Kinderarzt: "Ein-Kind-Regel führt nicht zu Lebens-Traumata"

Kinderarzt: "Ein-Kind-Regel führt nicht zu Lebens-Traumata"
24.11.2020
epd
epd-Gespräch: Dirk Baas

Frankfurt a.M. (epd). Der Kinderarzt und Buchautor Herbert Renz-Polster sieht die "Ein-Kind-Regel", mit der die Regierungen die privaten Kontakte von Mädchen und Jungen beschränken wollen, für kleine Kinder kritisch. Doch befristete Einschränkungen führten nicht gleich zu "Lebens-Traumata", sagt er dem Evangelischen Pressedienst (epd). Kinder hätten weiterhin eine in anderen Teilen stabile Welt, "die bricht nicht gleich zusammen". Zwar seien viele Kinder traurig, "aber die allermeisten fangen sich wieder", so der Experte, der in der Nähe von Ravensburg lebt.

Ebenso wie der Verband der Kinder- und Jugendärzte hält Renz-Polster die Regelung für überflüssig. Jüngere Kinder lebten in engen, dafür aber immer gleichen, konstanten Kontaktnetzen: die Geschwister, die Eltern, die Erzieherinnen, die anderen Kinder. Sie organisierten keine Superspreader-Events. "Gerade diese Altersgruppe ist deshalb kein Treiber der Epidemie. Die Einschränkung ist schlichtweg ineffektiv." Gleichzeitig träfen die Einschränkungen die jüngeren Kinder am meisten, weil sie am wenigsten Ausweichmöglichkeiten haben. Das passe also einfach nicht zusammen.

Bei Jugendlichen bewertet der Experte die Lage anders. "Der sozial mobile, aktive und wenig risikoscheue Teil der jungen Bevölkerung nimmt an der Transmission munter teil, also sind Kontakteinschränkungen hier effektiv."

Zu der Frage, ob alle Eltern bei der Umsetzung der Regel mitziehen würden, sagte der Mediziner: "Ein Teil geht mit, ein anderer Teil nicht. Manche Kinder leiden mehr unter den Regeln, andere weniger." Manche Eltern hätten ein dickes Fell, andere ein dünnes. Manche lebten in einem sozialen Umfeld, das man einfach nicht entflochten kriege, andere könnten das steuern. "Entsprechend unterscheidet sich die Motivation zur Kooperation."

Über mögliche negative Folgen für die betroffenen Jungen und Mädchen äußerte sich Renz-Polster zurückhaltend. "Manche Kinder werden durch das Selektionsprinzip ausgeschlossen, manche nicht. Aber Kinder sind auch nicht gleich für ihr Leben geschädigt, wenn es eine Weile nicht gut läuft." Sie hätten weiterhin eine in anderen Teilen stabile Welt, "die bricht nicht gleich zusammen". Die allermeisten Kinder würden sich wieder fangen: "Vor allem wenn sie klar, gütig und liebevoll begleitet werden. Das sollte auch der Fokus der Eltern sein."

Es sei zudem richtig, dass die Politik versuche, Kitas und Schulen offenzuhalten. Ob die Kontaktbegrenzungen aber dazu einen wesentlichen Beitrag leisteten, das hänge von der Altersgruppe ab: "Die älteren Kinder, so etwa ab der Grundschule, können schon für Dampf in der Epidemie sorgen." Bremsungsmaßnahmen seien also gerechtfertigt - mit Maß und Blick auf die kindlichen Entwicklungsbedürfnisse.