Die Vorbehalte nehmen ihren Lauf, als das Zirkuszelt abbrennt; prompt ist von Versicherungsbetrug die Rede. Außerdem sind die Mitglieder der Familie Poldini Roma. Gerade für ältere Deutsche steht der mittlerweile verfemte Begriff "Zigeuner" nach wie vor für "ziehende Gauner". Prompt reagiert Barthl (Friedrich von Thun), der Zwangsnachbar von Fuchsbichlerhof-Besitzerin Sophie (Aglaia Szyszkowitz), höchst alarmiert, als sie den stolzen Poldinis Asyl gewährt, bis die Sache mit der Versicherung geklärt ist: Er ist überzeugt, dass Sinti und Roma alles mitgehen lassen, was nicht niet- und nagelfest ist, seit ihm vor fast siebzig Jahren seine neuen Ski geklaut worden sind.
Natürlich bedient sich das Autorenpaar Holger Gotha und Philipp Weinges dieser Figur, um sich mit den entsprechenden Klischees auseinanderzusetzen. Zunächst deckt sich Barthl mit allerlei Schlössern und einem akustischen Bewegungsmelder ein, aber als Zirkusdirektor Mateo (Wilfried Glatzeder) bei einer Clownsnummer auf dem Marktplatz zur Zielscheibe der Dorfjugend wird, ergreift er Partei für den gleichaltrigen Mann: nicht aus Sympathie, wie er betont, sondern weil ihm Ungerechtigkeit zuwider sei.
Mateo erkundigt sich nach dem Grund für seine Ressentiments gegen Roma und beschämt Barthl, als er von der Ermordung seiner Familie in Auschwitz berichtet. Spätestens jetzt ist klar: Dieser Freitagsfilm soll nicht allein dem Zeitvertreib dienen.
Trotz des ernsten Hintergrunds ist "So ein Zirkus" dennoch sehr amüsant, denn die Zirkusleute sorgen auf dem Fuchsbichlerhof auch in emotionaler Hinsicht für Trubel: Zwischen Sophies Tochter Leonie (Carolin Garnier) und dem schmucken Messerwerfer Adriano (Zejhun Demirov) knistert es vernehmlich. Gotha und Weinges nutzen jedoch auch diese Ebene, um eine weitere Form von Diskriminierung zu thematisieren: Dompteur Django (Cem Aydin) ist zwar klein von Gestalt, hat aber das Ego eines Riesen und baggert Sophie nach allen Regeln der Kunst an. Sie lässt sich zumindest auf ein Abendessen ein.
Als der Stammtisch in der Gastwirtschaft ihrer Freundin Rosalie (Bettina Mittendorfer) böse Witze über ihre kleinwüchsige Begleitung reißt, ist Sophie empört, wenn auch weniger über die Deppen am Nebentisch, sondern vor allem über Django, der gute Miene zum bösen Spiel macht; es ist Rosalie, die ein Zeichen setzt.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Das klingt nach Drama, und tatsächlich schlägt der Film immer wieder ernste Töne an, aber der Grundton bleibt heiter, selbst wenn sich gerade die Männer des Dorfes teilweise widerlich aufführen und sich auch das Pärchen von der Polizei nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Selbstredend nutzt Jungböck (Ferdinand Hofer), der opportunistische Oppositionsführer im Gemeinderat, die allgemeine Stimmung, um Bürgermeisterin Sophie eins auszuwischen. Die wiederum lässt sich zu einer echten Eselei hinreißen, um zu verhindern, dass sich zwischen Leonie und Adriano mehr als bloß ein harmloser Flirt ergibt.
Die Idee, die vermeintliche dörfliche Idylle durch das fahrende Zirkusvolk als Fassade zu entlarven, ist schon mal klasse. Ähnlich gut ist die konträre individuelle Entwicklung: Mateo bietet Barthl an, gemeinsam mit ihm als Clown aufzutreten; spätestens jetzt überwindet der alte Fuchsbichler seine Vorurteile.
Sophie wiederum muss sich von Leonie, die mit Anfang zwanzig ohnehin keine Lust mehr auf ständige Bevormundung hat, sagen lassen, hinter ihrer liberalen Fassade sei sie genauso eine Rassistin wie alle anderen. Gespielt ist das ohnehin vorzüglich; gerade die Mitglieder der Zirkusfamilie sind sehr treffend besetzt.
Außerdem sind die Poldinis mehr als bloß Mittel zum Zweck: Mateos Enkelin (Ruby O. Fee) hat erkannt, dass die Menschen nicht mehr nur Kunststücke sehen, sondern sich durch eine Geschichte verzaubern lassen wollen; ihr Großvater sträubt sich jedoch gegen den Wandel. Natürlich setzt sie sich letztlich durch; beim großen Finale darf auch das Trio vom Fuchsbichlerhof mitwirken.
Die Inszenierung besorgte Ngo The Chau, der als Kameramann vielfach ausgezeichnet worden ist. Seine bisherigen Regie-Arbeiten, ausnahmslos Märchenfilme fürs ZDF ("Schneewittchen und der Zauber der Zwerge", "Die Hexenprinzessin", "Zwerg Nase", 2019 bis 2021), waren allesamt sehenswert, und das nicht allein wegen der vortrefflichen Bildgestaltung.