Das Grundgesetz wird in diesem Jahr 70 Jahre alt. Die darin enthaltenen Bestimmungen für Religionsgemeinschaften wurden aus der Weimarer Reichsverfassung von 1919 übernommen. Es gilt der Grundsatz, dass die Religionen ihre Angelegenheiten selbst regeln. Ist das noch zeitgemäß?
Konstantin von Notz: Ich glaube, dass sich das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften als verfassungsrechtlicher Status bewährt. Gerade dieses kooperative, nicht hart laizistische Verhältnis ist gut. Es lässt den Kirchen Freiraum, sie gleichzeitig aber auch nicht aus der Verantwortung. Wenn ich mich in der Welt umgucke, finde ich, wir fahren mit dem deutschen Staatskirchenrecht sehr gut.
Es gibt immer wieder Forderungen nach einer stärkeren Trennung von Staat und Kirche. Was ist der Nachteil von Laizismus?
Notz: Bei der strikten Trennung von Kirche und Staat werden beide Akteure aus der gegenseitigen Verantwortung entlassen. Jeder bespielt dann autark seine Bereiche und beansprucht den ganzen Menschen. Man kann in der Türkei sehr gut sehen, dass Laizität nicht dazu geführt hat, dass die Religion ohne Einfluss auf die Politik ist. Ich würde das sogar für Frankreich sagen: Die Art und Weise, wie erfolgreich bestimmte kirchliche Kreise dort beispielsweise gegen die Homoehe mobilisieren, hat etwas Irritierendes.
Die Regelungen in der Verfassung funktionieren bis heute im Wesentlichen für die Kirchen sehr gut, die muslimischen Gemeinschaften tun sich auf der organisatorischen Ebene schwer. Bevorzugt unser Grundgesetz das Christentum?
Notz: Vom Papier her muss das nicht so sein, in der Praxis gibt es aber unbestritten Probleme. In der Weimarer Reichsverfassung waren die beiden großen Kirchen gemeint. Trotzdem hat man für unsere religiös und säkular sehr viel pluralere Gesellschaft heute Wege gefunden für die jüdische Gemeinschaft und kleine, einzelne, auch muslimische Religionsgemeinschaften. Das muss auch für die muslimische Gemeinschaft insgesamt möglich sein. Wir führen ständig eine sehr abstrakte Diskussion über die Voraussetzungen für die Organisation in Form einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, während wir ganz praktische Umsetzungsfragen nicht beherzt angehen.
"Es ist wünschenswert, dass Religionslehrer und -gelehrte auch deutsch sprechen"
Was wünschen Sie sich in diesem Punkt von der Deutschen Islamkonferenz?
Notz: Ich wünsche mir, dass man weniger abstrakt darüber redet, was zu Deutschland gehört oder was nicht, sondern sich darum kümmert, was die Menschen in Deutschland praktisch berührt und was wir für ihre - auch religiöse - Integration tun können. Es gibt Bedarf nach Diskurs und neuen Wegen. Da würde ich mir wünschen, dass die Islamkonferenz diese beschreitet und der Staat nicht nur passiver Statist ist, sondern hier auch selbst Akzente setzt. Mit ein bisschen Gottvertrauen und Engagement sollten sich auf diesem Weg gute, praktikable und verfassungskonforme Lösungen finden lassen.
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat den Fokus auf die Gewinnung deutscher Imame gelegt, die deutsch sprechen und bestenfalls auch in Deutschland ausgebildet sind. Er plant sogar, deren Aufenthaltsrecht in Deutschland an Sprachkenntnisse zu knüpfen. Halten Sie das für richtig?
Notz: Das sind Lippenbekenntnisse, weil der Innenminister hier selbst nichts tut. Auch wir Grünen sind dafür, dass die Imam-Ausbildung in Deutschland gefördert wird und haben hierzu einen Antrag in den Bundestag eingebracht. Die Art, wie derzeit Imame auch mit politischen Motiven nach Deutschland geschickt werden, ist kein guter Status quo. Es ist wünschenswert, dass Religionslehrer und -gelehrte auch deutsch sprechen. Das ist aber ein Problem, dass es auch in der katholischen Kirche gibt, die Priester mit anderem kulturellen und sprachlichen Hintergrund nach Deutschland holt. Ich wäre deswegen dafür, weniger mit Verboten zu arbeiten als mit Möglichkeiten der Förderung und Unterstützung, etwa durch Ausbildungsprogramme für Imame und islamische Religionsbedienstete. Für viele muslimische Gemeinden ist es ein Problem, selbstständig einen Imam zu finanzieren. Dass diese Lücke von außen gefüllt wird, ist auch ein Versagen der Bundesregierung. Hier braucht es mehr Unterstützung.
