"Mütter und Söhne", Fall Nummer 21 für die Flensburger Ermittlerin Jana Winter (Natalia Wörner), ist ein gutes Beispiel: Was andernorts oftmals allzu plump in eine inhaltliche Sackgasse führt, sorgt hier für ein verblüffendes Ende, das allerdings auch ein wenig konstruiert wirkt; das unterscheidet ein gutes von einem sehr guten Drehbuch. Zum Ausgleich sorgt Autorin Elke Rössler, die auch die sehenswerte Episode "Für immer und ewig" (2021) geschrieben hat, für eine reizvolle Vermischung von Privat- und Berufsleben.
Auch der Fall ist verzwickt: Ein Auto ist von einer Landstraße abgekommen, hat ein Brückengeländer durchbrochen und ist in die Tiefe gestürzt; der Fahrer ist tot. Möglicherweise ist er durch die Scheinwerfer eines entgegenkommenden Fahrzeugs auf seiner Spur geblendet worden. Clever lenkt der Film den Verdacht auf Winters Sohn Leo (Jacob-Lee Seliger): Die ersten Bilder zeigen ein nächtliches Zweiradrennen. Der minderjährige Junge war abends auf einer Party und fährt ein leistungsstarkes Moped, das beschädigt ist; außerdem hat er ein blaues Auge.
Bei der rechtsmedizinischen Untersuchung stellt sich zwar raus, dass der Autofahrer bereits vor dem Sturz tot war, aber Leo ist trotzdem nicht aus dem Schneider: Erst tischt er seiner Mutter diverse Lügen über den Ablauf des Abends auf, dann begeht er einen erheblichen Vertrauensbruch.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Geschickt hält Rössler lange in der Schwebe, was während der Party passiert ist und in welcher Verbindung Leo zu dem zweiten Sohn steht, auf den sich der Titel bezieht: Lukas Jepsen (Tom Gronau), Polizeischüler kurz vor dem Abschluss, taucht verdächtig oft an Orten auf, die mit den Mordermittlungen zu tun haben. Das Opfer war ein Mann, dem offenbar niemand eine Träne nachweint: Als Hausbesitzer hat er seine Mieter schikaniert, als Chef eines Pflegedienstes seine größtenteils aus Osteuropa stammenden Angestellten ausgebeutet. Jepsens Mutter Imogen (lsabella Bartdorff) hat ebenfalls für ihn gearbeitet.
Eine Nebenebene mit einem wütenden Mieter, der sich seine Wochenenden als Fußball-Hooligan vertreibt, ist zwar rasch als Täuschungsmanöver der Autorin zu durchschauen, aber als Winters Kollege Brauner (Martin Brambach) interessante Details in den Biografien weiterer Beteiligter entdeckt, scheint der Film sein Geheimnis kurz vor der Hälfte preisgegeben zu haben. Trotzdem bleiben noch wichtige Fragen offen, zum Beispiel jene, welches Geheimnis Leos bei Lukas gut aufgehoben sei, wie der Polizei-Azubi versichert. Die vermeintliche Lösung entpuppt sich ohnehin nur als halbe Wahrheit.
Dass "Mütter und Söhne" zwar sehenswert, im Rahmen der 2006 gestarteten und oft vorzüglichen Reihe aber dennoch nur unterer Durchschnitt ist, hat auch mit der Umsetzung zu tun. Zum ersten Mal überhaupt oblag die Regie nicht Judith Kennel. Die Schweizerin hat "Unter anderen Umständen" von Anfang an sehr "skandinavisch" geprägt: etwas unterkühlt, atmosphärisch düster, mit einer reizvollen Mischung aus Nähe und Distanz zu den Figuren.
Das passte gut zu Natalia Wörners Spiel: Jana Winter kann durchaus herzlich sein, gewährt aber nur selten Einblicke in ihr Innenleben. Gunnar Fuss, als Kameramann überaus renommiert und seit einigen Jahren auch als Regisseur unterwegs, bleibt Kennels Stil treu, doch abgesehen vom Finale kommt ähnlich wie zuletzt bei seiner "In Wahrheit"-Episode "Blind vor Liebe" kaum Krimispannung auf.
Bedauerlich ist zudem, dass er den forschen Lukas von Anfang an "inszeniert", sodass allzu früh klar wird: Der Eifer des durchaus sympathischen jungen Mannes hat nicht allein berufliche Gründe. Die sehr präsente Musik (Christoph Zirngibl) lässt ohnehin keinen Zweifel daran, dass keineswegs "alles okay" ist, wie Lukas seiner Mutter zu Beginn versichert. Schade auch, dass die beiden Jungs ihre gegenseitigen SMS-Nachrichten laut vorlesen müssen. Dafür erfreut Rössler, gemeinsam mit Simon X. Rost Autorin der Sonntagsreihen "Ella Schön" und "Dr. Nice", die teure Anhängerschaft von "Unter anderen Umständen" mit der einen oder anderen Fußnote, darunter ein wehmütiger Blick der verwitweten Winter auf ein Foto von Matthias Brandt, der in den ersten drei Episoden ihren Mann gespielt hat.