"Wir schweigen nicht, wir sind Euer böses Gewissen, die Weiße Rose lässt Euch keine Ruhe." Mit diesen Worten endet das vierte Flugblatt der Münchner Widerstandsgruppe der "Weißen Rosen". Schonungslos prangern Hans Scholl und Alexander Schmorell die Mitschuld ihrer Mitmenschen an, die sich durch Untätigkeit an dem Unrecht beteiligen: "Gibt es, so frage ich Dich, der Du ein Christ bist, […] ein Hinausschieben der Entscheidung in der Hoffnung, dass ein anderer die Waffen erhebt, um Dich zu verteidigen? Hat Dir nicht Gott selbst die Kraft und den Mut gegeben zu kämpfen?" In den drei vorherigen Flugblättern hatte die "Weiße Rose" bereits zum passiven Widerstand aufgerufen, die Massenmorde an Juden und Polen angeprangert und schließlich konkrete Anweisungen für einen Regierungssturz gegeben.
Für Hans Scholl, aus dessen Freundeskreis die "Weißen Rose" entstand, ist der Widerstand gegen die Nationalsozialisten Christenpflicht. "Er hat gespürt: sich zurückziehen und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen, das geht nicht, das wäre Verrat", sagt Robert Zoske, der mit "Flamme sein!" eine neue Hans Scholl Biographie veröffentlicht hat. Der Theologe sieht Hans Scholls Gottesbild als einen Grund für das Engagement des jungen Mannes. Für Scholl ist der liebe Gott einer gewesen, "der möchte, dass man, wenn man Ungerechtigkeit entdeckt und wenn man die Kraft dazu hat, dann auch handelt", so Zoske.
Scholl und seine Mitstreiter haben die Kraft zum Handeln und so erscheint Ende Januar 1943 das fünfte Flugblatt der Gruppe. Sie verschicken es in sechs deutsche und österreichische Städten, um den Eindruck einer großen Bewegung zu erwecken. Den Rest verteilt die Gruppe des Nachts in München – unter großem Risiko für die eigene Sicherheit, jedoch ohne den erhofften Erfolg. Zum engeren Kern der Widerstandsbewegung gehören zu diesem Zeitpunkt neben Hans Scholl und Alexander Schmorell auch Christoph Probst und Sophie Scholl, die wohl bereits im Sommer 1942 eingeweiht waren, sowie Willi Graf und der Universitätsprofessor Kurt Huber.
Besonders für Hans Scholl sei der Glaube an das Kreuz Christi und sein Licht von richtungsweisender Bedeutung gewesen. "Er handelte, Christus vor Augen und nur Gott verantwortlich. Das war Luthers Freiheit eines Christenmenschen", erklärt Zoske in seinem Buch. Den Studenten sei es um den christlichen Glauben gegangen, nicht aber um eine einzelne Konfession. "Die haben die Ökumene gelebt", urteilt Zoske über die "Weiße Rose", deren Mitglieder evangelisch, katholisch und russisch-orthodox waren.
Nach der Kapitulation der 6. Armee in Stalingrad glaubt die Gruppe einen Stimmungsumschwung zu spüren. Im sechsten Flugblatt ruft Kurt Huber die deutsche Jugend zum Widerstand gegen Hitler auf. Ein Teil der Flugblätter wird wie zuvor auch per Post verschickt, den Großteil tragen Hans und Sophie Scholl jedoch am 18. Februar 1943 in einem Koffer und einer Aktentasche bei sich, als sie die Münchner Universität betreten. Im ersten und zweiten Stock legen sie vor den Hörsälen stapelweise Flugblätter aus, den Rest werfen sie von der Balustrade in den menschenleeren Lichthof. Dabei beobachtet sie der Hausschlosser der Universität und erklärt sie für verhaftet. Wenig später trifft die Geheime Staatspolizei (Gestapo) ein und führt die Geschwister ab. Bei Hans Scholl finden die Beamten den Entwurf des siebten Flugblatts von Christoph Probst, der daraufhin ebenfalls verhaftet wird.
Hans Scholls Verhörprotokoll gleicht jedoch weniger einem Geständnis als vielmehr einem politischen Bekenntnis. Er klagt die deutsche Intelligenz an, zwischen 1918 und 1933 nicht in der Lage gewesen zu sein, die einfachsten politischen Fragen richtig zu beantworten. "Nur aus diesem Grunde ist es erklärlich, dass Massenbewegungen mit ihren einfachen Parolen jede tiefere Gedankenarbeit übertönen konnten", so Scholl. Er habe einer "inneren Verpflichtung" folgen müssen und habe gewusst und auch damit gerechnet, dadurch sein Leben zu verlieren. "Hans Scholl war furchtlos entschlossen, der Gestapo so weitreichende Gedanken darzulegen. Er wollte ganz oder gar nicht leben", so Robert Zoske.
