Was würden Sie Lehrerinnen und Lehrern empfehlen, die gerade erst anfangen, ihren Unterricht digitaler zu gestalten?
Friederike Wenisch: Einer Lehrkraft, die sich digital orientieren will, würde ich erstmal empfehlen, sich auf den entsprechenden Plattformen umzuschauen und sich Beispiele zu suchen, was man alles machen kann. Auf rpi-virtuell kann man zum Beispiel in dieser Situation hervorragend zurückgreifen und gucken, welches Material es dort mit digitalem Unterricht gibt. Außerdem kann man sich durch das Lesen der Blogs anderer Lehrkräfte Orientierung verschaffen. Ich führe selbst so einen Blog, mache ganz viel Unterrichtsplanung digital und zeige, wie man da was umsetzen kann. Und es gibt ja auch das Digital Learning Lab in Hamburg oder ähnliche Formate, wo man dann auch hervorragend nachgucken kann, wie so etwas aussehen und wie man Kompetenzen umsetzen kann. Man kann sich online einen großen Ideenpool erschließen.
Wie vernetze ich mich als Neuling am besten mit Menschen, die sich in der Materie schon etwas besser auskennen?
Wenisch: Die einfachste Art und Weise sich zu vernetzen ist tatsächlich über Twitter. Zurzeit ist da unter dem Hashtag Twitterlehrerzimmer und besonders unter dem Hashtag Relichat eine unglaublich rege Gruppe unterwegs, die sich toll austauscht, sich gegenseitig hilft und mit der man sehr gut zusammenarbeiten kann. Über Twitter kann man entweder mitlesen oder auch aktiv nachfragen à la "Wie kann ich das und das machen" und man bekommt eigentlich sofort Hilfe. Zusätzlich hat man beim #Relichat die Möglichkeit selbst aktiv zu werden, in dem man über das Thema abstimmt. Der #Relichat insgesamt ist ein ganz wunderbares Fortbildungsformat, das teilweise wöchentlich angeboten wird – immer mittwochabends auf Twitter – und wo man tolle Impulse für die eigene Praxis kriegt.
"Es ist eine Kompetenz, kluge Fragen zu stellen"
Muss man für die Teilnehme am #Relichat schon ein gewisses Kompetenzlevel erreicht haben oder dürfen da auch absolute Anfänger Fragen stellen?
Wenisch: Es ist ja eine Kompetenz, kluge Fragen zu stellen. Und die müssen noch nicht mal klug sein, denn jeder hat mal klein angefangen. Keine Frage ist wirklich dumm, denn selbst wenn man Fragen stellt, kriegt man ja auch Leute dazu, miteinander ins Gespräch zu kommen und die werden sich ja auch klarer darüber, was sie da eigentlich tun und wie sie es tun. Und es ist wirklich eine ganz tolle Gemeinschaft, die sich da unter den Theologen und Religionslehrern zusammengeschlossen hat. Sie ist wirklich sehr hilfsbereit und steht gern zur Verfügung, um Fragen zu beantworten.
Welche digitalen Projekte haben Sie bereits in Ihren Unterricht integrieren können?
Wenisch: Da gibt es zum Beispiel das Projekt "#LebendigeSteine", das ich zum Teil mit der Nordkirche zusammen auf die Beine gestellt habe. Da bin ich mit Religionsschülerinnen und -schülern aller konfessionellen Prägungen in die Kirchen, aber auch in die Synagoge, die Moschee, ins Cem-Haus und in den Sihk-Tempel gegangen. Und da haben wir VR-Welten aus diesen heiligen Häusern erstellt und sie ausgestattet, so dass sie quasi "für sich selbst" sprechen. Die Ergebnisse findet man im Digital Learning Lab und man beachte bitte, dass das die Schülerergebnisse sind, die da gepostet wurden. Und jetzt haben wir auch in Kooperation mit der St. Katharinenkirche in Hamburg einen Chatbot entwickelt, der Besucher durch die Kirche führt.
Wie viel Zeit muss man als Lehrkraft für digitalen Unterricht einplanen?
Wenisch: Das kommt auf die Selbstansprüche an: Man sollte aufhören, sich immer zu denken: "Das muss alles perfekt sein." Und dann ist es schon wesentlich entspannter. Man sollte hingegen immer überlegen: "Welche Kompetenzen möchte ich vermitteln?" Ich bin glücklich, dass wir uns von der Input-Orientierung weg und hin zur Output- und Kompetenzorientierung entwickelt haben. Wenn meine Schülerinnen und Schüler anfangen, mit Menschen in den Religionsgemeinschaften zu reden, dann machen sie das außerhalb der Unterrichtszeit und das machen sie auch in der Oberstufe wirklich schon sehr selbstständig. Das ist etwas, was mich keine Zeit kostet. Und deswegen sage ich immer: "Guckt, wie man das organisiert, und dann ist das gar nicht so zeitintensiv, wie es immer aussieht."
