Die Alternative für Deutschland (AfD) war immer schon eine Partei voller Widersprüche und Gegensätzlichkeiten. Doch selten trat ihre innere Zerrissenheit so offen zutage wie nach den Ereignissen in Chemnitz, als sich Partei und Funktionsträger gleichzeitig vom rechten Rand abgrenzen und sich mit diesem solidarisch erklären wollten. Die Widersprüche sind zahlreich und so manche Aussage wurde mittlerweile als Lüge enttarnt. Eine Sammlung.
Widerspruch 1: Ein deutsches Opfer
Ein Mensch ist in Chemnitz unter tragischen Umständen um's Leben gekommen. Ein Deutscher, wie die AfD nicht müde wird zu betonen, was überrascht.
Denn üblicherweise unterscheiden Abgeordnete der AfD zwischen "Deutschen" und "Passdeutschen", fordern zuweilen, dass die "deutsche Leitkultur" von "Biodeutschen mit zwei deutschen Eltern und vier deutschen Großeltern" verteidigt werden müsse und fallen dadurch auf, dass sie Deutsche mit Migrationshintergrund entsorgen, entdeutschen, entgrenzen oder abschieben möchten.
Nun ist Daniel H., der junge Mann, der in Chemnitz getötet wurde, zwar Deutscher, aber mit einem ebensolchen Migrationshintergrund. Die Mutter war Deutsche, der Vater Kubaner - und dazu noch schwarz. Herkunft und Hautfarbe Daniel H.s waren also wahrhaft "undeutsch", Neonazis würden sagen "unarisch". Es gibt sogar einen Bundestagsabgeordneten der AfD, der einen Menschen wie Daniel H. als "Halbneger" bezeichnet haben soll und deshalb ohne Immunität vor der Anklage steht.
Widerspruch 2: Ungerechtfertigt in die Nazi-Ecke gestellt
Dieser Abgeordnete ist Jens Maier, der in der Vergangenheit als NPD-Sympathisant aufgefallen war, vor "Schuldkult" und "Mischvölkern" warnte und Verständnis für den norwegischen Terroristen Anders B. Breivik zeigte, der "aus Verzweiflung heraus" über "Kulturfremde" zum Massenmörder geworden sei. Ausgerechnet dieser Jens Maier saß nun in der Pressekonferenz der AfD, die diese am Tag nach den Ausschreitungen in Chemnitz eilig einberufen hatte. Neben Maier saß Siegbert Droese, der in seiner Freizeit mit der Hand am Herzen vor dem Führerbunker "Wolfsschanze" posiert hat und seinen Fuhrpark mit den Kennzeichen L-AH 1818 und L-GD 3345 angemeldet hat. (Sowohl AH als auch 18 stehen in der Naziszene für "Adolf Hitler". GD 3345 entspricht "Großdeutsches Reich in den Grenzen 1933-1945".)
Jens Maier und Siegbert Droese erklärten also der verdutzten Welt, dass die AfD als eine "Rechtsstaatspartei" tief erschüttert sei von den Geschehnissen in Chemnitz und Gewalt in jeder Form missbillige. Unterdessen rief ihr AfD-Fraktionskollegen Markus Frohnmaier auf Twitter zu Selbstjustiz gegen die "todbringende Messermigration" auf und die AfD-Fraktion Hochtaunuskreis insinuierte eine Revolution herbei, bei der "Presseverlage gestürmt" und "Mitarbeiter auf die Straße gezerrt werden" sollten. Als Jesus in der Bergpredigt ermahnte, dass die linke Hand nicht wissen solle, was die rechte tut, muss er eine Urform der AfD-Bundestagsfraktion im Kopf gehabt haben.
Widerspruch 3: Von Recht und Unrecht
Zu den vielen Menschen, die die Ereignisse in Chemnitz verurteilten, gehörten neben der gesamten politischen Führung unseres Landes auch Einzelpersonen und Funktionsträgerinnen wie Sawsan Chebli.
