Kirchenrecht: "Deutsches Erfolgsmodell"

Oberkirchenrat André Demut
Victoria Kühne
Oberkirchenrat André Demut ist Beauftragter der Evangelischen Kirchen im Freistaat Thüringen und berichtet unter anderem, warum die Bestattung von konfessionell nicht gebundenen Menschen auf evangelischen Friedhöfen gestattet ist.
30 Jahre Staatskirchenvertrag
Kirchenrecht: "Deutsches Erfolgsmodell"
Am heutigen Freitag (15. März) jährt sich zum 30. Mal die Unterzeichnung des Vertrags zwischen den Evangelischen Kirchen im Freistaat und dem Land Thüringen. Seit dem 15. März 1994 regelt dieses Dokument die Art und Weise des Zusammenwirkens von Staat und evangelischen Landeskirchen in Thüringen. Gerade in Zeiten, in denen Kirchen Mitglieder verlieren, zeige sich die Wichtigkeit des Vertrages besonders deutlich, sagt der Beauftragte der Evangelischen Kirchen im Freistaat Thüringen, Oberkirchenrat André Demut, im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).

epd: 30 Jahre Staatskirchenvertrag: Das klingt bedeutend. Aber was regelt dieser Vertrag genau?

André Demut: Der Vertrag klingt nicht nur bedeutend, er ist es auch. Denn er regelt das grundlegende Verhältnis in den Beziehungen zwischen den Evangelischen Kirchen in Thüringen und dem Freistaat. Das reicht beispielsweise von der universitären Theologenausbildung und der Organisation der Anstaltsseelsorge über Fragen zu Kirchengebäuden und Denkmalpflege bis hin zu Zahlungen von Staatsleistungen oder Bestimmungen zu Feiertagsschutz und Seelsorge-Geheimnis. Hierfür gibt es jetzt seit 30 Jahren einen Rechtsrahmen. Und wir als Kirchen sind dankbar und froh, dass wir ihn haben.

Wenn Sie es so betonen: Das war nicht immer so?

Demut: Ein solcher Vertrag Anfang der 1990er Jahre in den neuen Ländern war neu. Zu DDR-Zeiten gab es ihn nicht. Es gab die Verfassung der DDR. Darin war die Glaubensfreiheit durchaus markiert. Das war alles. Nach 1990 bestand auf beiden Seiten das große Bedürfnis, innerhalb eines Rechtsstaats Rechte, Pflichten und Aufgaben im Verhältnis von Staat und Kirche vertraglich verbindlich zu verabreden.

Das heißt, es gab die Glaubensfreiheit in der DDR-Verfassung, aber man sah sich im Einzelfall einem gewissen Interpretationsspielraum seitens des Staates konfrontiert?

Demut: Die Glaubensfreiheit bestand zunächst einmal nur auf dem Papier. Aber das war eben kein verbrieftes, einklagbares Recht. Und religiöses Leben im öffentlichen Raum war tabu. Im Zweifelsfall war man der staatlichen Willkür ausgeliefert. Ich selbst bin 1965 in der DDR geboren, habe als Jugendlicher zum Glauben gefunden und unser Pfarrer hat uns immer wieder gebrieft, wie wir uns bei Konfliktgesprächen etwa in der Schule auf diesen Passus der Verfassung berufen sollen.

War der Abschluss des Kirchenstaatsvertrags eine Reaktion auf diese Unsicherheiten?

Demut: Es war sicherlich ein Impuls der politischen Wende. Aber das war nicht der alleinige Grund. Wir dürfen nicht vergessen, diese Verträge haben in Deutschland eine Verfassungstradition seit 1919. Auch nach 1949 wurden in allen Bundesländern der damaligen Bundesrepublik diese Verträge geschlossen.

Nun verlieren die Evangelischen Kirchen auch in Thüringen Mitglieder. Berührt das die Inhalte des Vertrags?

Demut: Nein. Die Anzahl der Mitglieder ändert nichts an der Gültigkeit von Staatskirchenverträgen. Er sattelt dabei auf das Grundgesetz und die Thüringer Landesverfassung auf und macht, weil er Grundlegendes regelt, für uns viele Dinge einfacher.

Zum Beispiel?

Demut: Nehmen wir die Regelungen zur Bestattung von konfessionell nicht gebundenen Menschen auf evangelischen Friedhöfen. Das wurde und wird ja nicht infrage gestellt. Aber würde es diesen Staatsvertrag nicht geben, müssten wir das für jeden Friedhof einzeln festschreiben. Auch die Frage der Ausbildung von Lehrern und Organisation des Religionsunterrichts ist einheitlich und grundlegend geregelt. So etwas schafft Sicherheit und Entlastungen.

"Das ist meiner Meinung nach ein Erfolgsmodell mit hohem Zukunftspotenzial."

Auch immer weniger Landtagsabgeordnete sind kirchlich gebunden. Manche Parteien oder auch Parlamentarier treten offen kirchenfeindlich auf. Hat das die Arbeit des Beauftragten der Evangelischen Kirchen verändert?

Demut: Die gesellschaftlichen Herausforderungen haben sich verändert. Das im Prinzip seit der Weimarer Reichsverfassung von 1919 festgeschriebene Verhältnis von Staat und Kirche besteht ja unverändert fort. Weder haben wir eine Verschmelzung von Staat und Religionsgemeinschaften, wie etwa in vielen arabischen Ländern, noch haben wir ein laizistisches Gesellschaftsmodell, das Religion ausschließlich als Privatangelegenheit definiert und Religion keine öffentliche Funktion zubilligt. Das ist meiner Meinung nach ein Erfolgsmodell mit hohem Zukunftspotenzial.

Inwiefern?

Demut: Ich nehme wahr, dass dieses deutsche Modell Beachtung findet. Beispielsweise im strikt laizistischen Frankreich. Vergangenes Jahr waren Schulleiter aus der thüringischen Partnerregion Frankreichs im Thüringer Kultusministerium zu Gast. Die hatten sich ausdrücklich ein Gespräch über das Verhältnis von Staat und Kirchen in Deutschland gewünscht. Denn auch im strikt laizistischen Frankreich scheint die Nachdenklichkeit vor dem Hintergrund der muslimischen Zuwanderung zu steigen, was solche Formate bringen, wo beispielsweise nach wissenschaftlichen Kriterien ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer einen Religionsunterricht gestalten, der transparent und kritisierbar bleibt.

Was sind die Herausforderungen für die kommenden Jahre?

Demut: Innerkirchlich dürfen wir uns nicht kleiner machen, als wir es sind. Wir müssen unsere Themen und Inhalte fröhlich nach vorn stellen. Ob wir gehört werden, hängt nicht an der Quantität der Mitglieder. Ich stelle vielfach, auch im Gespräch mit nicht konfessionell gebundenen Landtagsabgeordneten fest, dass unsere Arbeit gerade im karitativen, seelsorgerischen oder sozialen Bereich als wichtig angesehen wird. Und daher plädiere ich im Umgang mit dem Freistaat für mehr Selbstbewusstsein. Das ist auch im Interesse des Staates. Denn eine Partnerschaft auf Augenhöhe funktioniert besser, als wenn sich ein Partner aus Selbstzweifeln wegen sinkender Mitgliederzahlen heraus kleiner macht als er eigentlich ist.