Autor Robert Hummel ist zwar nicht der erste, der auf der Basis des sogenannten Strafklageverbrauchs eine juristisch reizvolle Geschichte konstruiert hat, aber Krimis dieser Art sind vergleichsweise selten, obwohl sie die besten Voraussetzungen für eine auch emotional fesselnde Handlung bieten.
Episodenhauptfigur des achtzehnten Falls für den Wirtschaftsanwalt Thomas Borchert (Christian Kohlund) ist ein verbitterter Vater. Dank neuer technischer Möglichkeiten kann es zumindest aus Sicht von Hans Siegenthaler (Thomas Huber) keinen Zweifel mehr daran geben, dass Bernadette Schanz (Melissa Anna Schmidt) vor rund zehn Jahren nach einem Eifersuchtsstreit bei einer Party seine Tochter erstochen hat, zumal sich auf der Tatwaffe ein Fingerabdruck von ihr befand, doch sie hatte ein Alibi.
Nun ist ein nahezu unumstößlicher weiterer Hinweis aufgetaucht, aber eine erneute Anklage wäre nur möglich, wenn die Frau, mittlerweile erfolgreiche Unternehmerin, ein Geständnis ablegen würde; eine "himmelschreiende Ungerechtigkeit", wie selbst Hauptmann Furrer (Piere Kiwitt) einräumt. Als auf Bernadette und ihren Mann geschossen wird, ist es jedoch Siegenthaler, der verhaftet wird: Bei der Tatwaffe handelt es sich zweifelsfrei um sein Gewehr.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
"Borchert und der Mord ohne Sühne" ist Hummels zweites Drehbuch für die Reihe, sein erster Beitrag war Episode Nummer 15, "Borchert und das Geheimnis des Mandanten" (2022), ein Krimi, der zunächst nicht weiter aufregend wirkte, sich dann jedoch zu eindrucksvoller Komplexität entwickelte, zumal sich hinter der ersten Wahrheit eine erschütternde zweite verbarg und die Handlung in ein packendes Thrillerfinale mündete.
Ganz so komplex ist die Geschichte diesmal nicht, zumal das "Ne bis in idem"-Prinzip immer wieder ins Zentrum rückt: Um der Gerechtigkeit doch noch zum Sieg zu verhelfen, wollen Borchert und Kanzleipartnerin Dominique Kuster (Ina Paule Klink), die den Fall pro bono übernehmen, nach Schleichpfaden abseits der üblichen juristischen Wege suchen und sich in Anlehnung an den Fall O.J. Simpson, wie es Borchert formuliert, "zur Not durchs Unterholz" schlagen.
Dass der Film nicht ganz die Intensität der sonstigen "Zürich-Krimis" erreicht, hat vermutlich auch mit dem Personal hinter der Kamera zu tun: Regie führte ausnahmsweise nicht Roland Suso Richter, der für die Reihe bereits zwölf Folgen inszeniert hat, sondern Connie Walther. Die sehenswerte Bildgestaltung der gebürtigen Isländerin Birgit Gudjonsdottir, die seit vielen Jahren regelmäßig mit Walther zusammenarbeitet, orientiert sich jedoch gerade bei der Lichtsetzung an dem von Richter und seinem Kameramann Max Knauer geprägten Stil; vor allem der SEK-Einsatz bei der versuchten Verhaftung Siegenthalers ist eine optisch eindrucksvolle Szene.
Allerdings haben die kaum bis gar nicht bekannten Mitwirkenden in den Episodennebenrollen bei weitem nicht das Charisma Christian Kohlunds, der unter anderem mehr spür- als sichtbar vermittelt, wie sehr ihm eine unfreundliche Aufwartung von Bernadette Schanz’ Leibwächter unter die Haut gegangen ist. Sehr präsent ist dagegen Gitta Schweighöfer: Bernadettes Mutter ist eine Frau, die man nicht zur Feindin haben möchte; und erst recht nicht als enge Verwandte.
Umso sympathischer sind die kleinen Momente, in denen Hummel beiläufig die Handlung des letzten Films aufgreift: Zwischen Kuster und ihrem Freund, dem Polizisten Furrer (Pierre Kiwitt), herrscht Funkstille, seit sie einen erheblichen Vertrauensbruch begangen hat; Borchert, der seine Partnerin dazu angestiftet hatte, will zwischen dem Liebespaar vermitteln. Eine weitere Nebenebene gilt der geplanten Fusion mit der Kanzlei von Borcherts Freund Reto (Robert Hunger-Bühler), Kusters Vater, und tatsächlich gelingt es Kohlund, den Satz "Mit Ihnen würde ich auch fusionieren" nicht anzüglich klingen zu lassen.