TV-Tipp: "Nord bei Nordwest: Haare? Hartmann!"

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9. Januar, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Nord bei Nordwest: Haare? Hartmann!"
Die ersten Filme der 2014 gestarteten Reihe bezogen ihre Spannung aus der Vergangenheit des untergetauchten Kriminalkommissars: Die Mafia, gegen die Hauke Jacobs (Hinnerk Schönemann) einst in Hamburg verdeckt ermittelt hat, sann auf Rache. Ein ähnliches Schicksal ereilt nun eine Frau, die sich vor geraumer Zeit als Friseurin in Schwanitz an der Ostseeküste niedergelassen hat.

Ein Zeitungsartikel zum Jubiläum des Salons hat zur Folge, dass das beschauliche Dasein von Grit Hartmann (Julika Jenkins) abrupt endet: Eines Tages taucht ihr früherer Auftraggeber auf. Grit war früher für ihn als "Putzkraft", und weil sie beim Abschied eine erkleckliche Summe mitgehen ließ, muss sie nun ihre Schulden abarbeiten. Zum Beweis ihrer Loyalität soll sie ausgerechnet Jacobs’ sympathische Kollegin Hannah Wagner (Jana Klinge) töten, was sie jedoch nicht übers Herz bringt. 

Von all’ dem hat das polizeiliche Duo natürlich keine Ahnung, zumal die beiden neben einem aktuellen Mordfall auch mit der schon seit längerem unübersehbaren gegenseitigen Zuneigung klar kommen müssen. Diesmal knistert es ganz gewaltig, als Hannah den verdutzten Kommissar zwecks Tarnung während einer Observierung kurzerhand küsst. Jacobs wiederum, im Zweiberuf Veterinär, sieht gar nicht gern, was sich zwischen seiner Praxispartnerin und dem Sohn des Opfers abspielt: Finn Merseburg (Maik Rogge) war schon als Teenager in Jule Christiansen (Marleen Lohse) verknallt; für den Geschmack des Polizisten kümmert sie sich ein bisschen zu innig um den trauernden jungen Mann. 

 

Diese Diskrepanz zwischen zwei grundverschiedenen Stimmungen – hier die Thrillerebene, dort die emotionalen Verwicklungen – hat schon immer den besonderen Stellenwert der von Holger Karsten Schmidt geschaffenen Reihe ausgemacht. Für zusätzlichen Reiz sorgen die Mordfälle, die stets komplizierter sind, als sie auf den ersten Blick scheinen. Das gilt auch für die Drehbücher, die Niels Holle beisteuert. "Haare? Hartmann" (Episode Nummer 26) ist bereits seine zehnte Arbeit für "Nord bei Nordwest". Besonders gelungen ist die clevere Verknüpfung der beiden Stränge, wobei eine Briefmarke eine entscheidende Rolle spielt.

Der Fall beginnt mit einer unpässlichen Brieftaube. Über die Nachricht, dass deren Erkrankung halb so wild sei, kann sich der pensionierte Postbeamte jedoch nicht mehr freuen: Ein vermeintlicher Paketbote hat ihm aus nächster Nähe in den Kopf geschossen. Das ist nicht nur kein schöner Anblick, sondern hat auch einige makabre Bemerkungen zur Folge; schwarzer Humor ist ein weiteres Merkmal der Reihe. Um dem erschütterten Sohn den Anblick zu ersparen, bittet das Bestattungspaar Grit um Hilfe: Sie soll das Haupthaar des Opfers kurzerhand ein bisschen verlängern. Bei der Gelegenheit entdeckt sie, warum Merseburg senior nicht zu ihrer Kundschaft zählte; und nicht nur das.

Wie sich die Geschichte nun entwickelt und warum ein in Sammlerkreisen als "falscher Sultan" geschätzter indischer Fehldruck zu ihrem Motor wird, ist mit viel Liebe zum Detail erzählt sowie mit gewohnt großer Freude gespielt und umgesetzt (Regie führte zum sechsten Mal Felix Herzogenrath). Die Friseurin wittert eine Chance, sich von ihrem einstigen Chef (Jörg Pose) freizukaufen, doch Antiquitätenhändler Adler (Falilou Seck), Experte für Münzen und Marken, macht ihre Hoffnungen zunichte: Die Marke sei zwar alt, aber bei weitem nicht so viel wert wie erhofft.

Das Verhalten des Mannes lässt Grit allerdings ahnen, dass auch er Aktien in diesem speziellen Spiel hat. Zu dessen weiterem Verlauf trägt außerdem eine rosafarbene Plastikrose bei. Das Corpus Delicti ist einer alten Frau entwendet worden. Deren gleich zu Beginn geäußerte Bitte, der Sache nachzugehen, kommt Jacobs zwar nicht nach, aber die Rose hat später maßgeblichen Anteil daran, dass sich die Kreise schließen.

Zwischendurch würzt Holle die Handlung mit ein bisschen Action, als der mörderische Paketbote (Reza Brojerdi) unerwartet am Tatort auftaucht. Der Mann kommt im Verlauf der Geschichte kräftig unter die Räder, erst recht, als er glaubt, dass die vermeintlich harmlose Friseurin keine Gegnerin für ihn sei. Die kunterbunte Stimmungsmischung ist ohnehin so etwas wie ein Alleinstellungsmerkmal von "Nord bei Nordwest" unter den vielen Krimireihen. Auch Holle weiß zu schätzen, dass hier "in Sachen Tonfall und Genre fast alles möglich ist: Ich habe die Freiheit, schräge Komödien genauso wie düstere Thriller zu erzählen." Oder Geschichten aus der Zwischenwelt, wie in der nächsten Episode, "Das Nolden-Haus".