Wenn Fürsorge krank macht

Zwei Hände ineinander verschlungen.
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Nach Ansicht von Chefärztin Katharina Grobholz würden pflegende Angehörige oft die eigenen Bedürfnisse vergessen.
Welttag der Pflege
Wenn Fürsorge krank macht
Die Fachärztin für Gerontologie, Psychiatrie und Psychotherapie an der Klinik Jägerwinkel am Tegernsee, Katharina Grobholz, macht anlässlich des "Internationalen Tags der Pflege" am 12. Mai auf den "Burnout" pflegender Angehöriger aufmerksam.

In Deutschland sind laut dem Statistischen Bundesamt in Wiesbaden (2023) rund fünf Millionen Menschen pflegebedürftig. Vier von fünf Pflegebedürftigen werden zuhause versorgt, zumeist von Angehörigen. Fürsorge kann krank machen, erklärt die Fachärztin für Gerontologie, Psychiatrie und Psychotherapie an der Klinik Jägerwinkel am Tegernsee, Katharina Grobholz, im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).

epd: Frau Grobholz, wie oft kommen pflegende Angehörige zu Ihnen in die Klinik?

Katharina Grobholz: Wir haben hier eine Patientengemeinschaft, die im Mittel alle sechs Wochen rotiert. Da ist fast immer ein Patient dabei, der mit einer Belastung aufgrund der Pflege von Angehörigen kommt.

Mit welchen Beschwerden kommen diese Patienten?

Grobholz: Sehr häufig sind Schlafstörungen und ein Erschöpfungssyndrom, oft ist auch eine depressive Symptomatik dabei. Die Menschen können nicht mehr. Viele beklagen auch körperliche Beschwerden, Rückenschmerzen, Verspannungen.

Kommen die Angehörigen aus eigenem Antrieb?

Grobholz: Meistens ist es so, dass das Umfeld, die Kinder oder nahe Verwandte, sagen, "Du musst einmal etwas für dich tun". Wenn sie einmal durchschnaufen dürfen, merken die Patienten erst, wie erschöpft sie eigentlich sind.

Ist das dann ein "Burnout"?

Grobholz: Letztendlich ist es ein Burnout wie bei anderen Tätigkeiten auch, die dazu führen, dass man in eine Überlastung, in eine Überforderung kommt, dass die Selbstfürsorge leidet, man die eigenen Bedürfnisse vergisst und über die eigenen Grenzen geht. Es ist genauso ein Burnout, wie bei einer beruflichen Arbeit. Wer pflegt, übernimmt Verantwortung. Man denkt "ich muss". Zusätzlich kommt die emotionale Komponente etwa durch Beziehungs- oder Rollenkonflikte hinzu, die das Ganze erschwert.

"Oft wollen die Pflegebedürftigen keine professionelle Hilfe, sondern akzeptieren nur den Angehörigen für die Körperpflege."

Es gibt ja auch professionelle Pflegekräfte. Sind diese ebenso überlastet wie pflegende Angehörige?

Grobholz: Das ist anders. Wir haben Pflegekräftemangel in Deutschland. Menschen, die in der Pflege arbeiten, müssen teilweise in mehreren Schichten einspringen, Überstunden machen. Sie haben einen anstrengenden Job. Aber wenn ich Angehörige pflege, kommt noch diese Ambivalenz dazu, dass es sich um nahestehende Menschen, den Partner, die Mutter handelt. Die Betroffenen leiden häufig unter inneren Konflikten und Schuldgefühlen, wie zum Beispiel der Wunsch, die Mutter eigentlich ins Pflegeheim zu verlegen, die das aber eben nicht will. Oft wollen die Pflegebedürftigen keine professionelle Hilfe, sondern akzeptieren nur den Angehörigen für die Körperpflege. Oder Dienste wie "Essen auf Rädern" werden abgelehnt und die Angehörigen sehen sich in der Pflicht zu kochen.

Wie helfen Sie den pflegenden Angehörigen? Sie können die häusliche Situation doch nicht ändern...

Grobholz: Wir schaffen einen sicheren Raum und vermitteln, dass es jetzt um den Pflegenden geht. Die Patienten genießen es sehr, zu merken, es kümmert sich jemand um sie. Wir machen auch klar, dass auch sie noch eine Rolle spielen, dass es auch um ihre Bedürfnisse geht, dass auch sie vom Pflegebedürftigen Kompromissbereitschaft einfordern dürfen. Wir beraten bei der Kommunikation und loten gemeinsam mit den Betroffenen Entlastungsmöglichkeiten für die Tagesabläufe aus.

Die Sorge um einen lieben Menschen scheint dazu zu führen, dass der Pflegende die Selbstfürsorge vergisst. Wie könnte man das ändern?

Grobholz: Manche Angehörigen haben schon ein gutes Helfernetz aufgebaut. Die Pflege bleibt trotzdem anstrengend. Hier kann eine Auszeit helfen. Anderen hilft es zu wissen, dass sie vielleicht einen höheren Pflegegrad beantragen können oder wie sie nach der Rückkehr aus der Klinik Inseln für sich in den Alltag einbauen können. Das Ziel ist, dass die Patienten auch im Alltag bewusster für sich sorgen, also eine Balance zwischen eigenen und den Bedürfnissen des Pflegebedürftigen zu finden, ohne Schuldgefühle zu haben.

Wenn die "Babyboomer" ins pflegebedürftige Alter kommen, werden noch mehr Menschen pflegebedürftig sein. Wie sind wir als Gesellschaft darauf vorbereitet?

Grobholz: Wir haben das Problem, dass der Pflegekräftemangel noch gravierender wird. Die Regierung versucht hier gegenzusteuern. Zudem ist es so, dass die Menschen dank besserer Medizin immer älter werden. Es gibt verschiedene Projekte und Strategien des Bundesgesundheits- und des Familienministeriums, sich auf die zukünftige Bevölkerungsentwicklung vorzubereiten wie etwa die "Nationale Demenzstrategie". Das geht bei der Prävention los, beinhaltet aber auch die Schaffung passender Wohnformen, zum Beispiel mit Mehrgenerationenhäusern und speziellen Wohnprojekten für Senioren. Zudem wird versucht, Pflegekräfte aus dem Ausland zu mobilisieren. Man ist sich des Problems bewusst. Eine endgültige Lösung gibt es noch nicht.