In Deutschland haben sich Bundespräsident, Parlamentspräsident und Kanzlerin entsetzt und besorgt über das gewaltsame Eindringen von Trump-Anhängern in das Kapitol in Washington geäußert. "Das ist eine historische Zäsur für die Vereinigten Staaten, und das ist ein Angriff auf die liberale Demokratie überhaupt", erklärte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Donnerstag in Berlin. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte, sie sei "wütend und traurig". Die drei Verfassungsorgane kritisierten den noch amtierenden US-Präsidenten Donald Trump scharf und gaben ihm eine Mitschuld an der Eskalation am Gebäude des US-Kongresses.
Anhänger des scheidenden Präsidenten Donald Trump waren am Mittwoch in das Kapitol eingedrungen. Die Sitzung von Senat und Repräsentantenhaus zur Bestätigung des Wahlsiegs von Joe Biden wurde für mehrere Stunden unterbrochen. Nach Medienberichten kamen bei der Erstürmung vier Menschen ums Leben.
Rekowski: "Ein No-go für ein demokratisches Gemeinwesen"
Diese Vorgänge müssten auch den Deutschen eine Warnung und Mahnung sein, sagte der rheinische Präses Manfred Rekowski dem epd und erinnerte an die Störaktionen durch Gäste der AfD, die im November Abgeordnete im Reichtagsgebäude bedrängt hatten. Im August hatten zudem Rechtsextremisten und andere Protestierende am Rande von Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen die Stufen des Reichstagsgebäudes gestürmt. Rekowski sprach von einer "erschreckenden Parallelität".
In Berlin sei "der Spuk" im November zwar relativ schnell vorbei gewesen, so Rekowski. Die Geschehnisse hätten aber dennoch vielen einen ziemlichen Schrecken eingejagt, weil sie die Hemmungslosigkeit von Populisten im Umgang mit demokratischen Institutionen und gewählten Repräsentanten vor Augen geführt hätten. "Das Geschehen in den USA sollte auch bei uns noch dem Letzten deutlich machen, wie gefährlich solche antidemokratischen Haltungen sind und wie schnell aus Worten Taten werden können", sagte der evangelische Theologe. "Den Lügen und der Diffamierung von Menschen und demokratischen Institutionen müssen wir von Anfang an konsequent entgegentreten."
Verschwörungsmythen gingen immer mit der Verhöhnung gewählter und legitimierter Institutionen einher, betonte der oberste Repräsentant der zweitgrößten evangelischen Landeskirche in Deutschland. "Das ist aber ein No-go für ein demokratisches Gemeinwesen." Deshalb gelte es, wachsam zu sein und dagegenzuhalten. "Leider waren in den USA die Stimmen, die der Beschädigung der Demokratie widersprechen und Lügen auch Lügen nennen, ziemlich leise", sagte Rekowski.
Die evangelische Theologin Margot Käßmann sagte dem epd: "Die Bilder bestätigen die Erkenntnis: Gewalt beginnt mit Worten und endet mit Taten." Käßmann zufolge zeigt sich der Riss durch die amerikanische Gesellschaft schon seit Jahren. Auf der einen Seite stünden liberale und weltoffene Kräfte, die sich längst in einer multiethnischen und auch multireligiösen Gesellschaft beheimatet fühlten. Auf der anderen Seite reagierten Menschen mit Angst und Verunsicherung darauf, dass die Welt sich verändert habe. "Ich würde sie nicht als konservativ bezeichnen, denn das heißt: Werte bewahren. Werte wie Respekt, Anstand, Nächstenliebe, Verteidigung der Würde des anderen. Das tun sie nicht. Sie treten Freiheitsrechte mit Füßen und verachten alle, die nicht so sind und so leben wie sie", sagte die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).
Nach der gewaltsamen Erstürmung des Kapitols ruft die pfälzische Landeskirche gemeinsam mit der amerikanischen United Church of Christ (UCC) zu einem Friedensgebet für die USA auf. "In guter Freundschaft und verbunden im Glauben beten wir mit den amerikanischen Protestanten um Frieden", sagte der pfälzische Kirchenpräsident Christian Schad am Donnerstag in Speyer. Die Landeskirche ist als eine unierte Kirche in der Evangelischen Kirche in Deutschland eng mit der UCC als Partnerkirche verbunden.
Internationale Kritik von Kirchenvertretern
Kirchenvertreter verschiedener Konfessionen aus aller Welt haben sich entsetzt über die gewaltsame Erstürmung des US-Kapitols geäußert. Sie sehen die Verantwortung beim scheidenden US-Präsidenten Trump und rufen dazu auf, die Spaltung zu beenden. Der Erzbischof von Washington, Kardinal Wilton Gregory, nannte das US-Kapitol einen "heiligen Boden". "Wir Amerikaner sollten den Ort in Ehren halten, wo die Gesetze und Politik unserer Nation entschieden werden", so Gregory. Er ist der erste afroamerikanische Kardinal in der Geschichte der USA.
