Diakon Hans-Jürgen Krauß war früher Geschäftsführer der Nürnberger Gesamtkirchengemeinde. Der Ruheständler ist auch Ökopädagoge und will Natur- und Umweltverständnis vermitteln. Daher führt er regelmäßig Gruppen ein Stück weit durch den Sebalder Reichswald, in dem 1919 ehemalige Soldaten wegen der Wohnungsnot nach dem Ersten Weltkrieg zivilen Ungehorsam wagten.
Sie rodeten ein Stück Wald, bauten sich auf rund 2.000 Quadratmeter großen Grundstücken Häuser und verlosten diese untereinander. Mit der Gründung des "Siedlungswerks Nürnberg" wurde diese Aktion nachträglich legalisiert, sie bildet den Grundstein des Nürnberger Stadtteils Buchenbühl.
Ökologisch-kämpferisch geht es heute in dem an die Siedlung angrenzenden Waldstück zu: Weiße Kreuze kennzeichnen einige der rund 20.000 Bäume, die beim Bau einer Flughafen-Nordanbindung gefällt werden würden. Unter dem Namen "Nein zur Flughafen-Nordanbindung!" hatten sich vor über zehn Jahren eine Reihe von Organisationen zu einem Bündnis zusammengefunden, um auf die negativen Auswirkungen des Straßenbaus auf Reichswald, Klima, Naherholung oder Grundwasser hinzuweisen. Ein Banner zwischen zwei Bäumen markiert die dann wohl 1,3 Meter hohe Fahrbahn über dem Gelände hin, auf dem die Wanderer gerade stehen.
Das Aktionsbündnis und das NEFF starteten zudem das "Schöpfungsgebet", das seither alle zwei Monate am letzten Samstag an einer riesigen alten Eiche am Kothbrunngraben bei Buchenbühl stattfindet. Dort trifft sich Hans-Jürgen Krauß mit seinen Gruppen am "Predigtstein". Ein schaurig-schönes Holzkreuz mit einem hölzernen Jesus mitsamt Dornenkrone aus Draht und eine phantasievolle Schmetterlingsskulptur charakterisieren diesen urwüchsigen Platz im Bannwald.
Krauß teilt Gedichte von Joseph von Eichendorff oder Johann Wolfgang von Goethe aus, Texte von Theologen wie Jörg Zink und Paul Gerhardts Lied "Geh aus mein Herz". Auf dem Rundgang durch die engen, ursprünglichen Waldwege werden immer wieder Pausen eingelegt, die Worte vorgelesen und gesungen, inne gehalten.
"Wir machen das bei jedem Wetter. Der Wald hat bei Regen oder Schnee einen völlig anderen Charakter und bietet andere Geräusche oder Gerüche als im Sommer", erklärt Krauß. Einmal sei er mit einer interreligiös besetzten Gruppe unterwegs gewesen. "Da wurden andere Lieder aus anderen Kulturen vorgetragen. Und wir merkten, dass wir so nahe der Schöpfung keine kulturellen Unterschiede mehr haben und uns alle verstehen", erklärt er.
Hie und da zeigt der Diakon auf tiefe Furchen und Schneisen im Wald, die Zeugnisse der modernen Waldbewirtschaftung mit schwerem Gerät wie Harvestern. "Freilich soll Holz geschlagen und wieder aufgeforstet werden. Aber die Frage ist, zu welchem Preis. Wir unterschätzen gewaltig, was der Wald für uns bedeutet", meint Krauß.
Er bittet jeden der Teilnehmer, auf seinem Weg etwas aus dem Wald mitzunehmen, was ihm besonders auffällt. Wieder am Ort des Schöpfungsgebets angelangt, legt jeder sein Fundstück auf den Boden. Einer hat einen Grasstängel mit vielen Samen gefunden, die "in der Sonne wie Fäden glitzerten". Ein anderer hat eine Brennnessel gepflückt und fragt in die Runde, welchen Sinn diese Pflanze haben, "außer zu brennen". Die Antwort: sie dient auch als Heil- und Nutzpflanze. In einem mit Moos bewachsenen Stück Totholz können die Waldbesucher das Leben toben hören. Wer genau hinhört, lauscht dem Krabbeln der kleinen Insekten darin. "Im Wald ist nichts umsonst. Das sollten wir uns immer wieder bewusst machen", sagt Krauß.