Mit Sophie Scholl habe er das Abendmahl gefeiert, bis der Wächter an die Zellentür pochte. "Sie richtete aufrecht und ohne mit der Wimper zu zucken noch ihre letzten Grüße an den ihr unmittelbar folgenden innigst geliebten Bruder aus", beschreibt Alt in seinen Erinnerungen die letzten Augenblicke von Sophie Scholl, die vor 100 Jahren am 9. Mai 1921 zur Welt kam. Ihr Wunsch nach einem gemeinsamen Abendmahl blieb den Scholls und ihrem Freund Christoph Probst, der zwar noch nicht getauft war, aber zum Katholizismus neigte, verwehrt.
Immerhin konnten die Scholls und Christoph Probst bei einer letzten gemeinsamen Zigarette voneinander Abschied nehmen. Gegen die Gefängnisordnung hatten die Wächter den jungen Leuten diese letzte Begegnung gewährt. Auch die Eltern konnten ihre Kinder kurz vor ihrer Ermordung ein letztes Mal sehen. Mutter Lina schrieb später an Sophies Freund Fritz Hartnagel, ihre Tochter habe "leicht und locker an der Heizung gelehnt" und "hatte einen Glanz in ihren Augen, den ich sonst nicht kannte".
Die Hinrichtung von Sophie Scholl dauert nur wenige Sekunden, direkt nach ihr folgen ihr Bruder Hans und Christoph Probst. Die Todesurteile vollzog man in großer Kälte und Grausamkeit. Pfarrer Alt schreibt in seinen Erinnerungen, dass es keine "Henkersmahlzeit" mehr gab, das Kreuz sei als "veraltetes Symbol" aus dem Hinrichtungsraum entfernt worden und die Geistlichen sollten mit den Todeskandidaten nicht mehr laut beten. Gegen diese Maßnahme hatte sich Alt erfolgreich verwahrt.
Zwei Tage nach der Hinrichtung beerdigte Alt die Geschwister Scholl kurz vor Sonnenuntergang auf einem von der Gestapo abgeriegelten Teil des Friedhofs am Perlacher Forst in München. Er sprach den 90. Psalm "Herr, Gott, du bist unsere Zuflucht für und für" und das Hohelied der Liebe aus dem Brief des Paulus an die Korinther. Alt starb 1951 mit 54 Jahren.
Sophie Scholl - unangepasst und selbstbewusst
Sophie Scholl ist eine der populärsten Persönlichkeiten des Widerstands gegen das NS-Regime und gilt als ein Vorbild für Zivilcourage. Ihre Büste steht in der Ruhmeshalle der Walhalla und in Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett in London: Vor 100 Jahren (9. Mai) wurde Sophie Scholl im württembergischen Forchtenberg geboren. Die Studentin und ihre Mitstreiter der "Weißen Rose" hatten mit Flugblättern zum Kampf gegen die Nazis aufgerufen. Sophie Scholl und sechs weitere Mitglieder bezahlten dies mit dem Leben.
Im Sommer 1942 beginnt sie in München Biologie und Philosophie zu studieren und schließt sich der Widerstandsgruppe "Weiße Rose" an, die ihr älterer Bruder Hans zusammen mit Alexander Schmorell und anderen gegründet hat. 1942 und 1943 verfassen sie insgesamt sechs Flugblätter, in denen sie über die Verbrechen des NS-Regimes aufklären wollen. Der "Weißen Rose" ist eine überzeugende philosophische und theologische Begründung wichtig. Alle Flugblätter werden sorgfältig vorbereitet und redigiert.
Die ersten entstehen in Schmorells Elternhaus, Auflage jeweils 100 Stück. Mit einem neuen Vervielfältigungsapparat steigen die Auflagen auf Tausende Exemplare. Per Kurier oder Post werden die Flugblätter nach Ulm, Stuttgart, Freiburg, Hamburg oder Chemnitz und in einige österreichische Städte gebracht. Am 18. Februar 1943 gegen elf Uhr legen die Geschwister Scholl das sechste Flugblatt vor den Hörsälen im Hauptgebäude der Münchner Universität aus. Überzählige Blätter fallen in den Lichthof, Hans und Sophie Scholl werden vom Hausmeister gefasst.
Nach einem kurzen Volksgerichtsprozess im Münchner Justizpalast kommen Sophie und Hans Scholl und Christoph Probst nur vier Tage nach ihrer Verhaftung am 22. Februar nach Stadelheim, sie sind zum Tod verurteilt. Um 17 Uhr wird Sophie Scholl über den Gefängnishof in den Raum mit der "Fallschwertmaschine" geführt. Ruhig und gefasst war sie, steht im Protokoll. Zwei Minuten später stirbt Hans. Seine letzten Worte: "Es lebe die Freiheit!" Danach stirbt Christoph Probst. Rund 60 Mitstreiter wurden danach in mehreren Prozessen angeklagt und verurteilt.
