"Knastelse" hieß vor einigen Jahren jene Episode der ZDF-Reihe "Ein starkes Team", in der erstmals Stefanie Stappenbeck an der Seite von Florian Martens mitwirkte (2016). Der Titel bezog sich auf ein Phänomen, das offenbar gar nicht so selten ist: Alleinstehende Frauen verlieben sich in eingesperrte Gewalttäter.
Neun Jahre und 33 Episoden später greift Autor Timo Berndt dieses Thema noch mal auf (Drehbuch damals: Axel Hildebrand): Auch in "Der tote Mörder" geht es um die in der Psychologie als Hybristophilie bezeichnete Liebe zu einem Übeltäter. Allerdings ist das vermeintliche Glück in jeder Hinsicht nur von kurzer Dauer: Der kürzlich aus dem Gefängnis entlassene Karl Schilling taugte offenbar nicht als Gefährte, weshalb ihn seine "Knastelse" (Nadine Wrietz) vor die Tür setzen will. Das erübrigt sich jedoch, denn der Mann wird auf dem Platz vor dem Berliner Olympiastadion überfahren, und das keineswegs aus Versehen: Hier wollte jemand auf Nummer sicher gehen und hat den Körper ein zweites Mal überrollt.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Berndt ist ein überaus fleißiger Autor, der mit seinen Geschichten unter anderem die ZDF-Reihen "Die Toten vom Bodensee" und "Sarah Kohr" geprägt hat. Krimis nach seinen Drehbüchern sind in der Regel sehenswert. Das gilt auch für Episode Nummer 98 des 1994 gestarteten ZDF-Dauerbrenners. Formal hält sich Berndt ans übliche Krimischema: ein Mord, viele Verdächtige. Während anderswo aber zumeist viel zu früh klar ist, welche Ermittlungsstränge bloße Ablenkungsmanöver sind, hätten in "Der tote Mörder" sämtliche Beteiligten gute Gründe, Schilling ins Jenseits befördert zu haben. Interessant ist auch die Vorgeschichte: Der Mann war ein Berufsverbrecher und hat sein halbes Leben hinter Gittern verbracht. Den Mord an seiner Gefährtin, für den er die letzten 15 Jahre im Gefängnis war, will er jedoch nicht begangen haben. Seine zweijährige Tochter ist damals von einer Freundin der Frau adoptiert worden.
Zum Reigen der Menschen mit Tatmotiv gehören neben "Knastelse" Roswita (Nadine Wrietz) auch der frühere Komplize, denn Schilling hat vor Gericht bereitwillig alle Raubzüge ausgeplaudert, um seine Glaubwürdigkeit zu untermauern. Eine weitere Kandidatin wäre die mittlerweile 17 Jahre alte Tochter: Die Adoptivmutter, Claudia Perl, (Valerie Koch) hat dem Mädchen nie erzählt, unter welchen Umständen Lotte (Sidney Fahlisch) zur Halbwaise geworden ist. Als sich rausstellt, dass der leibliche Vater seiner Tochter aufgelauert hat, gerät auch der Adoptivvater ins Visier von Linett Wachow und Otto Garber: Das Paar hat sich getrennt, aber Peter Perl (Steffen Groth) inszeniert sich nach Ansicht der verbitterten Gattin gern als Held für Lotte und die leibliche Tochter.
Die Handlung ist zwar interessant und abwechslungsreich, aber nicht wirklich ungewöhnlich. Dass "Der tote Mörder" dennoch fesselt ist, liegt neben dem Ensemble auch an der Umsetzung, die zwar ebenfalls nicht aus dem Rahmen fällt, aber weit mehr als bloß solides Handwerk bietet. Meist sind die unvermeidlichen Schreibtischgespräche, wenn sich Wachow und Garber mit ihrem Chef (Arnfried Lerche) ins Benehmen setzen oder über den Fall fachsimpeln, etwas ermüdend, weil sie der reinen Informationsvermittlung dienen, doch selbst diese Szenen sind wirken nicht langweilig. Sogar für "Sputnik" (Jaecki Schwarz), seit Jahren oft bloß noch ein Pausenclown, hat Berndt eine sinnvolle Beschäftigung gefunden: Weil Ottos geschäftstüchtiger Ex-Kollege ein Herz für alte Sachen hat, kann er dem Team aus der Patsche helfen, als sich rausstellt, dass es Schillings alte Akte nur noch auf Mikrofiche gibt.
Die Vorliebe für in Vergessenheit geratene Gebrauchsgegenstände ist ohnehin ein Merkmal dieses Films, und das nicht nur, weil Roswita in ihrem Laden "Rosis Basar" allerlei angestaubten Krimskrams verkauft, dem das "Vintage"-Etikett zu neuem Glanz verhelfen soll: Dank Berndts Liebe zum Detail darf die Kriminaltechnik an der Leiche Rückstände von Putzmaterialien entdecken, wie sie zur Pflege von Oldtimern verwendet werden. Juwelier Perl besitzt mit einem Ford Mustang Cabrio ein rund sechzig Jahre altes echtes Liebhaberstück, ist allerdings seit einem Raubüberfall vor vielen Jahren erheblich sehbehindert. Ganz und gar nicht von gestern ist dagegen Martin Kinkels Regieführung; für eine über dreißig Jahre alte Reihe kommt "Ein starkes Team" ohnehin ganz schon flott daher. Das gilt auch für Lucas Reiber als neues Ensemblemitglied. Schon die witzige Einführung lässt auf viele heitere Scharmützel zwischen dem IT-Experten Nils Makowski und dem Urgestein Otto hoffen.