in Chats und Livestreams. Wer kann garantieren, dass diese Informationen sicher sind? Konzerne und Behörden bekommen immer mehr Zugriffsmöglichkeiten auf diese Daten. Ich finde das problematisch. Die Geschichten in unserem Podcast "Systemeinstellungen" zeigen schließlich, wie leicht es passieren kann, dass man ins Visier des Staates gerät. Das kann alle treffen, nicht nur Schwerverbrecher:innen. 

Thema digitaler Datenschutz und Kirche, eher noch ein sehr wenig bestelltes Feld?

Dachwitz: Ich wundere mich immer wieder, wie wenig sich die Kirchen für das Thema interessieren. Klar, es gibt manchmal Debatten darum, ob Pfarrpersonen WhatsApp nutzen dürfen oder wie die Datenschutzerklärungen von Websites aussehen müssen. Aber wie der Fall von Sandra Menzel zeigt, ist Datenschutz hochpolitisch. Der Schutz der Privatsphäre ist die Voraussetzung für viele gesellschaftlichen Freiheiten, auch für die Religionsfreiheit. Wer sich ständig beobachtet fühlt – egal ob vom Staat oder von Konzernen – kann sich nicht frei entfalten.

"Der Schutz der Privatsphäre ist die Voraussetzung für viele gesellschaftlichen Freiheiten, auch für die Religionsfreiheit."

Dass die Kirchen dieses Recht nicht stärker verteidigen, finde ich problematisch. Es ist ein Privileg, sich damit nicht auseinandersetzen zu müssen, viele Menschen haben das nicht. Für Geflüchtete zum Beispiel existiert das Recht auf Privatsphäre praktisch nicht. Davon wird die dritte Folge des Podcasts handeln.

Was hat Sie an Pastorin Menzels Geschichte persönlich am meisten bewegt oder verunsichert?

Dachwitz: Sandra Menzel setzt sich unermüdlich für Menschen in Not ein, das ist gelebte Nächstenliebe. Sie hat sich weder durch wütende Briefe von Gemeindemitgliedern noch durch die Anzeige des Landrats oder durch die Hausdurchsuchungen vom Engagement für Geflüchtete abbringen lassen. Das finde ich sehr beeindruckend.

Info: Die aktuelle Folge "Razzia im Pfarrhaus" so wie alle weiteren Geschichten des Podcast "Systemeinstellung" können Sie hier hören.