Auch Sophie Scholl zeigt in ihrem Verhör Größe und Mut: als nicht mehr zu leugnen ist, dass sie mit der Herstellung und der Verbreitung der Flugblätter zu tun hat, nimmt sie alle Schuld auf sich und versucht so ihren Bruder Hans zu retten. Vergeblich. Wie auch Hans bereut Sophie ihre Taten nicht und zeigt sich bereit, die Konsequenzen zu tragen. Diese Haltung beeindruckt den SS-Obersturmführer und Kriminalobersekretär Robert Mohr, der Sophie Scholl verhört, nachhaltig: "Ich kann nur wiederholen, dass dieses Mädel, wie auch ihr Bruder, eine Haltung bewahrt hat, die sich nur erklären lässt mit Charakterstärke, ausgeprägter Geschwisterliebe und einer selten tiefen Gläubigkeit", notiert er.
Am 22. Februar 1943 eröffnet der Präsident des Volksgerichtshofes, Roland Freisler, die Hauptverhandlung gegen Hans Fritz Scholl, Sophia Magdalena Scholl und Christoph Hermann Probst. Ihnen wird Hochverrat, Feindbegünstigung und Wehrkraftzersetzung vorgeworfen. Doch statt ängstlich vor dem tobenden Freisler zu kauern, bleiben die Angeklagten "von ihren Idealen erfüllt ruhig, gefasst, klar und tapfer", so der anwesende Gerichtsreferendar Leo Samberger. Hans Scholl bezeichnet den Prozess sogar noch als "Affentheater". Keine drei Stunden später verkündet Freisler "im Namen des deutschen Volkes" die Todesurteile für die Geschwister Scholl und Probst.
Im Stadelheimer Gefängnis verabschieden sich die Geschwister getrennt voneinander von ihren Eltern. Vom evangelischen Gefängnisseelsorger Karl Alt lässt sich Hans Scholl das "Hohelied der Liebe" und den 90. Psalm vorlesen. Auf die Frage, ob er wirklich weder Hass noch Bitterkeit gegenüber seinen Anklägern und Richtern verspüre, versichert ihm Hans Scholl: "Nicht soll Böses mit Bösem vergolten werden, und alle Bitterkeit sei ausgelöscht."
Um 17 Uhr wird Sophie Scholl auf der Guillotine hingerichtet, zwei Minuten später ihr Bruder Hans und um 17:05 Uhr Christoph Probst. Sieben Sekunden habe es bei Hans Scholl von Übergabe an den Scharfrichter bis zum Fall des Beiles gedauert – insgesamt seien zwischen dem Verlassen der Zelle und Hans Scholls Tod laut Hinrichtungsprotokoll nur eine Minute und 52 Sekunden vergangen. Seine letzten Worte: "Es lebe die Freiheit!"
Mit den Todesurteilen will die Nazi-Justiz den studentischen Widerstand der Gruppe um die Geschwister Scholl im Keim ersticken und Nachahmer abschrecken. Auch Willi Graf, Kurt Huber und Alexander Schmorell werden kurze Zeit später zum Tode verurteilt und hingerichtet. Ihr Einsatz und die Texte ihrer Flugblätter geraten jedoch nicht – wie von den Nationalsozialisten erhofft – in Vergessenheit. Die ausländische Presse berichtet über die Prozesse, der Literaturnobelpreisträger Thomas Mann spricht in seiner BBC-Sendung über den Mut der Münchner und im Juli werfen die Alliierten das sechste Flugblatt unter dem Titel "Ein deutsches Flugblatt" über Deutschland ab.
In der öffentlichen Wahrnehmung", schreibt Zoske, "ist die ‘Weiße Rose‘ mit den ‘Geschwistern Scholl‘ verbunden, deutlich mehr mit Sophie als mit Hans." Das zeige sich unter anderem daran, dass nur Sophie Scholl mit einer Büste im Lichthof der Münchner Universität dargestellt werde und auch nur sie in der Gedenkstätte bedeutender Deutscher geehrt werde. "Diese verklärende Bewunderung widerspricht den historischen Tatsachen. Die treibende Kraft, der kreative Kopf des Münchner studentischen Widerstands war eindeutig Hans Scholl", so Zoske. Er habe damals zum Beispiel schon Deutschlands Zukunft als die eines föderativen Staates in einem vereinten Europa gesehen. "Hans Scholl suchte keine Konfession, sondern das Wesen des Christentums. Sein Glaube ließ ihn mutig bekennen, treu beten, fröhlich glauben, brennend lieben und bewusst widerstehen", schreibt Zoske, in Anlehnung an die Stuttgarter Schulderklärung der EKD. "Hans Scholl hat als Christ im Nationalsozialismus nicht versagt, weil er Glauben und Handeln zusammengebracht hat. In seinem Mut, seinem Glauben, seiner Zielstrebigkeit, in seinem Freiheitsdrang und in seiner Sensibilität ist er eine Ausnahmeerscheinung. Und damit denke ich, kann er für viele ein Vorbild und eine Ermutigung sein", sagt Robert Zoske.