Wer in Hollywood unmissverständlich demonstrieren will, dass ein fertiger Film ganz und gar nicht den eigenen Vorstellungen entspricht, nennt sich Alan Smithee. Offiziell wird dann meist von "künstlerischen Differenzen" gesprochen. Hierzulande taucht dieser Fantasiename seit einigen Jahren ebenfalls hin und wieder auf; auch bei "Barfuß in Australien". Es ist kein Geheimnis, dass Yasemin Samdereli ("Almanya – Willkommen in Deutschland") Regie geführt hat. Der Verzicht auf die Namensnennung, teilt die ARD-Tochter Degeto mit, sei "aufgrund von unterschiedlichen Vorstellungen in der Postproduktion zu Stande" gekommen; künstlerische Differenzen eben.
Bei den meisten "Alan Smithee"-Filmen lässt sich die Entscheidung für das Pseudonym gut nachvollziehen, in diesem Fall jedoch nicht: Das Drama über die schwierige Beziehung zwischen einer Mutter und ihrer Teenager-Tochter ist sehenswert. Den besonderen Reiz des größtenteils im australischen "Outback" entstandenen Werks macht naturgemäß der Schauplatz aus: Die 16jährige Kira (Amira Demirkiran) hat es sich in den Kopf gesetzt, zu einem "Walkabout" aufzubrechen. So nennen die Nachfahren der Ureinwohner ein barfüßiges Wanderungsritual entlang der traditionellen "Traumpfade"; bei jungen Menschen dient dies vor allem der Identitätsbildung.
Als Kira wieder mal mit ihrer Mutter Svenja (Anneke Kim Sarnau) aneinandergerät, macht sie sich kurzerhand mit ihrem Freund Jack (Tjiirdm McGuire) auf den Weg. Svenja will den beiden in die Wildnis folgen und bittet Jacks Vater um Hilfe. Dummerweise entpuppt sich Kalti (Aaron Pedersen) als Besitzer just jenes altersschwachen Ausflugsschiffs, das die Hotelmanagerin gerade erst als viel zu marode für ihre Gäste eingestuft hat.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Selbstredend hat das Drehbuch des erfahrenen Autors Gernot Gricksch den einen oder anderen Spannungsverstärker zu bieten, weil in der Natur allerlei "Killerkrabbelviecher" lauern, wie Svenja feststellt. Für gelegentliche Heiterkeiten sorgen Momente wie jener, als ein Emu ihr sehr interessiert beim Pinkeln zuschaut. Wie alle Wanderungen dieser Art führt die Reise ins Herz des Kontinents in Wirklichkeit jedoch ins Innere der beiden Frauen, die schließlich erkennen, dass sie dringend eine Lösung für ihren Dauerzwist finden müssen.
Über die schauspielerischen Qualitäten von Anneke Kim Sarnau muss kein Wort mehr verloren werden, die junge Amira Demirkiran ist gleichfalls eine ausgezeichnete Wahl. Auch die beiden einheimischen Darsteller sind gut ausgewählt; gerade Aaron Pedersen ist ein markanter Typ und eine perfekte Besetzung als tiefenentspannter Abenteurer.
Für leichte Irritationen sorgt allenfalls die Synchronisation. Dass Kalti in Heidelberg studiert hat und daher perfekt deutsch spricht, ist zwar weit hergeholt, aber nicht unmöglich. Da Vater und Sohn miteinander Englisch reden, mussten Oliver Stritzel und Max Hegewald auch diese Szenen "synchronisieren", was nicht zu überhören ist, zumal das australische Englisch wenig mit unserem Schulenglisch gemein hat. Ähnlich interessant wie der ständige Mutter/Tochter-Konflikt ist die Ebene mit den Informationen über die indigene Bevölkerung, für deren Belange sich Kira stark macht. Ein Lehrer, der rechtfertigt, dass die Kinder einst von Missionaren aus ihren Familien gerissen wurden, muss sich von ihr als Rassist beschimpfen lassen, weshalb ihr nun ein Schulverweis droht; es wäre nicht der erste. Für die vermeintliche Renitenz des Mädchens liefert der erfahrene Gricksch eine plausible Begründung: Svenja optimiert Hotels auf der ganzen Welt; Kira hat ihr halbes Leben als unfreiwillige Globetrotterin verbracht und will endlich Wurzeln schlagen.
Da die erste Hälfte des Films größtenteils auf dem Wasser spielt, weil die Jugendlichen mit einem Motorboot unterwegs sind und die beiden Erwachsenen ihnen mit Kaltis Schaufelradschiff folgen, könnte "Barfuß durch Australien" auch aus der sehenswerten ZDF-Reihe "Fluss des Lebens" stammen. Dass Kameramann Bernd Fischer für eindrucksvolle Naturbilder gesorgt hat, versteht sich von selbst. Die Aufnahmen aus der Vogelperspektive verdeutlichen die Unberührtheit dieser trostlosen Landschaft, erst recht gegen Ende, als sich die Dinge dramatisch zuspitzen und Kira auf sich allein gestellt durch die Gegend irrt. Die sehr gute und von einheimischen Klängen durchsetzte Musik (Dürbeck & Dohmen) liefert eine jederzeit passende Untermalung. Die beiden verwendeten Songs stammen von der indigenen Band Yothu Yindi; ein weiterer Beleg für den Anspruch des Films, so sensibel wie möglich mit den Belangen der Ureinwohner umzugehen.