Der Präsident der katholischen Bischofskonferenz der Vereinigten Staaten, Erzbischof José Gomez, betonte, Amerikaner müssten den "Werten der Demokratie" verpflichtet sein. Auch der leitende Bischof der anglikanischen Episkopalkirche, Michael Curry, zeigte sich bestürzt. Der Ansturm habe die "Integrität unserer Demokratie" bedroht, sagte Curry. Bewaffnete Demonstranten hätten einen Staatsstreich versucht.
Auch unter evangelikalen Kirchenführern und Anhängern Trumps rief der Angriff Entsetzen hervor. Die Gewalttaten seien ein "Angriff auf die Demokratie", so der Vorsitzende der konservativen "Koalition für Glauben und Freiheit", Ralph Reed. Trump müsse die Gewalt verurteilen, forderte James David Greear, Präsident des Südlichen Baptistenverbandes, der größten protestantischen Kirche in den USA. Der Präsident der Universität "Southern Baptist Theological Seminary", Albert Mohler, sagte, Trump sei verantwortlich für das Chaos. Mohler hatte vor der Präsidentenwahl erklärt, er werde für Trump stimmen. Megakirchenpastor Rick Warren verurteilte den Ansturm als Verrat und Terrorismus.
Der Geschäftsführer von Pax Christi USA, Johnny Zokovitch, machte Trump persönlich verantwortlich. Die Ereignisse seien das Ergebnis der Demagogie eines Mannes, Präsident Trump, und des Versagens all jener, die die hasserfüllte und spaltende Rhetorik entschuldigt, übersehen oder sogar ermutigt hätten, die seine Amtszeit geprägt habe. Die "hässlichen, beschämenden Vorfälle im US-Kapitol" seien das traurige, vorhersehbare Ergebnis dieser Zurückweisung von Verantwortung.
Auch international verurteilten Kirchenvertreter die Vorgänge rund um die Wahlbestätigung. Der Weltkirchenrat warnte vor ernsthaften Auswirkungen auf andere Länder. Das gewaltsame Vorgehen gegen die demokratischen Fundamente in den USA drohe weltweit Nachahmer auf den Plan zu rufen, erklärte der amtierende Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen, Ioan Sauca, in Genf. "Möge Gott Amerika mit Frieden und Versöhnung segnen", twitterte das geistliche Oberhaupt der anglikanischen Kirche in England, Justin Welby, am Mittwochabend.
Kanzlerin gibt Trump Mitschuld für Eskalation
Kanzlerin Merkel äußerte sich entsetzt über die gewaltsame Erstürmung des Kapitols in Washington. Merkel nannte die Bilder von gewaltbereiten Demonstranten am Sitz des Kongresses am Donnerstag "verstörend". "Mich haben diese Bilder wütend und auch traurig gemacht", sagte sie in ihrem Grußwort an die Klausurtagung der CSU-Fraktion in Berlin, in dem sie zuerst auf die aktuellen Ereignisse in den USA einging.
"Eine Grundregel der Demokratie ist: Nach Wahlen gibt es Gewinner und Verlierer", sagte Merkel. Beide hätten "ihre Rolle mit Anstand und Verantwortungsbewusstsein zu spielen, damit die Demokratie selbst Sieger bleibt", ergänzte Merkel und kritisierte den noch amtierenden US-Präsidenten: "Ich bedauere sehr, dass Präsident Trump seine Niederlage seit November nicht eingestanden hat und auch gestern wieder nicht."
Merkel gab Trump eine Mitschuld an der Eskalation. Zweifel am Wahlausgang seien geschürt worden, das habe Atmosphäre dafür bereitet, die die Ereignisse in der Nacht erst möglich gemacht hätten, sagte sie. Zugleich bezeichnete sie es als "Zeichen der Hoffnung", dass der Kongress noch in der Nacht seine Arbeit fortgesetzt hat". Nun stehe der Wahlsieg von Joe Biden und Kamala Harris fest, sagte Merkel und ergänzte: "Die Vereinigten Staaten werden in weniger als zwei Wochen, so wie es sein muss, ein neues Kapitel ihrer Demokratie eröffnen."
Steinmeier: Gewalt zeigt Verwundbarkeit der "mächtigsten Demokratie der Welt"
Bundespräsident Steinmeier zeigte ich besorgt über die gewaltsame Erstürmung des Kapitols in Washington. "Wir mussten mit ansehen, wie verwundbar selbst die älteste und mächtigste Demokratie der Welt ist", sagte Steinmeier nach den gewaltsamen Szenen im US-Kongress am Donnerstag in Berlin. "Das ist eine historische Zäsur für die Vereinigten Staaten und das ist ein Angriff auf die liberale Demokratie überhaupt", so das Staatsoberhaupt.