Chebli ist Staatssekretärin des Landes Berlin und schrieb auf Twitter, dass man angesichts der Radikalität der Rechten selbst radikaler werden müsse und beendete ihren Tweet mit #NoAfD. Es lag in der Natur der Sache, dass die AfD einer solchen Aussage kaum zustimmen konnte und so forderte Jürgen Braun, MdB und parlamentarischer Geschäftsführer der AfD, ein unverzügliches Disziplinarverfahren wegen "Verstoßes gegen das Mäßigungsverbot für Beamte".
Ganze drei Tage später machte dieselbe AfD, in Gestalt von Stefan Räpple, MdL, dem Justizbeamten, der den Haftbefehl gegen den mutmaßlichen Täter in Chemnitz veröffentlicht und einen schweren Gesetzesverstoß begangen hatte, ein Stellenangebot. Manchmal ordnen sich Recht und Unrecht von ganz allein, wenn man einfach mal zwei Nächte drüber schläft.
Widerspruch 4: "Lügenpresse" und "Systemmedien"
Es kann, auch jenseits der AfD, keine Erzählung der "Chemnitz-Chroniken" geben, ohne dass die Rolle der Medien kritisch hinterfragt wird. "Lügenpresse" und "Systemmedien" werden sie manchmal genannt und dafür kritisiert, dass sie sich zu sehr auf die Nazi-Parolen und die Hitlergrüße fokussieren, wo doch "10.000 normale Leute bei der Veranstaltung" gewesen sein sollen.
Überhaupt, der Hitlergruß: Das wäre, so heißt es, "nur eine kleine Gruppe von Provokateuren", eingeschleust vom "politischen Gegner", mit Sicherheit Linke, denn Rechte wüssten, "dass so ein Hitlergruß 7.000 Euro koste vor Gericht". Die unscheinbare ältere Dame, die sich als repräsentative Stimme des Volkes präsentiert und mühelos den genauen Straßenpreis für einen Hitlergruß in die Kamera zitiert, gehört allerdings selbst zu einer kleinen Gruppe von Provokateuren. Sie hat nämlich verschwiegen, dass sie Stadträtin der Stadt Chemnitz und ehemalige NPD-Politikern ist. Dass sich unter den chemnitzer Bürgerinnen und Bürger tatsächlich rechte Berufsdemonstranten tummeln, beweist eine Dame, die als rechte Demo-Teilnehmerin in Reportagen von ARD, Spiegel TV und in einer Aufnahme des Journalisten Tobias Bosse zu sehen ist.
Doch nicht nur bezüglich einzelner Stimmen, auch was die tatsächliche Anzahl der Menschen an den Chemnitzer Aufmärschen angeht, nehmen es die Kräfte um die AfD herum nicht allzu genau. Wie als Beweis für die besagten "10.000" Menschen veröffentlichen der AfD-Kreisverband Ortenau und die AfD-Freunde Kinzigtal das Bild eines angeblichen Menschenmeeres, das die enorme Teilnehmerzahl an der Kundgebung in Chemnitz darstellen soll. Dumm nur, dass sich innerhalb weniger Stunden herausstellte, dass das Bild nicht in 2018 in Chemnitz, sondern 1989 in Leipzig aufgenommen wurde.
Ein rechtsextremes Narrativ
Die politische Deutung der Ereignisse in Chemnitz seitens der AfD sind voller Widersprüche und Ungereimtheiten. Ausgehend von einem Opfer, das nicht qua Herkunft, sondern nur in seiner Funktion als Brandbeschleuniger als "deutsch" deklariert und (um)etikettiert wird, zwei Bundestagsabgeordneten, die in ihrer Vergangenheit durch Sympathien zur NPD und zur NSDAP aufgefallen sind, einem Landtagsabgeordneten, der einem ausgewiesenen Straftäter einen Arbeitsplatz anbietet und einer Gruppe von Agitatoren, die ihre politischen Gegner der Agitation bezichtigen, entspinnt sich ein rechtsextremes Narrativ, das genau einer Partei in die Hände spielt.
Es liegt nun an den vielbeschworenen zivilgesellschaftlichen Kräften, dieser Entwicklung die Stirn zu bieten. Ihnen bleibt als schärfste Waffe vor allen Dingen eines: der scharfe und klare Widerspruch.