Die Handlung beginnt mit einem Geständnis: Ein junger Mann hat einen Motorradfahrer nach einem Unfall schwerverletzt auf der Straße liegen gelassen. Michael Jacobi (Sebastian Koch), Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Innsbruck, ist schockiert, dass sein Sohn Julian (Taddeo Kufus) nicht mal einen Krankenwagen geholt hat; selbstverständlich soll sich der Junge seiner Verantwortung stellen.
Bei der Polizei kriegt der Richter mit, wen Julian angefahren hat: Zlatan Sailovic ist der Sohn eines serbischen Kriegsverbrechers, den Jacobi vor einiger Zeit zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt hat. Die Familie betreibt Drogenhandel in großem Stil, Menschenleben zählen für die Clan-Mitglieder nichts; wenn Sailovics Bruder Jova (Ercan Durmaz) erfährt, wer seinen Neffen auf dem Gewissen hat, wäre das gleichbedeutend mit Julians Todesurteil.
Natürlich ist der Unfall der Auslöser der Ereignisse, aber richtig ins Rollen kommt die Lawine mit der ersten Lüge Jacobis: Er gibt an, das Auto sei gestohlen worden. Den Wagen will er noch in derselben Nacht mit Hilfe eines alten Freundes (Sascha Alexander Geršak), der Verbindungen zu Kleinkriminellen hat, verschwinden lassen. Der Mann, der die Aufgabe übernimmt, wird jedoch von der Polizei geschnappt. Nun rast die Lawine unaufhaltsam ins Tal und reißt jeden mit sich, der das Pech hat, ihr in die Quere zu kommen.
Regisseur David Nawrath hat das Drehbuch gemeinsam mit David Marian geschrieben, aber die Meriten für die Idee gebühren Ron Ninio und Shlomo Mashiach: "Euer Ehren" basiert auf der international bereits mehrfach adaptierten israelischen Vorlage "Kvodo" (2017). Nawraths Umsetzung hat den Charakter einer Fallstudie: Je verzweifelter sich Jacobi bemüht, sich und seinen Sohn aus dem Schlamassel zu ziehen, desto unerbittlicher wird er vom Treibsand seiner Lügen in die Tiefe gezogen.
Sebastian Koch ist die perfekte Besetzung für diese Rolle, nicht nur wegen des nötigen Charismas, sondern vor allem, weil er die Arroganz der Macht des Richteramtes unangenehm glaubwürdig vermittelt. Auf der anderen Seite ist es faszinierend zu beobachten, wie dieser Mann, dem ein Aufstieg zum Stellvertreter des Bundesjustizministers winkt, zum ersten Mal in seinem Berufsleben Ohnmacht verspürt. Um ihn selbst ist ihm nicht bange, schließlich hat er sich schon einmal mit dem Clan angelegt; aber wenn Julian ins Gefängnis käme, könnte er ihn dort nicht beschützen.
Koch war von Anfang an in das Projekt involviert und maßgeblich an der Entwicklung seiner Rolle beteiligt; seine dramaturgische Mitarbeit wird im Abspann eigens erwähnt. Die Dekonstruktion dieses Mannes, der im Verlauf der Handlung immer stärker sein eigenes Wertesystem unterwandert, bis er schließlich erst einen Unschuldigen ans Messer liefert und am Ende sogar selbst zum Mörder wird, wäre ein Geschenk für jeden Schauspieler; und Koch macht in der Tat das Beste draus. Das hat auch und gerade mit dem Rest des Ensembles zu tun.
Gerade Paula Beer und Tobias Moretti verkörpern ihre Figuren auf denkwürdige Weise: Beer spielt Arija, die Tochter des Clanchefs, die wie weiland Michael Corleone in "Der Pate" ein Leben jenseits des Verbrechens führen soll. Zlatans Unfall führt sie zurück nach Innsbruck. Weil sie ihren Onkel Jova für schwach hält, übernimmt sie die Führung der Familie. Für den "Bad Banks"-Star ist die junge Frau, die sich ihrer Haut zu wehren weiß, eine höchst ungewöhnliche Rolle. Arijas eisige Kälte hätte Nora Waldstätten kaum besser spielen können; allein stimmlich stößt Beer in einer Szene an Grenzen, als Arija ihre Schergen lautstark zurechtweist.
Nicht minder sehenswert ist Moretti als Gegenspieler der Serben. Schlachthofbesitzer Lindner ist die schillerndste Figur der Serie, zumal der hier blondbeschopfte Tiroler den von seinen Kontrahenten halb verächtlich, halb respektvoll "der Fleischer" genannten Unternehmer vielschichtig anlegt: Hinter der Fassade des Ehrenmanns wird regelmäßig ein Ganove sichtbar, den Moretti mit einer fast schon sympathischen Semmelroggigkeit versieht; aber selbstredend geht auch Lindner über Leichen. In dieser Ambivalenz liegt ein weiterer Reiz der Serie: Keine einzige der handelnden Personen ist nur gut oder nur böse.
Das gilt auch und gerade für die zentrale Figur: Je mehr Jacobi die Kontrolle verliert, desto stärker büßt er an Mitgefühl ein. Arijas Rachegelüste wiederum sind ebenso nachvollziehbar wie die Motive der ermittelnden Kommissarin (Ursula Strauss), die schließlich ihrerseits das Gesetz übertritt, um die Jacobis überführen zu können. Selbst Lindners Mann fürs Grobe, der die Kontrahenten seines Chefs ohne mit der Wimper zu zucken aus dem Weg räumt, ist nicht nur wegen seiner bedingungslosen Loyalität durchaus sympathisch. Rainer Bock, der für Nawrath schon die Titelrolle als müder Möbelpacker in dessen Langfilmdebüt "Atlas" (2019) gespielt hat, verkörpert den Killer als väterlichen Stoiker. Auf diese Weise ist er eine Art Pendant zu Onkel Jova: Auch der stellvertretende Clanchef wirkt dank Ercan Durmaz wie ein freundlicher älterer Herr.
Eine besondere Erwähnung gebührt neben der winterlichen Bildgestaltung (Nawraths Stammkameramann Tobias von dem Borne), die die Serie sehr hochwertig wirken lässt, der Musik, weil Enis Rotthoff mit seiner Komposition dafür sorgt, dass sich die Schlinge um den Hals der Jacobis immer fester zuzieht. Die weiteren Folgen zeigt die ARD morgen, die Serie steht zudem komplett in der Mediathek.