Markus Bechtold, evangelisch.de-Portalleiter:
Der Ökumenische Kirchentag hatte dazu aufgerufen, genau hinzuschauen. So wurden Debatten über mögliche Lehren aus der Corona- und Klima-Krise geführt, es ging um die Finanzmacht, man rief dazu auf, gegen Antisemitismus, Rechtsterrorismus, Ausgrenzung und sexuelle Gewalt einzutreten und forderte ein, sich dafür stark zu machen, dass sich die Konfessionen weiter einander annähern. Wird die Kirche aber auch selbst von der Gesellschaft wahrgenommen und gesehen? In diesem Jahr zumindest fehlten die Bilder von Tausenden fröhlich miteinander feiernden Gläubigen, von jung bis alt, die es bis in die Hauptmedien schaffen konnten.
Vieles war digital und dezentral. Zuhause am Laptop klickte ich von der Bibelarbeit zur nächsten Veranstaltung, vom Workshop zur Podiumsdiskussion, danach zum abendlichen Kulturprogramm. Eigentlich spürt man am Abend eines zu Ende gegangenen Tages auf dem Kirchentag seine Füße, die einen weit getragen haben. Dieser Tage, das muss ich zugeben, saß ich viel.
Kirchentage sind für mich immer auch politisch. Der digital übertragene Ökumenische Kirchentag 2021 aber konnte nur begrenzt auf tagespolitische Aktualität reagieren. Sicherlich hätten die Gewalt in Nahost und auch die antisemitischen Vorfälle in Deutschland größere Resonanz erfahren als dies bei dem teilweise voraufgezeichnetem Videoprogramm geschehen konnte. Während am Samstag mitten in Frankfurt bei der evangelischen Katharinenkirche an der Hauptwache viele Menschen im Rahmen der Eskalation des Nahostkonflikts für Palästina demonstrierten, fand auch eine israelsolidarische Kundgebung unter dem Motto "Solidarität mit Israel - gegen antisemitischen Terror" statt. Die Kunstinstallation "Tischlein deck dich" mit dem blauen langem Tisch und den großen Stühlen vom Ökumenischen Kirchentag waren in Sichtweite und ein Anziehungspunkt für Kirchentagsteilnehmende. Normalerweise wäre dies eine Möglichkeit des aufeinander Zugehens, der Solidarität oder des Meinungsaustauschs gewesen. So blieben die Demonstrierenden auf der einen Seite und der Ökumenische Kirchentag auf der anderen. Notgedrungen.
Dezentral und digital. Was ein großes Versprechen war, ist nicht immer ganz aufgegangen. Dezentral vor Ort, das scheint von Kiel bis Konstanz geklappt zu haben. Manche nannten es in den sozialen Medien aber auch schlichtweg "dezentral" und meinten damit, dass sie sich online nicht gut zurechtfanden. Das gab es aber auch bei den vergangenen Kirchentagen in Präsenz: übervolle Hallen und den richtigen Weg nicht gefunden, dafür aber vielleicht mit offenem Blick woanders gelandet und positiv überrascht.
An dem viertägigen Fest und seinen digitalen Angeboten haben sich laut den Veranstaltenden rund 160.000 Menschen beteiligt. Pandemiebedingt verband sich immer wieder das Digitale mit Veranstaltungen vor Ort. Die vier Gottesdienste am Samstagabend der gastgebenden Kirchen wurden auf oekt.de übertragen, so dass viele Menschen sie auch von Zuhause aus mitfeiern konnten. Insgesamt nahmen nach Aussage der Veranstaltenden etwa 6.000 Menschen diese Möglichkeit wahr. Hinzu kommen die zahlreichen Gottesdienste überall in vielen Gemeinden in ganz Deutschland. Aber es war glücklicherweise so, wie ich es am Anfang erhofft hatte: Die Gemeinschaft war so zwar verteilt, aber nicht zerrissen.
In einer Zeit, in der die ganze Welt und jeder einzelne von uns unter der Corona-Pandemie leidet und immer wieder herausgefordert ist, sendete der ökumenische Kirchentag aus Frankfurt am Main ein Hoffnungszeichen in die Welt.
Lena Christin Ohm, evangelisch.de-Redakteurin:
Der digitale 3. Ökumenische Kirchentag hatte für mich weniger von einem Kirchentag und mehr von einer großen Weiterbildung, bei der man sich zusammen mit anderen Menschen für verschiedene Module anmelden konnte. Technisch liefen die von mir besuchten Veranstaltungen ok. Ich habe etwas gelernt und bin hinterher schlauer als vorher. So geht es mir aber eben auch nach guten Fortbildungen. Ich hatte mir gewünscht, dass der ÖKT mehr ist als das. Dass doch noch irgendwie das vielbeschworene "Kirchentagsgefühl" aufkommt und ich mich als Teil einer Gemeinschaft fühlen kann. Wie wenn Unbekannte in der U-Bahn plötzlich ein Lied anstimmen und alle anderen singen es im Kanon mit – weil wir uns zwar alle nicht kennen, aber trotzdem verbunden sind. Stattdessen hat es ein Teilnehmer im Vorfeld des Workshops zur digitalen Kirche gut zusammengefasst: "Es ist ja so still hier, gar nicht so kirchentagsmäßig." Dabei war in dem Workshop meine Freude groß, weil ich so viele Menschen "wiedergesehen" habe. Wären wir physisch anwesend gewesen, hätte ich mit diesem oder jenem ein paar Minuten zusammengestanden und geschnackt. So war das leider nicht möglich. Denn vor hundert anderen wechselt man doch kein privates Wort. Und die Möglichkeit der Privatnachricht gab es leider nicht. Also konnte ich mich nur darüber freuen, mal wieder ein paar bekannte Gesichter gesehen zu haben. Und das ist mir ehrlich gesagt zu wenig.
Vielleicht urteile ich auch so hart über den ÖKT, weil ich – wie so viele – auf etwas anderes gehofft hatte. Und weil meine Hoffnungen nicht so diffus gewesen sind, sondern wir als evangelisch.de-Team uns schon vor zwei Jahren ausgemalt hatten, was wir alles für den Heim-ÖKT auf die Beine stellen wollten. Ich werde die großen, grandiosen Pläne, das was-hätte-sein-können nicht los. Und vor diesem Hintergrund verblasst alles, was der ÖKT liefert. Da ist die Stimme in meinem Ohr, die mir zuflüstert, dass es nicht unbedingt fair ist. Dass ich den digitalen ÖKT nicht mit Berlin oder Dortmund vergleichen darf. Berlin, mein erster Kirchentag, der gleich mit Obama am Brandenburger Tor anfing – und ich live dabei fast in der ersten Reihe (ok, es war die siebte Reihe, aber immerhin). Sowas ist unvergesslich. Oder Dortmund: Für mich die Rückkehr in die Stadt, in der ich jahrelang gelebt hatte, und ein Kirchentag, in dessen Vorbereitung ich die Menschen der dortigen Lydia-Gemeinde sehr gut kennenlernen durfte.
Meine Kirchentage waren bisher immer eins: Geprägt von Begegnungen und von persönlichen Erlebnissen, die der Zufall so wollte. Nun, zufällig lief bei diesem ÖKT nichts. Konnte es ja auch gar nicht. Das ist nicht die Schuld des ÖKT oder der Organisatoren, die ihr Bestes gegeben haben, um das Christentreffen unter diesen schwierigen Bedingungen stattfinden zu lassen. Aber trotzdem bleibt bei mir die Enttäuschung präsent. Aber auch die Hoffnung: Ich hoffe auf ein Wiedersehen, auf 2023, auf Nürnberg.
So bewerten Kirchentag-Fans aus Bayern ihre erste rein digitale ÖKT-Erfahrung:
"Man ist dabei, aber nicht nahe dran".