Der Rücktritt ihrer Ratsvorsitzenden Annette Kurschus sorgt in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für Diskussionen über den künftigen Umgang mit Vorwürfen im Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt. "Es geht um Vertrauen und um Glaubwürdigkeit", sagte die nach dem Rücktritt von Kurschus amtierende EKD-Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs am Dienstag bei einer digitalen Sitzung der Synode. Die Hamburger Bischöfin sieht nach eigenen Worten eine "große Verunsicherung" in den EKD-Leitungsgremien. "Für mich kommt es jetzt darauf an, verlorenes Vertrauen wieder herzustellen", sagte Fehrs, die bislang stellvertretende Ratsvorsitzende war. In der vergangenen Woche habe es intensive Beratungen mit den Betroffenen-Vertretern im EKD-Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt gegeben.
Annette Kurschus war am 20. November vom EKD-Ratsvorsitz und als Präses der westfälischen Kirche zurückgetreten. Ihr wird vorgeworfen, mit einem mutmaßlichen Fall sexualisierter Gewalt nicht ausreichend transparent umgegangen zu sein. Der Fall reicht in die 90er Jahre zurück, Beschuldigter ist ein ehemaliger Kirchenmitarbeiter aus Kurschus' früherem Arbeitsumfeld in Siegen, den sie laut eigener Aussage sehr gut kennt. Er soll junge Männer sexuell bedrängt haben.
Die "Siegener Zeitung" hatte unmittelbar vor und während der EKD-Synodentagung Mitte November in Ulm darüber berichtet. Kurschus nahm nach den Berichten am Abend des 14. November vor der Synode Stellung. Die EKD-Jahrestagung wurde wegen des bundesweiten Bahnstreiks am nächsten Morgen unterbrochen und sollte am Dienstag digital abgeschlossen werden.
Viele Synodale äußerten bei der Tagung der Synode Unzufriedenheit mit dem Krisenmanagement der EKD und beim Umgang mit Kurschus. Mehrere Synodale sagten in der Aussprache am Dienstag, sie seien "überrumpelt" worden von dem Vorgang. Eine konsequente Krisenkommunikation hätte ein anderes Handeln ermöglicht, sagte die Leiterin der Evangelischen Akademie in Berlin, Friederike Krippner. Die badische Landesbischöfin Heike Springhart adressierte konkret den Rat der EKD. Sie hätte erwartet, dass der Rat zunächst auf eine Klärung dringe. Das Problem werde nicht dadurch gelöst, "dass Einzelne von uns zum Rücktritt gedrängt werden".
Göring-Eckardt: Keine Alternative zu Rücktritt
Ratsmitglied Jacob Joussen, der Rat sei von den Informationen genauso überrumpelt gewesen. Er sagte, er habe nur wenige Tage vor der Synode "Gerüchte" gehört und selbst durch die "Siegener Zeitung" erst mehr erfahren. Kurschus wusste nach eigenen Worten seit dem Frühjahr durch eine Anzeige von den Vorwürfen gegen den Beschuldigten.
Andere Redner problematisierten, dass Kurschus in ihrer Stellungnahme den Medienberichten widersprach, die auf Schilderungen Betroffener beruhten. Es gehe um die Glaubwürdigkeit der Kirche und die Frage, ob sie der Ort sei, an dem Betroffenen geglaubt werde, sagte Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne), die der Synode angehört. Deswegen habe es keine andere Möglichkeit als den Rücktritt gegeben, den sie persönlich bedauere.
Auch Synodenpräses Anna-Nicole Heinrich unterstrich, für sie sei "handlungsleitend, dass betroffene Personen und die Aufarbeitung an erster Stelle stehen müssen". Heinrich war innerkirchlich für Äußerungen vor Journalisten kritisiert worden, mit denen sie erklärt hatte, warum sie nach der Stellungnahme von Kurschus bei der Tagung in Ulm nicht applaudiert hatte. Sie bedauere es, wenn bei manchen Personen der Eindruck entstanden sei, "die Synode, der Rat der EKD oder ich selbst haben sich unzureichend solidarisch mit Annette Kurschus gezeigt", sagte sie.
Heinrich sagte, man werde einen Weg finden müssen, "mit möglichen Vorwürfen dieser Art angemessen umzugehen" und bot der Synode weitere Gespräche an. In welcher Form diese Gespräche geführt werden, soll in den nächsten Wochen geklärt werden. Beratungen zu dem Thema stehen nach ihren Worten auch im Rat und der Kirchenkonferenz, dem Zusammenschluss der Landeskirchen, an.
Zum Abschluss ihrer diesjährigen Beratungen entschied die Synode am Dienstag in der digitalen Sitzung zudem über Kirchengesetze, den Haushalt für das nächste Jahr und verschiedene Entschließungen. Die Synode verurteilte den Terror der Hamas in Israel und Antisemitismus, der sich nach den Anschlägen der Terrororganisation auch in Deutschland gezeigt hat. In einem weiteren Beschluss rät die EKD-Synode von der Wahl der AfD ab. Die menschenverachtenden Haltungen und Äußerungen insbesondere rechtsextremer Kräfte in der AfD seien mit den Grundsätzen des christlichen Glaubens in keiner Weise vereinbar, heißt es darin. Beim Thema sexualisierte Gewalt sprach sich die Synode einstimmig für einheitliche Verfahren und Leistungen zur Entschädigung Betroffener aus.