Natürlich trägt der Film auf diese Weise mitunter parodistische Züge; trotzdem bleibt er dennoch in erster Linie ein Krimi. Aber es ist schon urkomisch, wenn einige Männer bei einer Gegenüberstellung exakt in den Kostümen der US-Disco-Band Village People auftreten.
Für die Krönung sorgt wieder mal Polizist Overbeck (Roland Jankowsky), der sich anlässlich eines Maskenballs verkleidet hat und nun den ganzen Film hindurch als amerikanischer Cop ermittelt, weil ihm sein Hausschlüssel abhanden gekommen ist; und zwar mitsamt des Autos, in dem sich der Schlüsselbund befand. Der Wagen wiederum gehört einem Hauptkommissar vom LKA Düsseldorf, der verdeckt in Münster ermittelt.
Der Frage, ob der Beamte (Michael Rotschopf) nicht mittlerweile die Seiten gewechselt hat und zum Mörder geworden ist, verdankt der Film aber nur einen Teil seiner Spannung. Für den Rest ist Anwältin Alex (Ina Paule Klink) zuständig. Sie ist gewissermaßen das Titelopfer, denn sie war Zeugin, als zwei unbedarfte Ganoven (Michael Schenk, Alexander Schubert) eher aus Versehen einen Mandanten erschossen haben. Immer wieder lässt Ziedrich, von dem die Drehbücher zu einigen der besten "Wilsberg"-Krimis stammen, den Detektiv ganz nah an Alex’ Gefängnis vorbeilaufen: Die Gangster haben sie ausgerechnet im gewissermaßen zurückgeklauten Auto des verdeckten Ermittlers versteckt.
Eine entscheidende Rolle für die Geschichte spielen zudem die korpulente Kneipenbesitzerin Diana (Sabine Orleans) sowie eine Indianerfigur, die angeblich übersinnliche Fähigkeiten verleiht. Deshalb kann Alex auch aus dem Auto entkommen und sich dann dabei zuschauen, wie sie, immer noch im Kofferraum liegend, den Obergangster niederstreckt.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Es ist schon imponierend, wie wunderbar in Ziedrichs Drehbuch ein Rädchen ins andere greift. Dass der 2013 erstausgestrahlte Film auch in der Umsetzung ausgesprochen sorgfältig gestaltet ist, belegt nicht zuletzt das außerordentlich stimmige Klanggebilde, mit dem Komponist Dirk Leupolz die Aktionen untermalt.
Ansonsten bedient diese 38. "Wilsberg"-Episode alle Erwartungen der Fan-Gemeinde: Der detektivische Antiquar und sein treuer Finanzfreund Ekki Talkötter (Oliver Korittke) pflegen ihre Hassliebe, Kommissarin Springer (Rita Russek) verzweifelt mal an Wilsberg, mal an Overbeck, es gibt ein herrlich absurdes Thekengespräch, und Bielefeld wird natürlich auch erwähnt. Den akustischen Schlusspunkt setzen selbstredend die Village People.
Im Anschluss zeigt Neo den 39. Film, "Treuetest", ebenfalls eine perfekte Balance aus Krimi und Komödie. Es ist ohnehin immer wieder beeindruckend, wie es der Reihe immer wieder gelingt, den bewährten Mustern neue Facetten abzugewinnen. Großen Anteil am Erfolgsgeheimnis hat neben der Sorgfalt, mit der die Drehbücher gestaltet werden, die handwerkliche Umsetzung.
Inszenierung, Bildgestaltung, Schnitt und Musik bewegen sich durchweg auf hohem Fernsehfilmniveau. Ein unverzichtbares Stilmittel der Reihe ist das retardierende Moment, etwa beim Bangen mit der Hauptfigur, wenn sich Wilsberg wieder mal unerlaubt irgendwo Zutritt verschafft hat und jeden Moment erwischt werden kann. Wunderbar ist beispielsweise die Idee, mit der das Finale eingeleitet wird: Wilsberg blättert in Fotos, so dass die Bildfolge ein Daumenkino ergibt, das die Identität des Täters offenbart; und der steht schon vor der Tür. Auch das Wechselspiel aus einerseits angekündigten, aber hinausgezögerten und andererseits überraschenden Gags beherrschen Buch (Arne Nolting, Jan Martin Scharf) und Regie (Dominic Müller) geradezu vorbildlich.
Aber das Beste sind die originellen Geschichten. Nach der Ermordung der hübschen Charlotte (Nele Kiper), die sich ihren Lebensunterhalt als Treuetesterin verdiente, stößt Wilsberg auf eine Gruppe geschiedener Männer (unter anderem Max Hopp und Felix Vörtler), die dem Lockvogel nicht widerstehen konnten; prompt reichten ihre Frauen die Scheidung ein. Kein Wunder, dass die Herren nicht sonderlich gut auf das Opfer zu sprechen waren.
Außerdem stellt sich raus, dass Charlottes attraktive Partnerin Yasmin (Xenia Assenza) die Männer erpresst hat. Wilsbergs Auftraggeber ist diesmal Ekki: Seine neue Freundin (Nadja Becker) ist krankhaft eifersüchtig; Ekki war Charlottes letzter Kunde. Gut wie immer ist auch das Ensemble, zumal Lansink mit seinem schiefen Grinsen und Korittke mit seiner Leidensmiene mimisch ganze Dialoge ersetzen können.