Wer war Sophie, der Mensch, das Mädchen hinter dem Mythos? "Eine feine Eigenwilligkeit (?) gepaart mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitsgefühl", schrieb ihr die vier Jahre ältere Schwester Inge zu. 1942 war ein Wendejahr für die Familie. Der Vater wurde wegen kritischer Äußerungen über Hitler für mehrere Monate verhaftet, die Entwicklung des Kriegs sowie die katastrophalen Berichte von der Front - es gibt viele Spuren, die bei Sophie Scholl dazu geführt haben, sich den Nazis entschlossen entgegenzustellen. Wegen des bündischen Engagements ihres Bruders hatte die Gestapo sie 1937 erstmals verhört.
Wesentliches wurzelt wohl in der Familie: im Pazifismus der Eltern, in der pietistischen Frömmigkeit der Mutter. Die Familie Scholl stammt aus Hohenlohe, dem fränkisch geprägten Nordosten Württembergs. Sophie wurde am 9. Mai 1921 als viertes Kind von Lina und Robert Scholl in Forchtenberg geboren. Ihr Vater war dort seit 1919 Bürgermeister. Ihre Mutter war die Tochter eines Schuhmachers und Fabrik-Schichtmeisters aus Künzelsau. Das Lebensmotto der Pietistin war: "Es geht, wie Gott will."
Zunächst vom Nationalsozialismus betört
1932 zog die Familie Scholl nach Ulm. Robert Scholl eröffnete dort eine Kanzlei als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer. Anders als ihre Kinder, die - ganz dem Zeitgeist folgend - mit wehenden Fahnen sich zunächst vom Gemeinschaftsideal des Nationalsozialismus betören ließen, lehnten die Eltern Scholl den Faschismus ab. 1933 trat Hans dem "Jungvolk" bei und wird in kürzester Zeit Scharführer. Im Jahr 1934 machte es ihm Sophie Scholl beim Bund Deutscher Mädel als Jungmädelführerin nach.
Im Jungmädelbund wurden Sophie Scholl und Susanne Hirzel (1921-2012) Freundinnen. "Sie war wie ein feuriger wilder Junge und trug die dunkelbraunen glatten Haare im Herrenschnitt. Sie war lebhaft, keck (?) und von einer göttlichen Schlamperei", erinnerte sich Hirzel 1946 in einem Schreiben an Ricarda Huch. Sophie und ihre Freundinnen zelteten gemeinsam "fast jedes Wochenende" an der Iller, an der Donau, schreibt Hirzel weiter. "Letzten Endes ging es um die Freiheit."
Partys hießen "Tanzkränzle" in Ulm. Sophie liebte die neuen, wilden amerikanischen Tänze. Foxtrott hieß "Fuchstrab". Der damals 20-jährige Fritz Hartnagel und die 16-jährige Sophie Scholl kannten sich schon länger. Bei den "Tanzkränzle" ging es ausgelassen zu, es wurde geraucht und getrunken. Und zwischen Sophie und Fritz begann es zu funken. Es war eine komplizierte Liebe.
Der Briefwechsel zwischen den beiden ist fast vollständig erhalten. "Sophie wollte eigentlich eine Beziehung ohne körperliche Liebe", meint ihr Biograf Robert Zoske. "Selbst als sie zusammen in Urlaub fuhren, sich billige Ringe besorgten, damit sie verheiratet erschienen und gemeinsam in einem Hotelzimmer übernachten konnten, immer noch, als sie miteinander schliefen, war das so."
Am Ende ihres kurzen Lebens hetzten die Eltern nach Stadelheim. Zehn Minuten blieben ihnen, sich von ihren Kindern zu verabschieden. Robert Scholl umarmte Hans und Sophie im Besuchsraum über die Brüstung hinweg und sagte: "Ihr werdet in die Geschichte eingehen." Sophie antwortete: "Das wird Wellen schlagen." Ganz nahe seien sie sich gewesen, schreibt die Mutter später. Sie habe zu Sophie gesagt: "Aber gelt, Jesus". Und Sophie habe geantwortet: "Ja, aber Du auch." Mutter Lina Scholl schreibt nach Sophies Tod, ihre Tochter sei nun ganz bei Gott. Hans Scholl wurde 24 Jahre alt, Sophie starb mit 21.