Der Umgang mit Flüchtlingen in Europa hat am Samstag die politischen Diskussionen auf dem evangelischen Kirchentag in Nürnberg bestimmt. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verteidigte vor rund 5.000 Menschen in Nürnberg den Kompromiss der EU-Innenminister zur Reform des europäischen Asylsystems von dieser Woche. "Es geht um Solidarität", sagte Scholz. Der Kanzler erhielt dafür Applaus, aber auch Protestrufe aus dem Publikum. Der Kirchentag geht an diesem Sonntag zu Ende.
Die Verabredung sei, dass ein Solidaritätsmechanismus etabliert werde, in dem Staaten wie Deutschland Flüchtlinge aus den Grenzstaaten übernehmen, dort dafür aber alle registriert werden. Dieser vereinbarte Mechanismus sei ein faireres Asylsystem als das heutige, ergänzte Scholz. Gleichzeitig verteidigte Scholz die Pläne für Grenzverfahren, die dazu führen sollen, dass Menschen ohne Schutzberechtigung in der EU schnell wieder zurückgeschickt werden. Es brauche Regeln.
Gegen eine geplante Verschärfung des EU-Asylrechts protestierten dagegen Teilnehmende des Kirchentags mit einer Resolution. Darin wenden sie sich gegen einen "Ausverkauf der Menschenrechte" und einen "Frontalangriff auf den Rechtsstaat und das Flüchtlingsrecht". Geflüchtete erwarte an den EU-Außengrenzen nach den Plänen künftig nur ein Schnellverfahren ohne inhaltliche Prüfung der Fluchtgründe.
Die Resolution wurde bei einer Veranstaltung im "Zentrum Menschenrechte" des Kirchentages gefasst. Eine große Mehrheit der rund 500 Anwesenden stimmte dafür. Allerdings gab es auch zweistellige Zahlen von Gegenstimmen und Enthaltungen.
Scholz erklärt seinen Kirchenaustritt
Scholz hat auf dem Kirchentag auch die Bedeutung von Religionsfreiheit betont. "Ich habe eine öffentliche Verantwortung auch zum Schutz des Glaubens", sagte Scholz am Samstag in Nürnberg. Der Kanzler wurde zuvor darauf angesprochen, dass er selbst aus der evangelischen Kirche ausgetreten ist. "Ich habe für mich eine Entscheidung getroffen", sagte Scholz. Gleichzeitig bekannte der Regierungschef: "Ich zähle zu den wenigen Deutschen, die das Alte und das Neue Testament gelesen haben."
Über "Außenpolitisches Handeln in der Zeitenwende" wollten am Samstagabend Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Altbundespräsident Joachim Gauck in Nürnberg diskutieren.
Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz betonte auf dem Protestantentreffen die Grenzen politischer Handlungsmöglichkeiten. "Wir müssen uns als Politikerinnen und Politiker bewusst sein, dass wir immer nur die vorletzten Dinge auf dieser Welt lösen können", sagte Merz am Samstag in einer Bibelarbeit: "Politik kann das Heil Gottes nicht bringen und auch nicht ersetzen." Bestenfalls könne Politik, "die nahe vor uns liegende Zukunft gestalten, aber nicht die endgültige gewinnen".
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) rief dazu auf, vor den Krisen der Welt nicht zu resignieren. "Krieg, Klimawandel, Armut und soziale Ungleichheit können in gemeinsamer Verantwortung bewältigt werden", sagte er bei einer Bibelarbeit. Jeder, im Großen und im Kleinen, trage Verantwortung vor Gott, sich selbst einzubringen und an einer besseren Zukunft mitzuarbeiten. Heil sprach über die Bibelstelle "Die Zeit wird kommen" aus dem Lukas-Evangelium.
Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, forderte die Politik auf, sich des Themas Missbrauch als gesamtgesellschaftlicher Aufgabe anzunehmen, "wie es notwendig ist". Er wolle nicht ablenken von den Schwierigkeiten, die die Kirchen mit dem Thema hätten. Aber es geschehe schon viel in der katholischen Kirche in der Präventionsarbeit, sagte Bätzing am Samstag auf dem "Roten Sofa" der Kirchenpresse.