Forscherin: "Musizieren macht glücklich"

Senioren singen  im Chor
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"Kirchenmusiker können mit ihren vielfältigen Kompetenzen und den passenden Angeboten Menschen jeder Altersgruppe erreichen", erklärt die Amberger Kirchenmusikdirektorin Kerstin Schatz.
Kirchenmusik im Alter
Forscherin: "Musizieren macht glücklich"
Konzerte und festlich gestaltete Gottesdienste: Feiertage sind Hoch-Zeiten für die Kirchenmusik. Doch vielerorts werden die Aktiven immer älter. Kerstin Schatz, Amberger Kirchenmusikdirektorin und stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Musikgeragogik, hat über Kirchenmusik im Alter geforscht und deutschlandweit Kirchenmusiker dazu befragt.

epd: Frau Schatz, wie wirkt sich die demografische Entwicklung auf die Kirchenmusik aus?

Kerstin Schatz: Kirchenmusik ist ein Arbeitsfeld mitten in der Gesellschaft, deshalb werden natürlich auch bei uns die Menschen immer älter. Viele Männer und Frauen über 65 Jahre musizieren in den verschiedenen kirchenmusikalischen Ensembles, spielen Orgel oder leiten selbst Chöre. Ältere Menschen besuchen unsere Gottesdienste und Konzerte, und sie treffen als Kirchenvorsteher wichtige Entscheidungen über die Kirchenmusik in den Gemeinden.

Warum wollen gerade viele ältere Menschen Kirchenmusik machen?

Schatz: Musik macht aus unterschiedlichen Gründen glücklich und verschafft altersunabhängig ein enormes Wohlgefühl. Hier können wir in der Kirchenmusik für jeden Geschmack und für jedes Leistungsniveau sehr viel bieten: Gospelchöre, Bands, Kirchen- und Konzertchöre, Posaunenchöre und Orchester, Stimmbildung, Orgelunterricht und vieles mehr.

Diese Vielfalt zeichnet uns in der gesamten Fläche der Landeskirchen im Haupt- und Nebenamt aus und wird gerade auch von Seniorinnen und Senioren geschätzt. Als Kantoren versuchen wir, möglichst allen, die Kirchenmusik machen möchten, ein passendes Umfeld dafür zu ermöglichen. Dieses Willkommen-Sein spüren besonders die Älteren und fühlen sich deshalb in der Kirchenmusik besonders wohl.

Die Amberger Kirchenmusikdirektorin Kerstin Schatz ist stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Musikgeragogik.

Was leistet Kirchenmusik emotional für ältere Menschen?

Schatz: Studien belegen, dass Musizieren positive Auswirkungen auf Körper, Geist und Seele hat. Insbesondere die Kirchenmusik stärkt das Wohlbefinden, weil hier die Musik mit christlichen Inhalten verknüpft ist. Es ist das Geborgensein im Glauben, der Trost, die Zuversicht, die gute Botschaft, die musikalisch noch einmal viel tiefer gehen kann als manch gesprochenes Wort, weil Musik so unmittelbar auf den Körper und die Seele wirkt.

"Aus den regelmäßigen Proben entstehen im Lauf der Zeit Bekanntschaften und Freundschaften, die guttun."

Was hat Ihre Befragung hinsichtlich des sozialen Faktors von Kirchenmusik ergeben?

Schatz: Die kirchenmusikalischen Gruppen sind für viele Ältere ein wichtiger Ort der Gemeinschaft, denn gemeinsames Musizieren schafft Verbindung untereinander. Aus den regelmäßigen Proben, den gemeinsam gestalteten Gottesdiensten und Konzerten entstehen im Lauf der Zeit Bekanntschaften und Freundschaften, die guttun, Halt geben und durchs Leben tragen.

Steht das dem Anspruch der qualitativ hochwertigen protestantischen Kirchenmusik entgegen?

Schatz: Nein, gar nicht, denn es sind beides ganz wichtige Aspekte unseres Berufs. Wir wollen eine künstlerisch hochwertige Kirchenmusik und haben in allen unseren Diensten den Anspruch, die bestmögliche Qualität zu erreichen. Auf der anderen Seite sind die sozialen Aufgaben und diakonischen Dienste untrennbar mit dem Beruf der Kirchenmusiker verbunden. Beides gehört zusammen und macht unser Arbeitsfeld zu etwas ganz Besonderem.

Welche Relevanz hat Musikgeragogik für die Zukunft der Kirchenmusik?

Schatz: Meine deutschlandweite, überkonfessionelle Untersuchung hat ergeben, dass wir um die Musikgeragogik im Berufsbild Kirchenmusik nicht herumkommen, weil sie aus verschiedenen Gründen sehr bedeutsam für die haupt-, neben- und ehrenamtlichen Musiker und für die Gemeinden ist.

Viele Gottesdienste könnten beispielsweise gar nicht mehr musikalisch ausgestaltet werden, wenn sich die ältere Generation nicht aktiv einbringen würde, sei es als Organist, Chorsänger oder als Chorleiter. Wenn wir diese älteren Musiker und Musikerinnen nicht im Blick haben, dann wäre unsere Kirche um ein großes Stück ärmer.

Momentan entsteht der Eindruck, dass der Trend eher in Richtung Popularmusik und die Förderung des jungen Nachwuchses geht. Fühlen Sie sich als Ruferin in der Wüste?

Schatz: Nein, in einer kirchenmusikalischen Wüste sehe ich mich nicht. Aber ich rufe allen Verantwortlichen zu: Lasst uns das eine tun und das andere nicht lassen! Kirchenmusik ist der Arbeitsbereich in unserer Kirche, der noch eine sehr große Kontaktfläche in die säkulare Gesellschaft hat. Wir Kirchenmusiker können mit unseren vielfältigen Kompetenzen und den passenden Angeboten Menschen jeder Altersgruppe erreichen und sie aktiv in das Gemeindeleben einbinden, Junge und Alte, Anfänger und Profis.

Was das Thema Nachwuchs betrifft, bin ich der Überzeugung, dass es den Effekt genauso von oben her gibt: Wenn ich qualitativ gute und passende Angebote für die älteren Generationen in der Kirchengemeinde habe, dann begeistert das nicht nur die Senioren selbst, sondern auch deren Kinder und Enkel. Im Idealfall kommen die beiden Säulen zusammen: Gemeindeaufbau von unten und von oben, mit stabilen Kontaktflächen nach außen. Damit wäre meine Wunschvorstellung erreicht, nämlich die lebenslange Begleitung von Menschen durch Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker.