Claudia Keller, chrismon-Redakteurin: Sonne und Segen
"Schaut hin. Seht nach. Blickt durch. Mit offenen Augen…", jazzt und singt die Band T.A.P. auf der Weseler Werft - und einzelne oder auch mal ganze Gruppen klatschen rhythmisch mit. Ein bisschen Kirchentagsfeeling kommt also doch noch auf - wenn auch mit Maske und drei freien Stühlen zwischen den Leuten, die sich nicht kennen. Wie gern würde ich jetzt mitschmettern! Die Stimmung ist aber auch so gut, auf dem Main fahren Frachtschiffe und Ruderboote vorbei, und nach jedem Regenschauer glitzert kurz die Sonne auf den flatternden Plastikumhängen, die die Helferinnen und Helfer am Eingang gegen den Regen verteilt haben.
Gottesdienste draußen und mitten in der Stadt gehören zum Kirchentag dazu wie normalerweise überfüllte Messehallen und bunte Schals. Die Christinnen und Christen wollen den Nachbarn selbstbewusst zeigen, dass sie da sind. Zumindest einmal im Jahr. Ein Segen sein, anderen Gutes tun, auch wenn man "nur" ein gutes Vorbild ist, darum geht auch in der Predigt von Mareike Bloedt und Schwester Katharina Ganz. Das will ich mir merken, auch am Montag noch. Schade nur, dass auf den vielen Balkons der Häuser an der Weseler Werft nur wenige Menschen zuschauen und hinhören. Ein Mann putzt seine riesigen Fenster, als er fertig ist, macht er sie schnell wieder zu.
Markus Bechtold, Portalleiter evangelisch.de: "Packen wir‘s an!"
Da erklingen sie also gleich in den ersten Sekunden des Schlussgottesdienstes, die Posaunen, deren Klang für viele so typisch für einen Kirchentag ist und den sich ein mancher in den vergangen Tagen ersehnt hatte. Der ökumenische ZDF-Fernseh-Schlussgottesdienst am Wasser des Frankfurter Main-Ufers spricht von der Vielfalt unserer Welt, von Gerechtigkeit, Frieden, einem zugewandtem Miteinander und richtet sich gegen Machtmissbrauch in unseren Kirchen und fordert daher eine schonungslose Aufarbeitung mit konsequentem Handeln. Schwester Katharina Ganz, Generaloberin der Oberzeller Franziskanerinnen, fordert in der Predigt des ökumenischen Gottesdienstes für Frauen den Zugang zu allen Ämtern und Diensten in der katholischen Kirche zu ermöglichen. Ein Satz, der, wenn er endlich Wirklichkeit würde, so vieles ändern und bereichern würde. Mit den Liedern fühle ich mich "Eingeladen zum Fest des Glaubens." Glücklich bin ich über das Kirchenlied von Eugen Eckert: "Bewahre uns Gott, behüte uns Gott, sei mit uns auf unseren Wegen. Sei Quelle und Brot in Wüstennot, sei um uns mit deinem Segen." Da weiß ich schon, dass mich diese gute Stimmung weiter durch den Tag begleiten wird. Der digitale Friedensgruß #UndFriedeSeiMitDir lässt mich auf Twitter vielen Menschen begegnen, die ich lange nicht mehr gesehen habe. Dieses Gefühl stärkt mich für all das, was nun vor uns liegt. "Packen wir’s an!" – auch das kann uns aus diesem Schlussgottesdienst des Ökumenischen Kirchtags 2021 inspirieren.
Frank Muchlinsky, Pastor bei evangelisch.de: Hört auf, mir etwas vorzumachen!
