TV-Tipp: "Sarah Kohr: Irrlichter"

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27. Dezember, ZDF, 20:15 Uhr
TV-Tipp: "Sarah Kohr: Irrlichter"
Der Reiz der Geschichte resultiert aus der Frage, wo die Titelheldin (Lisa Maria Potthoff) steht. Mona Lessing (Sandra Perdelwitz), Staatsschutz-Mitarbeiterin des LKA Hamburg, ist überzeugt, die Einzelgängerin habe die Seiten gewechselt: weil sie allem Anschein nach gemeinsame Sache mit einer Gruppe macht, die einen Anschlag plant. 

Die sogenannten Querdenker mögen aus den Schlagzeilen verschwunden sein, aber der Schoß ist fruchtbar noch. Die Anzahl jener, die überzeugt sind, dass mächtige Kreise finstere Pläne schmieden, um die Menschheit zu unterjochen oder zu dezimieren, dürfte während der Pandemie ohnehin noch mal deutlich gestiegen sein. Abgesehen von wenigen Ausnahmen haben ARD und ZDF in ihren Filmen und Serien allerdings lange so getan, als würde Corona nicht existieren.

Immerhin hat sich das ZDF in dem leider erst zu nachtschlafender Zeit ausgestrahlten satirischen Drama "Schlafschafe" (2021) konkret mit Verschwörungserzählungen auseinandergesetzt. Zentrale Figur war dort eine Frau, die während der Pandemie zur radikalen Anhängerin des "Great Reset" wird. Die Bezeichnung bezieht sich auf eine von Paranoikern umgedeutete Initiative des Weltwirtschaftsforums: Finanzeliten wollen mit dem Corona-Virus angeblich das Problem der Überbevölkerung lösen; und darum geht es auch in der achten "Sarah Kohr"-Episode mit dem treffenden Titel "Irrlichter".

Der eigentliche Reiz der Geschichte resultiert jedoch aus der Frage, wo die Titelheldin (Lisa Maria Potthoff) steht. Mona Lessing (Sandra Perdelwitz), Staatsschutz-Mitarbeiterin des LKA Hamburg, ist überzeugt, die Einzelgängerin habe die Seiten gewechselt: weil sie allem Anschein nach gemeinsame Sache mit einer Gruppe macht, die einen Anschlag plant. 

Seit "Sarah Kohr" eine Reihe ist, hat Timo Berndt sämtliche Drehbücher geschrieben. Die jeweiligen Umsetzungen bewegten sich handwerklich ausnahmslos auf hohem Niveau. Auch "Irrlichter" beeindruckt durch eine bemerkenswerte Bildgestaltung. Als Staatsanwalt Mehringer (Herbert Knaup) die LKA-Beamtin befragt, erzeugt die Kamera (Patrick D. Kaethner) auf raffiniert subtile Weise eine unbewusste Irritation, die perfekt zur Szene passt.

Die Musik (Alex Komlew) sorgt ohnehin für einen packenden Klangteppich, die verschiedenen Action-Szenen sind dank des rasanten Schnitts und ständig wechselnder Perspektiven angemessen temporeich inszeniert. Trotzdem ist vor allem Berndts Beitrag hervorzuheben. Ein guter Beleg für die Durchdachtheit des Drehbuchs sind jene Randfiguren und Nebenebenen, denen der Film zunächst unnötig viel Zeit zu widmen scheint. Erst gegen Ende zeigt sich, welche Rolle zum Beispiel Tobias van Dieken als Assistent eines Mediziner-Ehepaars spielt, das geehrt werden soll: Carsten und Lisa Kippmann (Alexander Wipprecht, Sarah Masuch) haben einen Impfstoff entwickelt und gelten daher aus Sicht der Verschwörungs-"Schwurbler", wie Mehringer die "Querdenker" nennt, als Galionsfiguren jenes Systems, das angeblich die Alten ausrotten will; erst durch das Virus, dann mit der Impfung. 

Klugerweise haben Berndt, Regisseur Mike Marzuk und Episodenhauptdarsteller Matthias Matschke darauf verzichtet, den Wortführer als Wirrkopf darzustellen: Felix Morgenroth ist wie so viele andere durch die Pandemie aus der Bahn geworfen worden. Der Ingenieur hat Job und Familie verloren und in der Verschwörungserzählung mutmaßlich eine Art Trost gefunden. Zu seiner Gruppe zählen auch die Brüder David und Mark Jennert (Lasse Myhr, Kjell Brutscheidt), deren Eltern an dem Virus gestorben sind. Natürlich werden die Fans von "Sarah Hardkohr", wie David Jennert sie nach einer Prügelei nennt, nicht glauben wollen, dass sie tatsächlich gemeinsame Sache mit Morgenroth und seinen Leuten macht, aber ein Restzweifel bleibt. Dabei ist ihr Motiv ein ganz anderes: Sie will Rache. Und weil Morgenroth offenbar einen Maulwurf bei den Behörden hat, kann sie niemandem trauen; auch nicht ihrem früheren Geliebten Mehringer. 

Für Marzuk ist dieser Stoff eher ungewöhnlich, sein erster Fernsehfilm war die ARD-Komödie "Servus, Schwiegersohn!" (2019), ansonsten hat er überwiegend Kinofilme für eine deutlich jüngere Zielgruppe gedreht: erst die fünfteilige "Fünf Freunde"-Reihe, zuletzt "Der junge Häuptling Winnetou" (2022). Sein Regiedebüt war die originelle Komödie "Weißt was geil wär..?!" (2007), später ist ihm mit "Verrückt nach Fixi" (2016) das Kunststück gelungen, aus einem schlüpfrigen Filmstoff eine witzige Coming-of-age-Komödie zu machen. Mit "Irrlichter" zeigt er, dass er auch Krimi und Thriller kann. Rundum gelungen ist der Film allerdings nicht. Die Prügelszenen sind zwar dank Potthoffs Nahkampfexpertise gewohnt glaubwürdig, aber das Finale, bei dem Morgenroth die vermeintlichen Machenschaften des Systems aufdecken will, läuft nicht nur inhaltlich, sondern auch nebendarstellerisch mit viel Geschrei und irren Blicken etwas aus dem Ruder.