Der eine ist reich, sitzt im Rollstuhl und ist auf Hilfe angewiesen, der andere stammt aus einfachen Verhältnissen, ist vorbestraft und will den Job als Hilfskraft eigentlich gar nicht: So begann "Ziemlich beste Freunde" (2011); der Film war ein Überraschungserfolg in ganz Europa. Als nächstes haben die Franzosen Éric Toledano und Olivier Nakache, die stets auch die Drehbücher schreiben, "Heute bin ich Samba" (2014) gedreht; die Komödie über einen Pariser Einwanderer ohne Papiere, der in ständiger Angst vor der Abschiebung lebt, war nur vordergründig komisch. Für das jüngste Werk des Duos gilt das nicht minder, und doch verströmt auch "Alles außer gewöhnlich" eine enorme Lebensfreude.
Hauptfigur des Films ist der Leiter des Vereins "La voix de justes" (Die Stimme der Gerechten) Bruno (Vincent Cassel), ein Sozialarbeiter, der vor lauter Engagement keine Zeit für ein Privatleben hat. Die Versuche seiner Freunde und Kollegen, ihn zu verkuppeln, sorgen für die amüsante Ebene des Films. Bruno zeichnet sich durch eine gleichermaßen bewundernswerte wie folgenschwere Eigenschaft aus: Er kann nicht nein sagen. Weil er außerdem dafür bekannt ist, immer eine Lösung zu finden, wird er ständig angerufen, wenn irgendwo Not am Mann ist; prompt klingelt sein Telefon ständig.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Zweite Hauptfigur ist Malik (Reda Kateb), der sich eine ähnlich große Herausforderung aufgebürdet hat: Er bildet Jugendliche aus sozialen Brennpunkten zu Betreuern für Brunos Schützlinge aus. Zwar platzt den beiden Männern hin und wieder auch mal der Kragen, aber meist zeichnen sie sich durch eine Engelsgeduld aus. Daran haben sich Toledano und Nakache offenbar ein Beispiel genommen: Sie nehmen sich viel Zeit für die einzelnen Szenen.
All’ das hätte ein erschütterndes Drama werden können: über Menschen "außerhalb der Norm" (wie der Originaltitel lautet), die den reibungslosen Ablauf stören, sowie über Sozialarbeiter, die völlig überlastet sind und sich zudem mit den Behörden rumärgern müssen. Geschickt lassen Toledano und Nakache die sozialpolitischen Hintergründe einfließen, ohne den Handlungsfluss zu stören: Bruno hat keine offizielle Genehmigung, weshalb seine Einrichtung geschlossen werden soll; zwei Vertreter des Ministeriums für Gesundheit und Soziales führen Gespräche mit den verschiedenen Beteiligten, um mehr über den Verein zu erfahren.
Die herausragende Qualität des Films liegt jedoch in der Arbeit mit den Schauspielern. Die Darsteller der Jugendlichen sind ausnahmslos Laien, die ihre Sache aber vorzüglich machen. Drei von ihnen rücken mehr und mehr in den Vordergrund: Bruno muss den autistischen Joseph (Benjamin Lesieur) regelmäßig bei der Bahnpolizei abholen, weil der junge Mann bei Bahnfahrten gern die Notbremse zieht. Da er Experte für Waschmaschinen aller Art ist, bringt Bruno ihn in einer entsprechenden Werkstatt unter, aber auch das geht nicht gut, denn Joseph entflammt umgehend in Liebe zu einer Kollegin; und er hat eine eher ungewöhnliche Art, seine Zuneigung zu zeigen.
Malik wiederum hat regelmäßig Ärger mit einem seiner jungen Auszubildenden: Dylan (Bryan Mialoundama) ist unzuverlässig und trotzig, entwickelt aber dennoch eine Bindung zum jungen Valentin (Marco Locatelli), der komplett in einer eigenen Welt lebt.
Einige Male versetzt der Film die Zuschauer in Valentins Lage und zeigt seine optisch und akustisch stark eingeschränkte Wahrnehmung. In der mit Abstand dramatischsten Szene des Films verschwindet Valentin, als Dylan kurz vor die Tür geht, um eine Zigarette zu rauchen; die Sozialarbeiter entdecken den Jungen schließlich mitten im Verkehr auf einer vielspurigen Stadtautobahn.
Dramaturgischer Ausgleich für diese Nervenprobe ist eine hübsch eingefädelte Romanze zwischen Dylan und einer attraktiven Logopädin (Lyna Khoudri). Die Handlung des Films beruht ausnahmslos auf Tatsachen. Toledano und Nakache haben die beiden Männer, denen Bruno und Malik nachempfunden sind, zwei Jahre lang begleitet. Kein Wunder, dass die Grenze zwischen Realität und Fiktion immer wieder verschwimmt und die Hommage an zwei Helden des Alltags mitunter fast dokumentarisch wirkt.