Der Kirchentag geht zu Ende wie er begonnen hat: Mit vielen, wohl gesetzten Worten und Kamerafahrten. Die Bläser, die üblicherweise zu Kirchentagen kommen, um sich spontan zusammenzurotten und ihre Botschaft in die Stadt zu posaunen, kennen heute Ihre Einsätze genau, ebenso wie Band und Chor. Überall wird etwas vorgemacht. Vorbildlich ist alles, was ich sehe und höre. Ich suche nach ein paar Bildern, die Lebendigkeit vermitteln. Zum Glück finde ich sie: Hinter dem Zaun um das Gottesdienstgelände gehen zwei Leute Spazieren. Die Blätter der aufgeschlagenen Bibel flattern im Wind. Oh, und da singt eine Amsel, während gepredigt wird. Und wieder Worte. Korrekt und unkonkret. Dann passiert etwas, das mich überrascht: "Der Himmel ist offen und weit!" Wie ein Mantra wird diese Zeile gesungen, und ich spüre den Wunsch mitzusingen. Aber dann ist es auch schon wieder vorbei und mir wird wieder etwas vorgemacht. Plötzlich Applaus! Die anwesende Gemeinde regt sich und applaudiert für die Aktion einer Pfadfindergruppe, die einen Erlebnis-Parcours auf dem ÖKT organisiert hatten. 70 Leute haben da mitgemacht. Ich klatsche mit, freilich innerlich. Ein virtueller Chor und der Hashtag #friedeseimitdir runden das Bild eines Kirchentags ab, der stattfinden musste. Nun ist er vorbei.
Lena Christin Ohm, evangelisch.de-Redaketurin: Die Nähe fehlt
Abschlussgottesdienst – wie die vergangenen beiden Male schaue ich ihn mir im Fernsehen an, statt live dabei zu sein. Doch da enden in diesem Jahr meine Parallelen zu Berlin und Dortmund. Wo ich sonst zusammen mit Kollegin und Kollegen in der Hotellobby gesessen habe, bin ich nun allein auf dem Sofa. Sonst haben wir das Kirchentagsgefühl in die Hotellobby geholt, die anderen Gäste haben – gewollt oder ungewollt – mit uns den Abschlussgottesdienst geschaut. Wir hatten unsere eigene kleine Gottesdienstgemeinschaft, haben gemeinsam das Vater Unser gebetet und uns den Friedensgruß zugesprochen. Das war unser persönlicher Abschluss anstrengender, aber bereichernder Tage.
Bei diesem ÖKT ist das anders. Ich habe den Austausch über die Predigt vermisst. Eine Predigt, die aus meiner Sicht alles einmal ansprechen wollte – Weihämter für Frauen, sexualisierte Gewalt in der Kirche, den Klimawandel, den Konflikt im Heiligen Land und noch so viel. Und für mich dabei nur an der Oberfläche gekratzt und eigentlich gar nichts gesagt hat – abgesehen von ein paar Allgemeinplätzen. Berührt wurde ich nicht. Viel zu steif war das alles, viel zu wenig Verve und Emotionen. Von Gottes geliebter Gurkentruppe war da nichts zu spüren. Und T-Shirts und Banner werden bestimmt nicht mit Auszügen aus der Predigt bedruckt. Es gab keinen Satz mit einem Ausrufezeichen. Aber es blitzten auch hin- und wieder mal Momente auf, die mich ein klitzekleines Bisschen ergriffen: Der virtuelle Chor, mit dem ich zusammen auf dem heimischen Sofa "Bewahre uns Gott" gesungen habe. All diese Menschen, diese kleinen Kacheln, die doch ein gemeinsames Ganzes ergeben – das habe ich gespürt. Und auch die Freude von Elke Büdenbender und Heinrich Bedford-Strohm, als sie beim Abschlusslied mitgeklatscht und sich zur Musik bewegt haben. Davon hätte ich mir mehr gewünscht. Um die Nähe zu spüren, die sonst trotz der Entfernung immer da war.
