TV-Tipp: "Tatort: Schutzmaßnahmen"

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1. Januar, ARD, 20:15 Uhr
TV-Tipp: "Tatort: Schutzmaßnahmen"
Der Film beginnt mit einem Umzug rechtsradikaler Hooligans. Ein Mitläufer schert aus und wirft einen Molotow-Cocktail durch die Scheibe eines persischen Restaurants. Weil die Flasche nicht explodiert, muss er nachhelfen, wird niedergeschlagen und verbrennt in dem Feuer, das er selbst gelegt hat. Unwillkürlich drängt sich der Gedanke auf, dass ihm das ganz Recht geschieht, aber so einfach ist die Sache nicht.

Krimifans kennen das Gesetz der "Omertà" aus Mafiafilmen: Wer sich taub, blind und stumm stellt, hat nichts zu befürchten. Wer dieses ungeschriebene Gesetz jedoch bricht, hat sein Leben verwirkt, weshalb die Polizei in solchen Geschichten regelmäßig auf eine Mauer des Schweigens stößt. In Paul Salisburys Drehbuch für den 86. "Tatort" mit Klaus J. Behrendt und Dietmar Bär geht es zwar nicht um die Mafia, aber Feinkostgroßhändler Viktor Raschke herrscht über sein Viertel wie einst Don Vito Corleone über New York. Mit Manfred Zapatka ist dieser Gangster bestens besetzt: Der Grimme-Preisträger ist als skrupelloser Stadtteil-Pate ebenso glaubwürdig wie als liebevoller Großvater. Der besondere Reiz von "Schutzmaßnahmen" resultiert jedoch aus der persönlichen Betroffenheit von Freddy Schenk.

Das Lokal, welches durch einen Molotow-Cocktail in Brand gesetzt wird, gehört Schenks Tochter Sonja (Natalie Spinell) und ihrem Verlobten Karim (Timur Isik). Die beiden stehen bei Reschke in der Kreide: Sie wollten das Restaurant renovieren, haben aber keinen Bankkredit bekommen; da ist Reschke eingesprungen. Weil sie mit den Zahlungen in Rückstand sind, sollen sie ihm das Lokal überschreiben. Dass es sich bei dem Toten um Reschkes Sohn Nico handelt, passt ins Bild. Trotzdem bleibt die Frage, wer den Mann auf dem Gewissen hat. Freddy tut alles, um Sonja und ihren Lebensgefährten aus der Sache rauszuhalten; aber dann sagt eine Kneipenbesitzerin (Almut Zilcher) aus, sie habe Karim am Tatort gesehen. 

Natürlich steht die Lösung des Falls im Vordergrund, aber die eigentlichen Themen des Films sind Sprachlosigkeit und gegenseitiges Misstrauen. Der Riss geht sogar durch das Ermittlerduo. Zwar stellt sich raus, dass Nico für Sonja und Karim gearbeitet hat, wenn auch nur auf dem Papier, aber Schenk verschweigt dem Kollegen, dass seine Tochter zudem privaten Kontakt zu Reschke junior hatte. Der wiederum hat ein Geheimnis gehütet, dass ihn die Zuneigung seines Vaters gekostet hätte. Die beste Idee des Drehbuchs war jedoch die Reaktivierung von Freddy Schenks älterer Tochter, immerhin ist ihr letzter Auftritt über zwanzig Jahre her. Das war in der Episode "Kinder der Angst" (1999), Sonja war 15, und es ist ein schöner Zug, dass die Verantwortlichen die Rolle erneut mit Natalie Spinell besetzt haben.

Witzig ist auch ein Déjà-vu für den Vater: Sonjas Tochter Frida ist so alt wie ihre Mutter damals und genauso bockig. Maira Helene Kellers spielt das derart gut, dass es äußerst schade wäre, wenn es bei diesem einmaligen Auftritt Fridas bliebe. Dass Salisbury, der zuletzt die Vorlage für das berührende Demenzdrama "Ein Leben lang" (2022) mit Henry Hübchen und Corinna Kirchhoff geschrieben hat, die Geschichte in Köln ansiedelt, ist kein Zufall, wenn auch weniger wegen der kriminellen Umtriebe: In der Domstadt bilden viele Stadtviertel eine Welt für sich, die gewachsenen Gemeinschaften halten zusammen. Mehrfach zeigt die Kamera (Julia Jalnasow) das Straßenbild aus Sicht von Schenk, der sogar im Auto vor dem Haus schläft, in dem er seine Tochter und ihre Familie untergebracht hat. Die Aufnahmen erinnern auch wegen ihrer Farbgebung an die Fahrten des ruhelosen Antihelden aus dem Scorsese-Klassiker "Taxi Driver" (1976), aber Nina Vukovic nennt als filmische Vorbilder die Krimidramen "Im Zeichen des Bösen" (1958) von Orson Welles und "Chinatown" (1974) von Roman Polanski.

"Schutzmaßnahmen" ist nach einigen "Tatort"-Drehbüchern ihr Regiedebüt beim Sonntagskrimi. Ihr erster Film war "Detour", ein im Auftrag des Kleinen ZDF-Fernsehspiels entstandener Beziehungs-Thriller (2017); auch ihr Zweitwerk, der Pilcher-Film "Vier Luftballons und ein Todesfall" (2022), war ein sehenswertes romantisches Drama mit moderaten Krimielementen. Für den populärsten Sendeplatz im "Ersten" hat sich die Absolventin der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin aber wohl vor allem mit ihrer letzten Arbeit empfohlen: "Am Ende der Worte" (2022), vor einigen Wochen im Rahmen der NDR-Nachwuchsreihe "Nordlichter" ausgestrahlt, ist das fast dokumentarisch gestaltete Spielfilmporträt einer jungen Polizistin, die nach ihrer Ausbildung mit der rauen Realität konfrontiert wird.