Seit 2011 beteiligt sich das Schweizer Fernsehen nach zuvor fast zehn Jahren Pause wieder mit einem eigenen Team am Sonntagskrimi der ARD, aber die Verantwortlichen sind immer noch auf der Suche nach einer einheitlichen Qualität. Unter den 17 Filmen mit Stefan Gubser waren viel zu wenige wirklich gut, um den "Tatort" aus Luzern grundsätzlich als Bereicherung zu betrachten.
Mit dem 2020 gestarteten Duo Tessa Ott (Carol Schuler) und Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher) schienen sich die Dinge zum Besseren zu entwickeln, der Auftakt mit "Züri brännt" war vielversprechend und machte Lust auf mehr. Schon der zweite Fall ("Schoggiläbbe", 2021) war jedoch eine herbe Enttäuschung, und das im Frühjahr 2022 ausgestrahlte Künstlerdrama "Schattenkinder" wirkte allzu sehr um ein möglichst bizarres Sujet bemüht.
Im vierten Fall, der wenig einfallsreiche Titel deutet es an, legen sich die beiden Polizistinnen mit einem Pharmakonzern an. Genauer gesagt: mit der Anwaltskanzlei, die das Unternehmen vertritt. Aber schon die erste Szene könnte einen rigorosen Teil des Publikums zum Umschalten bewegen, denn sie offenbart unüberhörbar das akustische Manko der fürs deutschsprachige Ausland synchronisierten Filme: Die Mitwirkenden übernehmen das selbst und sabotieren damit nicht selten ihre eigenen darstellerischen Leistungen.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Regisseurin Christine Repond, hierzulande zumindest in der Filmkunstszene durch ihr düsteres HIV-Drama "Vakuum" mit Barbara Auer und Robert Hunger-Bühler bekannt geworden, und Kameramann Simon Guy Fässler haben auch schon bei "Schattenkinder" zusammengearbeitet. Der Look ihres zweiten gemeinsamen Films erinnert an den Stil der "Zürich-Krimis" (ARD): Die Bilder sind kühl und wirken hochwertig, was zu den Schauplätzen passt. Immer wieder umkreist die Drohnenkamera die Glasfassade der modernen Konzernzentrale wie ein Raubvogel (als "Double" diente der 126 Meter hohe Zürcher "Prime Tower"). Allerdings wird fast jeder Szenenwechsel von einer Panorama-Aufnahme eingeleitet. Außerdem verbringt der Film allzu viel Zeit damit, Ott bei ihren energischen Fahrradfahrten zu begleiten.
Immerhin ist die Geschichte (Buch: Stefanie Veith, Nina Vukovic) interessant: Das Pharmaunternehmen Argon will ein Medikament auf den Markt bringen, das bei einer seltenen Autoimmunkrankheit wahre Wunder bewirkt und entsprechend teuer ist; eine komplette Behandlung kostet eine Million Franken.
Selbstverständlich kann der Konzern kurz vor der Zulassung keine Negativschlagzeilen brauchen. Just jetzt ist jedoch jene Anwältin gestorben, die sich im Argon-Auftrag mit dem Fall eines Mädchens aus der Testgruppe befasst hat: Klaras Krankheitsbild hat sich durch das vermeintliche Wundermittel erst verbessert, dann jedoch rapide verschlechtert. Juristin Perrault (Sabine Timoteo) war Diabetikerin, sie ist an einer Überdosis Insulin gestorben. Der vierte "Tatort" aus der Zürich ist beileibe nicht der erste Krimi, in dem auf diese Weise ein Mord kaschiert wird.
Davon abgesehen ist es mindestens wohlfeil, wenn nicht gar populistisch, die Pharma-Industrie als "verdammte Kapitalisten" hinzustellen; Ott greift in ihrer Wortwahl sogar noch zu drastischeren Ausdrücken. Anwälte haben ohnehin keinen besonders guten Leumund, also werden sie gleich mit in den Sack gepackt. Kein Wunder, dass die Kommissarinnen Perraults Kollegen Riva (Benjamin Grüter) zum Hauptverdächtigen küren: Die Frau hatte offenbar vor, die Seiten zu wechseln. Sie ist auf eine Studie gestoßen, die noch weitere Fälle wie jenen der jungen Klara dokumentiert. Verfasser ist ein Professor (Hunger-Bühler), der das neue Medikament einst mitentwickelt hat, aber dann von seiner Kollegin (Laura de Weck) ausgebootet wurde.
Die Komplexität der Geschichte sorgt dafür, dass "Risiken mit Nebenwirkungen" keine Zeitverschwendung ist, zumal die beiden gegensätzlichen Hauptfiguren nach wie ein reizvolles Duo bilden. Die Idee, Grandjean einen französischen Rap anstimmen zu lassen, um auf diese Weise einen Draht zu Klara (Anouk Petri) herzustellen, ist zwar zunächst irritierend, aber immerhin originell. Befremdlich wirkt dagegen die affektierte Art, mit der Therese Affolter die Kanzleichefin verkörpert. Die Rolle war ursprünglich für einen Mann gedacht, Repond hat sie umbesetzt, was ja keine schlechte Idee ist; aber dann muss die Frau, als sie sich ärgert, eine Vase zerschmeißen. Das ist als Szene ebenso wenig überzeugend umgesetzt wie ein zweiter Mord, der im Affekt begangen wird. Die elektronische Musik (Marcel Vaid) ist allerdings hörenswert.