Wie passt die Religion ins Digitale?
Joachim Happel: Ich glaube, dass Digitalität ohne Religiosität eigentlich gar nicht denkbar ist. Digitalität umfasst eigentlich alles, was wir als Leben oder Umwelt beschreiben. Und dazu gehört natürlich auch Religion. Man kann Digitalität nicht ohne Religion denken, weil uns Digitalität fast ubiquitär umgibt und zunehmend auch unser gesamtes Wissen und unsere gesamte Entwicklung mitbestimmt.
Wie passen der Religionsunterricht und die Religiosität in die digitale Welt?
Happel: Der Religionsunterricht muss auf jeden Fall mit dabei sein. Es gibt gar keine andere Möglichkeit, denn Wissen bildet sich ja längst nicht mehr nur in der Schule und auch Religion hat sich nie nur in der Schule gebildet. Junge Menschen entwickeln sich über die Konnektivität mit ihrer sozialen Herkunft, ihren sozialen und auch ihren digitalen Peergroups. Und Religiosität entwickelt sich ganz genauso. Es kann eigentlich gar nicht anders sein, als dass meine Religiosität mitgeprägt ist von dem, was im Netz ist. Das Gleiche gilt zum Beispiel auch für meinen Musikgeschmack, mein politisches Engagement und so weiter.
In der Digitalität komme ich nochmal mehr in Filterblasen rein als im analogen Leben, weil ich mich für bestimmte Themen interessiere. Und dort bekomme ich vielleicht auch nur aus bestimmten Bereichen Antworten. Deswegen ist der Religionsunterricht die Möglichkeit, das immer wieder auch aufzubrechen. Religionsunterricht könnte vor allem Orientierung bieten und zusätzliche Quellen verschaffen, über die ich meine religiöse Einstellung auch nochmal überprüfen und nach neuen Wegen suchen kann.
Wird sich Religiosität durch das Digitale verändern?
Happel: Ich glaube, dass es sich massiv verändert. Wenn ich jetzt auf meine eigene Jugend zurückkomme, da waren vielleicht der Jugendleiter oder der Pfarrer die Instanzen, wo man sich letztgültig nochmal informieren konnte, ob der eigene Glaube so richtig ist oder nicht. Heute würde man als Jugendlicher kaum noch etwas glauben, was irgendjemand anders sagt, ohne es zu überprüfen. Und durch das Netz habe ich eben die Möglichkeit, alles zu überprüfen – ob meine Quellen, die ich da aufsuche, immer zuverlässig sind, sei mal dahingestellt. Aber ich lasse mir heute eigentlich nicht mehr einfach etwas sagen. Und weil das so ist, glaube ich, dass sich Religiosität in der Digitalität anders entwickelt und dass diese Orte, wo man eine eindeutige Orientierung bekommt, so einfach gar nicht aufzusuchen sind - weder im Netz, noch im lokalen Bereich.
Glaube und Religion haben auch etwas mit Vertrauen zu tun. In Internet ist Vertrauen oft so eine Sache. Wie passt das zusammen?
Happel: Wir reden zum Beispiel in unserer religionspädagogischen Arbeit viel von vertrauenswürdigen Netzknoten: "An welchen Orten im Netz kann ich vertrauensvolle Informationen bekommen? Wo kann ich mich vertrauensvoll mit Menschen verknüpfen?" Und das alles ändert meine Haltung zur Religion. Ich bin nicht mehr nur auf eine Kirchengemeinde, eine Jugendgruppe oder ein anderes Angebot beschränkt, sondern mein Lebensraum wird quasi durch die Digitalität in Raum und Zeit entschränkt. Ich habe gleichzeitig zu meiner Kirchengemeinde, meinem Religionsunterricht, meinem persönlichen Freundeskreis immer noch andere Beziehungen – das sieht man daran, dass die Leute permanent sich in anderen Netzen über das Smartphone vernetzen. Ich habe andere Beziehungs- und Vertrauensnetze, in denen ich mich orientieren kann. Und deswegen glaube ich, dass Kirche sich digital völlig ändern muss: zu einem vertrauenswürdigen Ort im digitalen Netz, an dem ich Weggefährten und verlässliche Informationen finde.
