"Der Weg führt immer zur Mitte", erklärt Pfarrer Thomas Bachofner im kühlenden Baumschatten vor dem Thymian-Labyrinth: "Es ist kein Irrgarten, und es hat keine Sackgassen." Deshalb könne man Vertrauen haben und Schritt für Schritt gehen, selbst wenn der Pfad scheinbar wieder zurückführe. "Einfach dran bleiben, sich neu ausrichten und einlassen", empfiehlt er. Auch wenn die Wege gewunden seien, gebe es nur einen Weg zur Mitte.
Das Labyrinth ist ein uraltes Symbol für den Lebensweg, bekannt nicht nur aus christlichen Klöstern. Vorbild für das reich blühende Thymian-Labyrinth in den Gärten der Kartause Ittingen war eine Klosterhandschrift des 9. Jahrhunderts aus Sankt Gallen. Acht Umgänge zeigte es dort, sieben Umgänge hat es hier im Thurgau, 205 Meter ist der Weg lang.
Zur Einstimmung singt die kleine Gruppe an Zufallsgästen im schweizerischen Ittingen gemeinsam ein Lied: "Geh aus mein Herz und suche Freud". Pfarrer Bachofner, der auch Leiter der Bildungsstätte ist, hat es für diesen Sommertag ausgesucht. Textsicher und mit geschulter Stimme ist ein Paar aus Solothurn. Ebenso melodisch singen zwei Gäste aus dem Emmental, die gerade einen Kurzurlaub in der Kartause beginnen.
Eine größere Familie hält sich etwas zurück, doch den Text kennen auch sie. "Was erfreut mein Herz?" könne man sich auf dem Weg überlegen, jede und jeder für sich, sagt Bachofner und gibt die Spielregeln vor: "Wir gehen in der Stille und ohne zu überholen."
"Geh aus mein Herz und suche Freud"
Bedächtig in der Mitte angekommen sammeln sich alle um den zentralen Stein, genießen den Duft des Thymians und der Linde nebenan, den puren Sommerduft. Beispiele für Freuden und Genüsse des Sommers, wie sie auch im Lied vorkommen. Früchte und Glaubensfrüchte zum Lobe und von der Gnade des Herrn, das Eingangslied hat viele Strophen. Bachofner zitiert zwei weitere: "Mach in mir deinem Geiste Raum", heißt es da.
"Ein guter Gedanke, der mir bleiben wird", meint später eine Teilnehmerin. Man kommt noch ins Gespräch, spricht über Begegnungen - vor allem mit unterschiedlichen Religionen und Weltanschauungen. Dass es mehr Verständigung braucht in der Welt, glauben viele.
Friedlicher Austausch scheint wichtiger denn je: Im Untergeschoss der Kartause Ittingen wird gerade eine Ausstellung gezeigt zum Ittinger Sturm, einem dramatischen Ereignis der frühen Reformationszeit vor 500 Jahren. Das Kloster wurde dabei geplündert und niedergebrannt, die Gemeinschaft vertrieben. Nur durch viel Glück und die Beharrlichkeit eines Bruders, der als Verwalter fungierte, konnte es erhalten und wieder aufgebaut werden. 1848 wurde das Kloster aufgehoben und war über hundert Jahre in privatem Besitz.
Seit 1977 wird die Kartause Ittingen von einer Stiftung getragen und aufwändig renoviert: 1982 konnte sie als Seminarhotel mit Restaurant, landwirtschaftlichem Betrieb und zwei Museen neu eröffnet werden. Zeitgleich startete auch Tecum, die Bildungsstätte der Evangelischen Landeskirche Thurgau. Sie ist Mieter im einst katholischen Kartäuserkloster.
Bachofner, der die ökumenisch ausgerichtete Bildungsstätte Tecum seit 2010 leitet, erläutert das Konzept der begleiteten Meditation. Das Thymian-Labyrinth nehme den Einzelnen mit auf einen Weg, der ganz real, aber auch innerlich zur Mitte führe.Bei den Gesprächen gehe es dann häufig darum, dass viele wissen, was sie tun und leisten. Im Gegensatz dazu, sagt der Theologe, "wissen wir oft weniger, wer wir denn im Kern sind." Um zu dieser Klarheit zu finden, kann auch das bewusste Gehen beitragen: Schritt für Schritt, umgeben vom Duft des Thymians, immer in Richtung der Mitte.