Was die römischen Legionäre, die einen Kameraden beerdigen, mit dem Leben von Frederike Bader (Marie Leuenberger), Qualitätsprüferin in einer Paussauer Präzisionsschmiede, zu tun haben, offenbart der Film erst zum fesselnden Finale. Das Drehbuch von Michael Vershinin gibt seine Geschichte ohnehin nur nach und nach preis. Ein zweiter Prolog zeigt einen jungen Mann beim inbrünstigen Kirchengebet; später wird er tot aus dem Wasser gezogen.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Ungewöhnlich ist auch die Einführung der Heldin. Zunächst durchfährt sie ein heftiger Schreck, als in einer Gasse ein arabisch wirkender Mann auf sie zukommt, dann beobachtet sie beim Einkauf in einem Supermarkt, wie sich jemand die Taschen vollstopft. Eigentlich will sie nichts damit zu tun haben, aber dann greift sie doch ein, als ein anderer Kunde den Dieb zur Rede stellt und dieser ein Messer zückt. Sekunden später liegt der Typ als verschnürtes Paket am Boden. Der Kunde, dem Frederike womöglich das Leben gerettet hat, möchte sich bei ihr bedanken, doch da ist sie schon verschwunden. Aber Ferdinand Zankl (Michael Ostrowski) ist Privatdetektiv und findet er ihr Geheimnis raus: Seine Heldin war in ihrem früheren Leben unter anderem Namen Hauptkommissarin in Berlin. Ihre Tochter, die heute Mia heißt, hat sich mit den falschen Leuten eingelassen und ist verhaftet worden. Fortan hat der arabische Clan-Chef Bahdari (Raymond Tarabay) die Mutter erpresst: Er sorgt dafür, dass dem Mädchen im Knast nichts passiert; im Gegenzug bekommt er Informationen. Frederike hat mitgemacht, aber dann als Kronzeugin gegen den Gangster ausgesagt; anschließend ist sie mit Mia (Nadja Sabersky) nach Passau ins Zeugenschutzprogramm gekommen.
Geschickt verteilt Krimi-Routinier Vershinin, der die meisten seiner sicher weit über hundert Drehbücher unter dem Geburtsnamen Illner geschrieben hat, die Spannung auf mehrere Ebenen: Dass Frederike in ständiger Furcht vor der Rache des Clan-Chefs lebt, sorgt schon mal für eine gewisse Grunddramatik. Genauso wichtig sind die ständigen Auseinandersetzungen zwischen Mutter und Tochter. Die 21jährige Mia arbeitet als Azubi in einer Konditorei; sie vermisst Berlin und "Oma Gisela" (Eva Weißenborn), eine Nachbarin, die das Mädchen ins Herz geschlossen hat. Als die alte Frau Besuch von Bahdaris Neffe Ahmed (Timo Fakhravar) bekommt, fliegt die Tarnung der Baders auf, denn Mia hat Gisela eine Torte zum Geburtstag geschickt. Nun kommt wieder Zankl ins Spiel, der endlich die Gelegenheit hat, sich zu revanchieren, wobei ihm der seit 1.950 Jahren tote Legionär aus dem Prolog eine überraschende Hilfe ist. Und dann ist da noch die Sache mit dem Jurastudenten: Weil Frederike nicht aus ihrer Haut kann, sorgt sie nebenbei dafür, dass sein Tod nicht ungesühnt bleibt.
Schon die Geschichte ist klasse, aber Maurice Hübner hat sie durch seine Umsetzung veredelt. Seine erste größere Regiearbeit war die liebevoll gestaltete ZDF-Kurzserie "Familie Braun", die allerlei Scherze mit dem rechtsextremistischen Entsetzen getrieben hat. Anschließend folgte mit den ersten beiden "Ella Schön"-Sonntagsfilmen (2017) im "Zweiten" – Annette Frier spielt in der Reihe eine Juristin mit Asperger-Syndrom – ein abrupter Genrewechsel. Seine beiden Passau-Krimis (Teil zwei am 8. Oktober) bedienen erneut ein völlig anderes Filmfach. Wichtigster Mann neben dem Regisseur war Michael Schreitel, und das nicht nur wegen der wunderschönen Winterbilder; seine Bildgestaltung liegt deutlich über dem Niveau des durchschnittlichen TV-Krimis. Die elektronische Musik von Manu Kurz wiederum steht in reizvollem Kontrast zum altehrwürdigen Barockbild der niederbayerischen Dreiflüssestadt.
Endgültig sehenswert wird "Freund oder Feind" durch die Schauspieler. Marie Leuenberger durchlebt die Höhen und Tiefen ihrer Rolle mit großer Intensität. Die wildgelockte Nadja Sabersky ist schon als Titeldarstellerin der "Gipfelstürmer"-Episode "Flieg, Liv, flieg!" sehr positiv aufgefallen und bestätigt diesen ausgezeichneten Eindruck mit ihrem coolen Spiel in den beiden Passau-Krimis. Zwar keine Entdeckung, aber in deutschen Kino- und TV-Produktionen meist nur als Nebendarsteller besetzt ist der Österreicher Michael Ostrowski, der seine Rolle tendenziell komisch anlegt; bis es auch für Zankl um Leben und Tod geht.
"Freund oder Feind" endet mit einem klassischen Cliffhanger, den die zweite Folge ("Die Donau ist tief") zunächst jedoch gar nicht aufgreift. Der Film ist insgesamt ohnehin längst nicht mehr so fesselnd und wirkt auch dank der deutlich häufigeren heiteren Momente wie ein Familienkrimi, selbst wenn Zankl nun unter Mordverdacht steht: Er soll seine Freundin ermordet haben und zwingt Frederike mit seinem Wissen über ihre wahre Identität dazu, seine Unschuld zu beweisen. Spannend wird die Geschichte erst, als die frühere Polizistin tatsächlich auf den wahren Täter trifft; auch diesmal haben die römischen Legionäre wieder entscheidenden Anteil am Finale. Wenn die beiden Passau-Krimis beim Publikum gut ankommen, lässt der Bayerische Rundfunk im nächsten Jahr zwei weitere Episoden drehen. Potenzial gibt es genug, und das nicht nur wegen des Gangster-Clans; irgendwann wird Vershinin bestimmt auch die Frage beantworten, was aus Mias verschollenem Vater geworden ist.