Pastoren sahen 1933 in Hitler den Retter der Kirche

Landesbischof Ludwig Müller beim Hitlergruss vor dem Wittenberger Rathaus
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Im Frühjahr 1933 ist die Begeisterung auch unter Protestanten über die Nationalsozialisten an der Macht groß. Die erste Nationalsynode der deutschen evangelischen Kirche wählte Landesbischof Ludwig Müller (Mitte) im Wittenberger Rathaus am 27.11.1933 zum Reichsbischof. Die Deutschen Christen waren eine antisemitische, rassistisch geprägte Organisation, die sich an der Ideologie des NS-Regimes orientierte.
90. Jahrestag der "Machtergreifung"
Pastoren sahen 1933 in Hitler den Retter der Kirche
Aus Sicht der Historikerin Claudia Becker erhofften sich die meisten evangelischen Pastoren von der Machtübernahme der Nazis am 30. Januar 1933 ein Ende der fortschreitenden Entkirchlichung in Deutschland. "Sie vertrauten Hitlers prokirchlicher Propaganda und seinem Versprechen, dem Christentum wieder zu Geltung zu verhelfen", sagte Becker anlässlich des 90. Jahrestages der sogenannten Machtergreifung dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Die Historikerin und "Welt"-Journalistin Claudia Becker untersuchte in ihrer jüngst als Buch erschienenen Studie die Rolle der evangelischen Kirche während der NS-Zeit im Kirchenkreis Hittfeld südlich von Hamburg.

Dem Buch liegt Beckers 1991 eingereichte Magisterarbeit zugrunde, für die sie in Archiven recherchiert und Zeitzeugen und Angehörige interviewt hat. Alle Pastoren, die ihr in den Recherchen begegnet seien, hätten den Nationalsozialismus zunächst als "die Erlösung von der als kirchenfern und unmoralisch empfundenen Weimarer Republik" betrachtet, sagte Becker.

Wie aus den Kirchenkreistags-Protokollen hervorgehe, beklagten die Geistlichen etwa den moralischen Verfall der Jugend und den antikirchlichen Einfluss kommunistischer und sozialdemokratischer Gruppierungen. Ein Pastor habe 1934 die Machtergreifung sogar als "Sturz eines gottfeindlichen Systems" und "Niederringung des Bolschewismus" bezeichnet.

Dennoch hätten sich nur drei der elf Pastoren des Kirchenkreises der nationalsozialistischen Kirchenpartei der "Deutschen Christen" angeschlossen. In ihren Gemeinden, etwa in Buchholz, sei die Kirchlichkeit nur schwach ausgeprägt gewesen, auch wegen der Nähe zu Hamburg und Harburg. "Diese drei Pastoren hegten wohl die volksmissionarische Hoffnung, Anschluss an die nationalsozialistisch ausgerichtete Bevölkerung zu bekommen."

Indes sei die Kirchlichkeit in landwirtschaftlich geprägten Dörfern ohne Eisenbahnanschluss stärker gewesen. Dort habe es weniger NS-Anhänger gegeben. "Orte, die noch von der pietistischen Erweckungsbewegung der Hermannsburger Mission geprägt waren, zeigten die größte Resilienz gegen nationalsozialistische Versuche, sich in die kirchlichen Angelegenheiten einzumischen."

Doch auch die anfänglichen NS-Sympathisanten hätten aufbegehrt, als die antikirchliche Agitation der Nazis stärker wurde. So hätten Pastoren im Gottesdienst gegen die neuheidnische Propaganda gepredigt. Der Hittfelder Superintendent habe den Hitlergruß verweigert und sich mit den Nazis angelegt, indem er öffentlich Alfred Rosenbergs antikirchliches Buch "Der Mythus des 20. Jahrhunderts" kritisiert habe. "Leider beschränkte sich der 'Widerstand' der Pastoren auf die Eingriffe in die kirchlichen Angelegenheiten", gab Becker zu bedenken. "Protest gegen Verfolgungen außerhalb der Kirche konnte ich nicht nachweisen."

Info:
Claudia Beckers Studie ist unter dem Titel "Kirchenkampf im Kirchenkreis Hittfeld" als erster Band der "Seevetaler Schriften" erschienen. Becker ist außerdem Co-Autorin des 1996 erschienenen Buches "Unterm Hakenkreuz - Tostedt und seine Außendörfer in der Zeit vom aufkommenden Nationalsozialismus bis zum Ende des Dritten Reiches". Die Autorin stellt ihr Buch "Kirchenkampf im Kirchenkreis Hittfeld" am Freitag, 27. Januar, um 18 Uhr in der Bücherei Meckelfeld (21217 Seevetal, Am Schulteich 1) vor.