epd: Frau Landesbischöfin, die Kirchen haben weniger Mitglieder, weniger Geld und stehen vor großen Veränderungen. Was sehen Sie als größte Herausforderung?
Heike Springhart: Die größte Herausforderung sehe ich darin, die verschiedenen Aspekte einer Volkskirche unter einen Hut zu bekommen. So sind wir etwa wie eine Behörde strukturiert. Wir haben eine sehr komplexe demokratische Struktur und viele Gremien. Gleichzeitig haben wir auch viele Herausforderungen, die unternehmerisches Denken fordern. Das ist nicht kapitalistisch gemeint.
Vielmehr müssen wir zu "Entrepreneuren des Glaubens" werden. Wir müssen auch Ungewöhnliches denken und eine Vision haben, die wir gemeinsam mit anderen entwickeln. Wenn ich es bildlich beschreiben müsste, würde ich sagen, wir sind wie ein großer Tanker, der traditionell langsam voranfährt. Gleichzeitig gibt es die Notwendigkeit, neue Formate einfach mal auszuprobieren. Der Tanker muss also irgendwie auch ein Schnellboot sein. Da sind wir an einem Kipppunkt. Es geht darum, den Tanker beweglicher und wendiger zu machen.
Die Evangelische Landeskirche in Baden bietet verschiedene neuartige Aktionen an, wie "Seelsorge to go" oder "Spontan-Trauungen". Sollte es das noch mehr geben?
Springhart: Ich glaube, es braucht immer das Nebeneinander. Wir brauchen solche leichtfüßigen Blümchen-Aktionen. Der Clou dabei ist, dass wir damit für die Menschen da sind. Es darf aber nicht als Strategie verzweckt werden. Insgesamt wächst bei den Kirchenmitgliedern die Kreativität, der Erfindungsreichtum und die Lust, etwas auszuprobieren. Ich glaube, das sind positive Überreste von Corona. Das finde ich super und will es stärken.
"Kirche wird sich nicht dahin entwickeln, dass es jetzt nur noch 'to go' gibt."
Aber Kirche wird sich nicht dahin entwickeln, dass es jetzt nur noch "to go" gibt. Mit solchen Aktionen zeigen wir Offenheit. Wir haben keine Erwartungen, sondern nehmen stattdessen die Bedürfnisse der Menschen wahr.
Beispielsweise hat das Thema Trauungen eine ganz große Bandbreite - von der ganz großen Feier bis zu einer kleinen Segnung. Da bieten sich etwa "Trauungen to go" an. Wir brauchen dringend den sensiblen Blick dafür, wie sich das ausdifferenziert.
Gehört dazu auch Ihre Aktion "Wandern mit der Bischöfin"?
Springhart: Mir ist es in meiner Arbeit wichtig, immer wieder nahbare und überraschende Begegnungen zu ermöglichen. Dieses Zufällige, dieses Miteinander, ermöglicht eine andere Form von Begegnungen als bei festen Terminen. Wir müssen raus aus den Strukturen, in denen wir uns früher bewegt haben. Daher habe ich die Touren angeboten.
Der Charme dieser Aktion liegt darin, dass es eine große Bandbreite gibt, worüber ich mit den Menschen ins Gespräch komme. Manche erzählen einfach, wie es ihnen geht und natürlich gibt es Fragen zur Zukunft der Kirche.
Sehr berührend war für mich das Gespräch mit einer 80-jährigen Dame, die ich bei einer Wanderung getroffen habe. Ein paar Monate zuvor hatte ich ihr und ihrem Mann zur Goldenen Hochzeit gratuliert. Kurz darauf war ihr Mann gestorben. Weil sie und ihr Mann auch oft in der Natur unterwegs waren, hatte sie beschlossen, zur Wanderung zu kommen. Das war dann sehr schnell ein seelsorgerliches Gespräch.
Kirchen werden nicht nur von Gottesdienstgängern besucht. Trotzdem sind viele Gotteshäuser außerhalb von Gottesdiensten zu. Sollten sie nicht mehr geöffnet werden?
Springhart: Kirchen müssten eigentlich offen sein, zumindest da, wo Menschen vorbeikommen. Viele schauen sich Kirchen vielleicht erst einmal aus einem kulturhistorischen Interesse an. Aber ein Kirchenraum spricht auch für sich. Er hat eine bestimmte Atmosphäre und verändert Menschen, die hereinkommen. Sie können dort auch einfach nur Da-Sein.
Ansprechpartner in Kirchenräumen schaffen
Da kann es auch kleine Signale der Gastfreundschaft geben, etwa einen Wasserspender. Dort, wo es leistbar ist, könnte es auch, ganz niederschwellig, einen Ansprechpartner geben. In Siebenbürgen etwa hat die Landeskirche in jeder Kirche einen Kirchenhüter, die mit Stolz ihre Kirche offenhalten und auch die Bedeutung erklären können.
In diesem Jahr gehen gleich drei Oberkirchenräte in den Ruhestand oder ihre Amtszeit endet. Welche Veränderung gibt es in der badischen Kirchenleitung?
Springhart: Es ist ein Umbruch, wenn drei von sechs Oberkirchenrats-Stellen neu besetzt werden. Das ist eine Herausforderung, aber auch eine Chance, Zuständigkeiten anders zu verteilen. Kürzungen oder das Zusammenlegen von Referaten sind aber nicht geplant.