Mediziner besorgt wegen zunehmender Gewalt in Familien

Mediziner besorgt wegen zunehmender Gewalt in Familien
Kinderschutzbund rechnet mit deutlich mehr Fällen nach dem Lockdown
Bislang gab es keine klaren Hinweise darauf, dass es zu mehr Gewalt gegen Kinder wegen der Corona-Kontaktsperren kommt. Doch Mediziner sind skeptisch. Auch wenn Meldungen ausblieben, komme es zu Misshandlungen. Dafür gibt es jetzt erste Hinweise.

Osnabrück, Berlin (epd). Bei der vom Bundesfamilienministerium initiierten Kinderschutzhotline nimmt die Zahl der Anrufe in der Corona-Krise stark zu. Allein in den ersten beiden Wochen im Mai habe medizinisches Personal in mehr als 50 Verdachtsfällen das Hilfsangebot genutzt und damit fast so häufig wie im gesamten April, sagte Teamleiter und Kinderarzt Oliver Berthold der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Freitag).

"Wir werden teilweise wegen Verletzungen kontaktiert, die sonst nur bei Zusammenstößen mit Autos auftreten. Da geht es um Knochenbrüche oder Schütteltraumata", sagte Berthold. Betroffen seien besonders Kleinstkinder, die noch nicht selbst laufen können. "Da liegt der Verdacht nahe, dass den Kindern massive Gewalt zugefügt wurde."

Berthold berät gemeinsam mit acht Mediziner-Kollegen Anrufer der Kinderschutzhotline. Das Angebot richtet sich speziell an Beschäftigte in medizinischen Berufen wie Ärzte oder Therapeuten. "Wir vermuten, dass im Zuge der ersten Corona-Lockerungen jetzt sichtbar wird, dass es in manchen Familien zu Gewaltausbrüchen in der Krise gekommen ist", sagte der Kinderarzt.

Dieser Ansicht ist man auch beim Deutschen Kinderschutzbund. "Wir haben immer befürchtet, dass der zwischenzeitliche Einbruch der Fremdmeldungen im März und im April vor allem auf die geschlossenen Kitas und Schulen und die weniger stattfindenden kinderärztlichen Kontrolluntersuchungen zurückzuführen ist", sagte Pressesprecherin Juliane Wlodarczak dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Die Kolleginnen und Kollegen in den Jugendämtern und Gliederungen des Kinderschutzbundes sorgten sich tatsächlich, dass der Tag kommen werde, an dem die Zahlen explodieren - wenn Schulen wieder öffnen und U-Untersuchungen bei Kinderärzten nachgeholt werden. "Erste Hinweise aus einzelnen Jugendämtern haben wir bereits. Dort steigen die Zahlen seit Anfang Mai wieder rasant", sagte Wlodarczak.

Noch lägen aber keine bundesweit belastbaren Daten vor. "Es wäre unserer Ansicht nach an der Zeit, dass das Bundesfamilienministerium per Schnellabfrage in den Ländern ein klares Lagebild erstellen würde."

epd lnb/db jup