Sie sprachen von einem Ort, wo man Informationen findet, denen man vertrauen kann. Wie passt das religionspädagogische Institut virtuell – kurz rpi-virtuell – da hinein?
Happel: Rpi-virtuell ist erstmal von seinem Ansatz her der Versuch, diese digitalen Räume für den Religionsunterricht zu erschließen. Wir erkunden viele neue Technologien und erschließen sie für Lehrerinnen und Lehrer. Soweit wir das können, stellen wir diese Dinge technisch zur Verfügung. Dazu gehören auch Unterrichtsszenarien, damit die Lehrerinnen und Lehrer ausprobieren können, wie sich eine Idee im Unterricht umsetzen lässt. Prinzipiell laden wir in einer Art "Werkstattsituation" ein, wo Unterrichtende Digitalität für sich erschließen und neue Technologien als eine Bereicherung zu dem erleben können, was man bisher im Religionsunterricht machen konnte.
Wie sieht das konkret aus?
Happel: Wir haben viele verschiedene Bereiche, an denen wir momentan arbeiten. Wir möchten zum Beispiel durch speziell geschützte Chaträume die Möglichkeit bieten, dass Leute über den Religionsunterricht hinaus miteinander kommunizieren können. Deswegen haben wir da ganz besondere Technologien ausgewählt, die eben die Nutzer nicht in dieses Datenschutzloch fallen lassen. Und das Besondere daran ist, dass wir über bestimmte Schnittstellen und Technologien in der Lage sind, Inhalte in diese Räume einzufügen. Beispielsweise kann ein Lehrer Inhalte aus seinem Webblog in so eine Kommunikation einspielen: interaktive Aufgaben oder was immer ihm gerade einfällt. So können Szenarien geschaffen werden, die nicht in den 45 Minuten Religionsunterricht stattfinden, sondern darüber hinausgehen. So kann die Welt des Schülers, in der er tatsächlich lebt, in den Religionsunterricht miteinbezogen werden.
Welche Tipps würden Sie Anfängern geben, die sich erst seit kurzem mit Digitalität und digitalen Unterricht auseinandersetzen?
Happel: Als erstes wurde ich meine eigene digitale Nutzung überprüfen, um zu gucken, was mir gut getan hat. Ich würde mich fragen: "Wo benutze ich eigentlich das Internet?" Benutze ich es, wenn ich zum Beispiel in der Stadt unterwegs bin und ein Gebäude sehe, das ich nicht kenne? Oder wenn ich irgendetwas finden will? Ich kann erstmal selbst überprüfen, wie ich da vorgehe. Und dann könnte ich überprüfen, wie ich meine Meinung bilde. Und wenn ich das alles habe, kann ich mit den Schülerinnen und Schülern zum Beispiel Techniken erarbeiten, wie sie ihre eigene Such- und Erkundungstechnik im Internet verbessern und überprüfbar machen können. Das wären so für mich die ersten Schritte. bevor ich überhaupt daran denke, dass man für den Religionsunterricht natürlich auch ganz einfach Medien produzieren kann. Bevor ich mich also durch die große Anzahl an interaktiven, digitalen Unterrichtsvorschlägen auf rpi-virtuell wühle, wäre der erste Weg tatsächlich, dass ich mein eigenes Verhalten kontrolliere: Was mache ich eigentlich, was ist hilfreich und wie kann ich das mit meinen Schülerinnen und Schülern gemeinsam reflektieren, damit sie mit mir zusammen einen Weg gehen können, Digitalität zu erleben, zu erkunden und zu reflektieren.