"Der friedliche Machtwechsel infolge freier Wahlen ist ein Grundstein der Demokratie", sagte Steinmeier. Ein "bewaffneter Mob" habe dies missachtet, sagte Steinmeier und gab wie zuvor bereits Kanzlerin Merkel Trump selbst eine Mitschuld an der Eskalation in Washington. Dieser Mob sei "aufgestachelt von einem amtierenden Präsidenten", so Steinmeier. Die Szenen seien "Ergebnis von Lügen und noch mehr Lügen, Spalterei und Demokratieverachtung, von Hass und Hetze auch von allerhöchster Stelle".
Steinmeier sprach von einem "Sturm auf das Herz der amerikanischen Demokratie", der vier Menschenleben gekostet habe. Er erinnerte an die Szenen am Rande der Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen Ende August vergangenen Jahres in Berlin, als wütende Protestierende und Rechtsextreme die Stufen des Reichstagsgebäudes stürmten. Auch für Deutschland gelte: "Hass und Hetze gefährden die Demokratie, Lügen gefährden die Demokratie, Gewalt gefährdet die Demokratie", sagte Steinmeier. Daran müsse man gerade in diesem Jahr denken, sagte er mit Verweis auf die 2021 anstehenden Wahlen von Bundestag und mehreren Länderparlamenten.
Schäuble will Konsequenzen für Reichstag prüfen
Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) sprach von "Exzessen eines gewaltbereiten Mobs am und im Kapitol". Trump habe dazu "aufgeputscht" und die Grundregel der Demokratie verachtet, "seine offensichtliche Wahlniederlage einzugestehen". Nach dem Ereignissen in Washington will Schäuble Konsequenzen für das deutsche Parlamentsgebäude prüfen. In Abstimmung mit den Sicherheitsbeauftragten der Fraktionen sowie dem Land Berlin und dem Bundesinnenministerium solle geprüft werden, welche Schlussfolgerungen für den Schutz des Bundestages zu ziehen seien, teilte der Bundestag am Donnerstag mit. Dazu sei bereits bei der deutschen Botschaft in Washington ein Bericht darüber angefordert worden, wie es zu den Gewaltexzessen innerhalb des Kapitols in Washington kommen konnte.
Der Bundestag war im vergangenen Jahr selbst Ziel wütender Demonstranten geworden. Am Rande der Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen stürmten im August Rechtsextremisten und andere Protestierende die Stufen des Reichstagsgebäudes in Berlin. Danach und nachdem von der AfD in den Bundestag eingeladene Besucher Abgeordnete am Rande einer Plenarsitzung bedrängt hatten, wurde bereits über zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen für den Bundestag diskutiert.
Deutsche Journalisten von Trump-Anhängern angegriffen
Der Deutsche Journalistenverband (DJV) hat Übergriffe auf Pressevertreter bei der Erstürmung des US-Kapitols durch Trump-Anhänger scharf verurteilt. "Es zeigt sich wieder einmal, wie sehr die Anhänger von Donald Trump die Demokratie und Pressefreiheit verachten, angestachelt durch den abgewählten US-Präsidenten und seine Leute", erklärte der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall in Berlin. Der Vorfall in Washington D.C. zeige, dass Demokratie und Pressefreiheit jeden Tag aufs Neue verteidigt werden müssten.
Auch die Gewerkschaft ver.di zeigte sich besorgt. Die Attacken auf Journalistinnen und Journalisten stellten einen nicht akzeptablen Angriff auf die Pressefreiheit dar, erklärte ver.di-Chef Frank Werneke, der auch Mitglied des ZDF-Fernsehrates ist. Das sei eine weitere Parallele zu Entwicklungen auch in Deutschland, wo immer wieder Rechtspopulisten und andere Extremisten die Presse angriffen. "Die Erstürmung des Kapitols in Washington durch Trump-Anhänger ist ein bestürzender Angriff auf die Demokratie - nicht nur in den USA", betonte der Gewerkschaftsvorsitzende.
Bei den Ausschreitungen und der Erstürmung des Kapitols zerstörten Medienberichten zufolge Trump-Anhänger technische Ausrüstungen von Medien-Vertretern und attackierten Journalisten. Betroffen waren unter anderem Berichterstatter von ARD, ZDF, RTL/n-tv und der Nachrichtenagentur Associated Press.
Eine Live-Schalte in den ARD-"Tagesthemen" mit der US-Korrespondentin Claudia Buckenmaier musste aus Sicherheitsgründen abgebrochen werden. Auch das ZDF berichtete von Behinderungen bei der Arbeit: Demnach wurde das Equipment des ZDF-Teams vor Ort in Washington von aufgebrachten Demonstranten attackiert. Dadurch sei eine weitere Schalte des Korrespondenten Elmar Theveßen in das "Heute-Journal Spezial" 45 Minuten nach der regulären "Heute-Journal"-Ausgabe kurzzeitig nicht möglich gewesen.