Soziologe: Corona markiert globalen geschichtlichen Einschnitt

Soziologe: Corona markiert globalen geschichtlichen Einschnitt
20.11.2020
epd
epd-Gespräch: Martina Schwager

Hildesheim (epd). Die Corona-Krise ist aus Sicht des Hildesheimer Soziologen Michael Corsten in ihren gesellschaftlichen Auswirkungen vergleichbar mit der Weltwirtschaftskrise von 1929. Sie markiere einen globalen geschichtlichen Einschnitt, bei dem anders als in einem Krieg der Alltag zu einem großen Teil weiterlaufe, sagte Corsten dem Evangelischen Pressedienst (epd). Es gebe keine dramatischen Ereignisse. Gewohnheiten und Gewissheiten veränderten sich eher schleichend. "Wir haben Corona ständig im Kopf. Immer wieder halten wir inne und fragen uns, ob wir uns noch coronakonform verhalten."

Corona verändere das Zeitgefühl der Menschen, die es gewohnt seien, vorauszuschauen und zu planen, erläuterte Corsten. Das sei derzeit kaum möglich. Manch einer wisse nicht, ob er seinen Job behalte oder seine Wohnung. Es sei völlig ungewiss, wie sich die Tourismus-Branche entwickle oder das Reiseverhalten der Menschen. Auch auf Gastronomie, Event-Marketing und Kultur würden voraussichtlich große Veränderungen zukommen. Die Wissenschaftler seien skeptisch, ob ein Impfstoff in absehbarer Zeit die Probleme lösen könne. "Die langfristigen Folgen werden uns weiter beunruhigen. Das ist wie eine unterbrochene Brücke in die Zukunft."

Die Menschen seien dauerirritiert, weil sie ihre Informationen ständig nur aus zweiter oder dritter Hand bekämen, sagte Corsten. Das mache es auch Verschwörungstheoretikern leichter, eigene Erklärungsmuster zu streuen und Zulauf zu bekommen. Zudem gebe es zwar mehr gesicherte Erkenntnisse als zu Beginn der Pandemie. Aber immer noch sei auch den Experten vieles unklar, etwa ob und in welchem Ausmaß das Virus sich in Schulen oder öffentlichen Verkehrsmittel verbreite.

Die diffuse Gesamtlage führe zu Stimmungsschwankungen innerhalb der Gesellschaft und bei jedem Einzelnen. "Es ist aber gar nicht so unvernünftig, seine Einstellung je nach neuen Erkenntnissen anzupassen", sagte Corsten. Er halte deshalb auch die Gefahr einer Spaltung der Gesellschaft für nicht so groß. "Es ist nicht allein Schwarz und Weiß. Da ist auch viel Grau dazwischen."