Verfassungsrechtler Augsberg fordert schnell Freiheiten für Geimpfte

Verfassungsrechtler Augsberg fordert schnell Freiheiten für Geimpfte
01.05.2021
epd
epd-Gespräch: Corinna Buschow

Gießen (epd). Der Verfassungsrechtler Steffen Augsberg hat eine umfassende Aufhebung der Freiheitsbeschränkungen für Geimpfte und Genesene gefordert. „Verfassungsrechtlich ist klar: Wir dürfen Freiheiten nicht grundlos einschränken“, sagte Augsberg, der auch Mitglied im Deutschen Ethikrat ist, in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Gegen Corona Geimpfte und Covid-19-Genesene seien kaum noch infektiös. „Bei Personen mit nahezu null Risiko gibt es auch nahezu null Einschränkungsmöglichkeit“, sagte Augsberg. Grundrechte müssten ihnen „unmittelbar und in ihrer vollen Wirksamkeit“ gewährleistet werden.

Der Gießener Jura-Professor findet es nach eigenen Worten unzureichend, Geimpfte nur negativ Getesteten gleichzustellen, etwa beim Einkauf oder Friseurbesuch. „Wenn man bedenkt, dass eine Impfung oder durchgemachte Infektion Wissenschaftlern zufolge sicherer ist als ein negativer Schnelltest, muss man Geimpften und Genesenen auch mehr Freiheiten geben“, sagte er. Es sei daher unplausibel, wenn die Politik Geimpften und Genesenen „nur das gibt, was sie bereit ist, Getesteten zu geben“. Auch Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen müssten für sie entfallen.

Anders beurteilt Augsberg die Pflicht zum Abstandhalten und zum Tragen einer Maske. „Wenn unterschiedliche Regeln in der Öffentlichkeit zu Verwirrung und Unfrieden führen, kann man diese Pflichten aufrechterhalten, auch weil die Maske eine viel geringere Belastung ist als die Kontaktbeschränkungen“, erläuterte er.

Augsberg forderte die Politik zu einer schnellen Aufhebung der Einschränkungen für Geimpfte auf. Besonders dramatisch finde er die Situation in Alten- und Pflegeheimen, wo inzwischen alle ein Impfangebot erhalten haben dürften. „Man darf bei einer 93-Jährigen nicht vier Monate ins Land gehen lassen, bis man sie von den Kontaktbeschränkungen ausnimmt“, sagte er.

Gleichzeitig räumte er ein, man müsse junge Leute ernst nehmen, die bei Freiheiten für Geimpfte das Gefühl hätten, ein weiteres Mal bestraft zu werden: „Sie haben sich bewundernswert zurückgehalten in der Pandemie, obwohl sie weniger zu befürchten hatten, und auch akzeptiert, später mit den Impfungen an der Reihe zu sein.“ Er halte es für sinnvoll, bei Impfungen nach der ersten, jetzt auslaufenden Priorisierungsphase am Kriterium der Exposition anzusetzen und damit gerade Jüngere früher mit zu berücksichtigen.

Letztlich könne aber man den sachlichen Unterschied bei der Ansteckungsgefahr nicht ignorieren. „Wir können nicht Freiheitsbeschränkungen aufrecht erhalten, nur damit sich andere besser fühlen“, sagte Augsberg und ergänzte: „Geteiltes Leid ist halbes Leid“ bedeute Mitleid oder Mitleiden „in einem empathischen, nicht in einem realen Sinn“. „Ich darf auch nicht einen Porsche zerschlagen, weil ich ihn mir nicht leisten kann“, sagte Augsberg.