Aber ich gebe zu, am Anfang ist es zeitintensiv, weil man seinen eigenen Stil finden muss. Auch da kann ich immer nur sagen: "Nicht zu viel Zeit investieren." Guck lieber, wie du eine schöne Mischung aus digitalen und analogen Methoden hinbekommst, die zu dir selbst passt. Du musst nicht immer alles gleich digital machen, sondern tu das, wo du dich sicher fühlst. Fürs erste reichen auch kleine Einsprengsel von digitalem Unterricht, die dir das Leben ein bisschen vereinfachen. Und dann einfach Step-by-Step weitermachen.
"Ich gehe nach dem Primat des Inhalts"
Wie entscheidet man sich denn zwischen der Masse an Tools und Angeboten? Was hilft Ihnen bei der Entscheidung?
Wenisch: Es gibt tatsächlich eine riesige Bandbreite an Möglichkeiten. Aber um ehrlich zu sein: Ich bin in der Hinsicht sehr oldschool. Ich gehe nach dem Primat des Inhalts. Ich frage mich: Welche Möglichkeiten habe ich, um die vorgegebenen Inhalte ideal zu vermitteln? Und es ist ja das Schöne, dass man in der Ausgestaltung der Themen aus dem Lehrplan frei ist und dass man richtig coole Sachen ausprobieren kann.
Digitale Projekte und Unterrichtstools sind also für Sie kein Selbstzweck, sondern eher ein Mittel zum Zweck?
Wenisch: Ich sehe Digitalität tatsächlich eher als eine Methodik, die man nutzen kann, um Ziele effektiv und sinnvoll zu erreichen. Es mir auch darum, neue Wege zu entdecken oder vielleicht auch andere Kompetenzen oder andere Möglichkeiten von Präsentations- und Recherchetechniken zu entwickeln. Techniken, die einfach anders geartet sind und die sich nicht nur auf die Analogität beschränken, sondern die sich auch auf die Digitalität ausweiten lassen, so dass sie zukunftsträchtig sind.
Wenn sich nun Lehrkräfte von dem Angebot oder der Komplexität des digitalen Unterrichts erschlagen fühlen, wo sollten Sie dann anfangen?
Wenisch: Ich habe gute Erfahrungen damit gemacht, dass man Kleinigkeiten in den Unterricht einbaut. Zum Beispiel, dass man den Schülerinnen und Schülern sagt: "Nutzt jetzt mal bitte nicht die Google-Suche, sondern versucht mal DuckDuckGo und findet heraus, was unterschiedlich ist, wo Vorteile und wo Nachteile liegen." So lernen die Schülerinnen und Schüler etwas darüber, wie sie ihre Daten schützen und trotzdem sogar werbefrei zu guten Ergebnissen kommen können.
Oder man sagt: "Ok, ich habe im Unterricht keine Zeit, alle Präsentationen durchzugehen. Macht bitte eine PowerPoint-Präsentation oder eine Prezi und nutzt eine VoiceOver-PL, so dass ihr da mit einer App oder einem Mikrofon eure Präsentation einmal durchspielt, damit ihr auch seht, wie lange es dauert." Mit der Präsentation und dem VoiceOver hat man dann auch eine gute Bewertungsgrundlage. Außerdem sorgt es dafür, dass man nicht frustriert rausgeht, weil sich jemand zwei oder drei Doppelstunden geweigert hat, die Präsentation zu halten – entweder, weil er krank war oder andere Ausreden hatte. Man kann eine Deadline für alle Präsentationen setzen, die auch eine gewisse Objektivität darstellt. Und solche Kleinigkeiten kann man hervorragend nutzen, sie sind zeitersparend und schön bewertbar, weil man etwas in der Hand hat.
"Wir lernen nicht für die Schule, sondern fürs Leben", hieß es früher so schön. Wie spiegelt sich das in Ihrem digitalen Religionsunterricht wieder?
Wenisch: Wofür sollte der Religionsunterricht denn sonst da sein, wenn nicht für den Menschen? Wir sind ja immer mehr in der Situation, dass wir Inhalte im besten Fall sehr genau prüfen sollten. Und ich zeige meinen Schülerinnen und Schülern im Unterricht, welche Seiten vertrauenswürdig sind. Wenn ich zum Beispiel sage: "Schaut nach, was Trinität bedeutet." Dann möchte ich nicht, dass sie irgendwelchen Gemeinschaften glauben, die wilde Theorien und ihre eigene Ideologie ganz weit ab von der christlichen Lehre verbreiten. Wenn ich an amerikanische Mega-Churches denke, die behaupten: "Jesus was rich." Da denke mir: "Äh, nein!" Und dann möchte ich, dass die Schülerinnen und Schüler wissen, wo sie nachgucken müssen, um das als Fehler zu identifizieren. Und das kann ich mit ihnen üben und das ist doch eine super Kompetenz.