Sarah Neder, Redakteurin für evangelisch.de: Virtuell heimreisen
Laptop auf und nach Hause kommen. Für mich "Exil-Hessin", die seit vier Jahren in Manchester wohnt, war der Abschlussgottesdienst des 3. Ökumenischen Kirchentags wie ein Live-Stream in die Heimat. Seit vergangenem August war ich nicht mehr am Main. Die Bilder von der Weseler Werft frischen Erinnerungen und Heimweh auf. Die Ruderer links, die Brücken und Wolkenkratzer hinten: Frankfurt macht sich toll als Bühnenkulisse auf meinem Bildschirm. Ein echter Besuch wäre um Welten besser. Natürlich. Immer lieber Händeschütteln statt Hashtag-Teilen. Die dezentrale Zeremonie hat mich trotzdem an mancher Stelle gepackt. Zum Beispiel mit der Theologin und Poetry Slamerin Jelena Herder, die dort so melodisch ihre Glaubensheimat formuliert hat. Eine Zeile hallt besonders nach: "Wir sind Teil einer großen Geschichte", hat sie gesagt. Wir sind es in diesem Moment. Egal, ob in Frankfurt oder Manchester.
Pamela Barke, Social Media-Redakteurin für evangelisch.de, gibt einen Überblick, wie unsere evangelisch.de-Facebook-Nutzer:innen den Schlussgottesdienst erlebt haben:
Gerade beim Himmelfahrtsgottesdienst zu Beginn des 3. Ökumenischen Kirchentags unter freiem Himmel über den Dächern von Frankfurt und beim Open-Air-Schlussgottesdienst heute auf der Weseler Werft vor der Frankfurter Skyline wurde deutlich, was Nutzer:innen bewegte. Dass der Kirchentag in diesem Jahr wieder ökumenisch stattfand, war für einige etwas Besonderes, so auch für Susanne Schröder-Nowak: "Danke für die guten Worten und die Verbundenheit. Gut auch, dass das Nicänum uns verbindet." Ebenso wurde die Weite der "Ökumene" hervorgehoben. P Jörn Wieczorrek: "Ich finde sehr gut, dass die methodistische Alt-Bischöfin und der orthodoxe Vertreter wirklich beteiligt waren, so wird es wirklich ökumenisch." Und auch, dass der Kirchentag in den Alltag hinein wirken könnte. Anneliese Dirking meinte: "So ökumenisch sollte es jeden Sonntag sein."
Natürlich war da Trauer und Wehmut in so manchen Äußerungen, dass der Kirchentag nicht wie sonst analog sondern nur digital stattfinden könnte: "Wie gerne wäre ich jetzt mit vielen anderen bei ÖKT in Frankfurt!", schrieb Ina Vorwerk - gefolgt von einem Tränensmiley. Oder: "So traurig, dass er [der Kirchentag] nicht so stattfinden kann wie geplant. Er war bei uns fest eingeplant und die Atmosphäre auf den Kirchentagen ist jedesmal einfach nur einzigartig." (Hans-Jürgen Haas)
Doch viele Kirchentagsbesucher:innen an den Bildschirmen daheim ließen sich spürbar auf die neue Form ein und vom Geschehen berühren. So formulierte Antke Wöstmann: "Das war der beste Gottesdienst, den ich seit Jahren erlebt habe. Ein herzliches Dankeschön an die Veranstalter."
Clemens Selzer beschrieb wie andere beides, die positiven Eindrücke beim Schlussgottesdienst und die Sehnsucht nach der sonst auf dem Kirchentag erlebbaren Gemeinschaft: "Ein schön gestalteter Gottesdienst, auch Zuschauer im TV konnten ihn wirklich mitfeiern. Ansprechende Texte und Gebete; schöne Lieder, die von den Sänger*innen und Musiker*innen in Frankfurt hervorragend interpretiert wurden und zum Mitsingen zu Hause eingeladen haben. Allen Beteiligten vor und hinter der Kamera ein herzliches Dankeschön! Aber: Zum Abschlussgottesdienst eines Kirchentages gehören einfach viele Mitbetende und Mitsingende Menschen vor Ort. Menschen, die als Christengemeinde zum Mitfeiern und zur Begegnung zusammenkommen. Das hat gefehlt und wird hoffentlich 2022 in Stuttgart und 2023 in Nürnberg wieder möglich sein."