"Es mag politisch schwierig zu vermitteln sein, aber das ist die Realität: Wir müssen uns darauf einstellen, dass jedes Jahr eine halbe Million bis Million Schutzsuchender zu uns kommt", sagte der Generalsekretär der Kommission der Kirchen für Migranten in Europa (CCME), Torsten Moritz. 20 Jahre lang sei vergeblich versucht worden, die Zahl durch Abschottung zu reduzieren. "Wir beobachten, wie die Rechte von Flüchtlingen und Migranten mit dieser Politik weiter beschnitten werden. Das sorgt für mehr Tote und mehr Verelendung, aber nicht für niedrigere Migrationszahlen."
Dass die Kommunen derzeit an Überlastung litten, liege auch daran, dass einige nach 2016 ihre Aufnahmekapazitäten abgebaut hätten. "Das ist so, als würde ich die Feuerwehr abschaffen, weil es drei Monate nicht gebrannt hat", sagte Moritz. "Es muss dauerhaft damit gerechnet werden, dass Migrantinnen und Migranten kommen und wenn es eine vernünftige Infrastruktur gibt, dann ist das auch leistbar."
Von der groß angelegten europäischen Asylreform, an der die EU unter Hochdruck arbeitet, verspricht sich Moritz kaum Verbesserung. "In dem Reformpaket ist eigentlich nichts enthalten, was nicht schon versucht wurde." Es gebe bereits ein gemeinsames europäisches Asylsystem. Das Problem sei, dass die Regeln nicht eingehalten würden. Gerade in Deutschland kommen nach seinen Worten sehr viele Menschen an, die eigentlich von einem anderen Land aufgenommen werden müssten. "Die Kommission ahndet das nicht und bisher ist völlig unklar, was sie in Zukunft tun will, wenn die neuen Regeln ebenfalls gebrochen werden", erklärte der CCME-Generalsekretär.
Auch Migrationsabkommen mit Drittstaaten, wie das angestrebte Migrationsabkommen der EU mit Tunesien, hält Moritz für den falschen Ansatz: "Man muss sich bewusst machen, dass EU-Abkommen Länder oft nicht stärken, sondern destabilisieren. Das führt dazu, dass noch mehr Menschen eine Region verlassen", erläuterte er. Solche Abkommen könnten Fluchtursachen also verschärfen.
Als Beispiel nannte der Migrationsexperte die gescheiterte Zusammenarbeit der EU mit dem Niger. Die Regierung im Niger habe acht Jahre intensiv mit der EU zusammengearbeitet, Grenzen geschlossen und dadurch auch Handel unterbunden. "Die Bevölkerung habe das "hart getroffen", sagte Moritz. "Das war einer der Gründe, warum die Bevölkerung den Militärputsch im Land unterstützt hat."