Anders als die "Nachtschicht"-Filme, in denen es immerhin auch mal grimmig humorvoll wird, hat Lars Becker die Geschichten mit Fritz Karl und Nicholas Ofczarek als Hamburger Polizei-Duo seit dem Auftakt mit "Unter Feinden" (2013) konsequent düster und pessimistisch erzählt.
Die beiden Antihelden hatten zwar durchaus sympathische Züge, aber im Grunde waren sie Verbrecher mit Polizeimarke. Mit der vierten Episode endet die Saga der korrupten Bullen, die einst beste Freunde waren, und Becker lässt von Beginn an keinen Zweifel daran, dass es nur Verlierer geben kann: weil sich selbst die Überlebenden nicht sicher sein können, ob es nun Glück oder Pech ist, dass sie davongekommen sind.
Der Beginn: Rauschgifthändler Jankovic (Slavko Popadic) erschießt einen seiner Dealer und dessen Verlobte Leyla gleich mit. Walid Schukri (Kida Khodr Ramadan), der Vater der jungen Frau, schwört Rache; allerdings sitzt er im Gefängnis. Erich Kessel (Karl), seit der letzten Episode ("Reich oder tot", 2017) kein Polizist mehr, sondern ebenfalls Häftling, kommt gerade von der Beerdigung seiner kleinen Tochter. Angesichts der gleichen leidvollen Erfahrung hofft der Gangster, den Ex-Bullen als Kopfgeldjäger gewinnen zu können: Er verspricht Kessel, der kurz vor seiner Entlassung steht, 50.000 Euro, wenn er ihm Leylas Mörder ausliefert, tot oder lebendig.
Kessel braucht nicht lange, um rauszufinden, wer die schöne Gangstertochter auf dem Gewissen hat. Ex-Kollege und Ex-Freund Diller (Ofczarek) ist Jankovic allerdings ebenfalls auf der Spur. Außerdem mischt noch Staatsanwältin Nazari (Melika Forutan) mit, die nicht vor illegalen Methoden zurückschreckt, um Kessel so schnell wie möglich wieder hinter Gitter zu bringen. Die Frage ist nun, wer schneller ist; und ob der Mörder am Ende im Knast oder im Sarg landet.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Becker (Buch und Regie) und Kameramann Felix Novo de Oliveira haben dafür gesorgt, dass das winterliche Hamburg noch frostiger wirkt als ohnehin schon, und den Bildern konsequent jede Behaglichkeit ausgetrieben. "Alles auf Rot" ist dem Titel zum Trotz alles andere als farbenfroh; rot ist hier allein das Blut der Mordopfer. Wenn Beckers Krimis bei Arte laufen, warnt der Kulturkanal stets, dass der jeweilige Film für empfindsame Zuschauer nicht geeignet sei. Das mutet zwar etwas übertrieben an, aber bei Becker geht es in der Tat drastischer zu als im herkömmlichen TV-Krimi.
Eine Prügelei zwischen Diller, Kessel und einem Zuhälter zum Beispiel wirkt unangenehm realistisch. Deutlich schwerer zu ertragen sind allerdings die großmäuligen menschenverachtenden Dialoge der Gangster. Gemessen an diesen Gestalten ist selbst der von Fritz Karl mit viel Melancholie versehene Kessel ein Unschuldslamm.
Der Ex-Junkie ist ohnehin die tragische Figur der Geschichten, zumal Ehefrau Claire (Jessica Schwarz) eine Affäre ausgerechnet mit seinem Freund und Partner hatte: Nach seiner Entlassung steht Kessel vor dem Nichts; geblieben ist ihm nur ein Schuldenberg. Immerhin besorgt Diller ihm einen Job als Barmann. In der Kneipe lernt er die Prostituierte Debbie (Josefine Israel) kennen. Weil die Frau regelmäßig von ihrem Zuhälter (Sascha Reimann) misshandelt wird, hat Kessel es sich in den Kopf gesetzt, sie zu befreien.
Seine Mission artet zwar nicht in einen Feldzug aus, wie ihn weiland "Taxi Driver" Travis Bickle (Robert De Niro, 1976) geführt hat, aber blutig wird es trotzdem. Becker belohnt Kessel für seine Wandlung mit der Hoffnung auf einen Neuanfang seiner Ehe, und so könnte sich doch noch alles zum Guten wenden; wenn da nicht noch der Auftrag von Schukri wäre.
Wie fast alle Filme Beckers beeindruckt auch "Alles auf Rot" durch ein vorzüglich geführtes Ensemble. Der Regisseur hat seine Geschichten bereits divers besetzt, als die hiesige Produktionsbranche noch weit davon entfernt war, Menschen mit dunkler Hautfarbe oder fremd klingenden Namen regelmäßig in wichtigen Rollen mitwirken zu lassen.
Sahin Eryilmaz zum Beispiel ist mittlerweile eine Art Stammspieler; er war auch bei den letzten Diller-und-Kessler-Krimis dabei. Neu in der Familie ist Slavko Popadic, der bereits als Titeldarsteller der "Nord bei Nordwest"-Episode "Conny & Maik" einen ausgezeichneten Eindruck hinterlassen hat. Frauen spielen in Beckers Männerwelt zwar oft nur Nebenrollen, sind diesmal aber nicht zuletzt dank ihrer Darstellerinnen sehr präsent, allen voran Narges Rashidi als Besitzerin des Ladens für Brautmoden sowie Aleyna Cara als Jankovics Verlobte.