Das bedeutet finanzielle Unterstützung?
Notz: Wenn man den politischen Einfluss aus Saudi-Arabien und der Türkei nicht haben will, muss man andere Finanzierungsmöglichkeiten schaffen. Das geht: Wir reden über die Moschee-Steuer, aber auch Stiftungsmodelle und anderes.
Muss der Staat auch selbst Geld in die Hand nehmen, um die Imam-Ausbildung zu gewährleisten?
Notz: Es ist nötig, hier zu unterstützen. Das heißt nicht, dass der Staat Tausende Gemeinden alimentieren soll. Denkbar wäre aber eine Anschubfinanzierung, damit etwas in Bewegung kommt und langfristige Finanzierungsmodelle der Ausbildungsprogramme für Imame und islamische Religionsbedienstete nach Vorbild der Pfarrer-, Priester- und Rabbinerseminare darstellbar werden.
Beim Auftrag, die Staatsleistungen an die Kirchen abzulösen, scheint Bewegung in die Diskussion zu kommen. Drei Oppositionsparteien - FDP, Linke und Grüne - wollen das nun konkret angehen. Warum?
Notz: Der Auftrag an den Bundesgesetzgeber, die Ablösung zu ermöglichen, steht seit 100 Jahren auf dem geduldigen Papier. Das Jubiläum ist ein guter Anlass, diesen Auftrag anzugehen. Man kann es aber weder den Kirchen noch den Ländern, die die Ablösezahlungen leisten müssen, einfach vor die Füße kippen. Wir wollen damit verantwortungsvoll umgehen und eine gute Lösung für alle Seiten finden. Wir führen jetzt Gespräche mit den Vertretern der Koalition und allen Beteiligten und suchen größtmöglichen Konsens und einen guten Weg.
Sehen sie auch Änderungsbedarf in anderen Punkten, etwa der Kirchensteuer?
Notz: Die Kirchensteuer ist ein gutes Modell, Religionsgemeinschaften auf vernünftige finanzielle Füße zu stellen und vor politischen Einflussnahmen zu feien. Der Staat lässt es sich außerdem gut bezahlen, dass er dieses Geld einsammelt. Ich sehe da keinen Änderungsbedarf.
Am stärksten erschüttert hat die Glaubwürdigkeit der Kirche in den vergangenen Jahren der Missbrauchsskandal vor allem in der katholischen Kirche. Inwieweit wird dieses Thema zur Bewährungsprobe, ob und wie gut die Kirchen im Sinne des Grundgesetzes ihre Angelegenheiten selbst regeln?
Notz: In der Tat musste in der Vergangenheit teilweise sehr hart erstritten werden, dass Fakten in die Öffentlichkeit kommen, die lange im Verborgenen lagen. Ich kann die Kirchen nur darin bestärken, mit dem Thema zügig, entschlossen und transparent umzugehen. Man kann auch Glaubwürdigkeit zurückgewinnen, wenn man Probleme offen anspricht und unter größtmöglicher Einbeziehung der Opfer angeht. Das wünsche ich den Kirchen.
Wir halten Sie es eigentlich selbst mit der Religion?
Notz: Ich komme aus einer nicht sehr religiös geprägten Familie. Meine Eltern waren ultimativ liberale Geister, die uns nicht getauft haben. Als ich 13 Jahre alt war, sagte mir meine Mutter, dass sich viele jetzt konfirmieren ließen und ich für mich herausfinden solle, ob das für mich eine Option sei. Tatsächlich bin ich dann über die evangelische Jugendarbeit zum frommen Protestanten geworden. Ich habe zwölf Jahre lang Konfirmandenarbeit gemacht, war später im Kirchenvorstand und selbst im säkularen Berlin hat meine Familie eine Anbindung an eine kleine Gemeinde. Eben weil ich aber aus einer Familie komme, die nicht so religiös geprägt ist, habe ich großes Verständnis für säkular bewegte Menschen. In meinem persönlichen Umfeld bildet sich die Pluralität unseres Landes gut ab und das finde ich schön so.