Sie sind heute Pfarrer in einer lutherischen Gemeinde in Durban. Wie sind Sie dort hingekommen?
Joe Lüdemann: Ich bin entsandter ökumenischer Mitarbeiter des Evangelischen Lutherischen Missionswerks in Niedersachsen (ELM), das Partnerschaftsverträge mit diversen Partnerkirchen weltweit geschlossen hat und auf unterschiedlichsten Ebenen Beziehungen zu diesen führt - von Freiwilligen-Diensten für Jugendliche und junge Erwachsene über Projektfinanzierung bis hin zu Personalaustausch - teils auch langfristig. Aufgrund eines sogenannten "Calls" - einer Bedarfsanzeige - der Evangelical Lutheran Church in Southern Africa (ELCSA) 2001 nach Südafrika gereist. Es folgte ein intensiver einjähriger Sprachkurs in isiZulu und danach der Dienstbeginn in einem weit verzweigten ländlichen Kirchspiel (genannt "Parish") im äussersten Osten der Provinz KwaZulu/Natal mit Gemeinden in Grenzorten zu den Nachbarländern Mosambik und eSwatini, das frühere Swasiland.
Wie sah Ihr Alltag dort aus?
Lüdemann: Auf Wunsch der ELCSA galt es zunächst beim Aufbau der Gemeinden in einem strukturschwachen und von hoher Arbeitslosigkeit und großer Armut sowie sehr hoher HIV-Infektionsraten geprägten Landstrich, vor allem kirchliche Präsenz zu stärken, das heißt. wieder verlässlich Gottesdienste zu feiern, Haus- und Krankenbesuche abzustatten, Jugendarbeit zu betreiben und die Gebäudeinfrastruktur zu stärken. In den fünf Jahren meiner Mitarbeit als Parish Pastor gelang uns als Team Kirche in der Region wieder als erkennbare Größe zu leben. 2008 wurde ich auf Bitte der ELCSA von der "Peripherie" ins Durban Central Parish versetzt - ein Kirchspiel in der Innenstadt der 3-Millionen-Einwohner Großstadt eThekwini (Anm. der Redaktion: früher Durban). Gemeinsam mit Kollegen betreuten wir dort insgesamt sieben Gemeinden. Zudem sollte ich auch eine Studierendenarbeit der Kirche an einigen Hochschulen in der Großstadt anschieben.
Was ist das Besondere für Sie an Ihrer Arbeit?
Lüdemann: Für mich war es gleichzeitig eine Zeit des fortwährenden Lernens: ständiges Weiterlernen der Sprache, ein immer tieferes "Eintauchen" in die Kultur der Zulu-Bevölkerung, stetiges vertrauterwerden mit der konkreten südafrikanischen und Zulu-Ausprägung der evangelisch-lutherischen Kirche und Spiritualiät. Diese ersten intensiven Lern- und Arbeitsjahre halfen mir, ein breites Fundament von vertrauensvollen Beziehungen zu verschiedensten Mitgliedern der Kirche - von lokalen Gemeindegliedern bis hin zum "Presiding Bishop" zu gestalten, das mich gut vorbereitete auf meine jetzigen Aufgaben.
Wo arbeiten Sie heute?
Lüdemann: 2015 wurde ich dann von vom ELM, gebeten, das Amt des Regionalrepräsentanten für das Südliche Afrika zu übernehmen. Dabei ging es um die aktive Pflege der Beziehungen des ELM zu den Partnerkirchen in der Region - von Malawi über Botswana nach Südafrika, Lesotho und eSwatini (Swasiland). Es geht darum, als verschiedene Glieder der weltweiten Kirche Jesu Christi auch in Zeiten kleiner werdender finanzieller Ressourcen innovative Kommunikationskanäle und Beziehungsebenen zu suchen und gemeinsam auszuloten und zu pflegen. So bin ich nur noch mit 25% meiner Arbeitskraft als Pastor in der Durban Central Parish und bin mit 75% auf regionaler Ebene (südliches Afrika) tätig.
Wie unterscheidet sich die Gemeinde in Durban von anderen Gemeinden?
Lüdemann: Die Durban Central Parish besteht aus sieben recht unterschiedlichen Gemeinden. Der frühere Werbespruch der südafrikanischen Tourismusbehörde "SA - the world in one country" beschreibt gut die kulturelle Vielfalt dieses Landes, die auch in der Durban Central Parish vorhanden ist. In fünf der sieben Gemeinden werden die Gottesdienste auf isiZulu gefeiert, in einer Gemeinde auf Englisch und die Hauptgemeinde - St. Michael’s - hat jeden Sonntag einen englischen und einen isiZulu-Gottesdienst. Insbesondere die St. Michael’s Gemeinde ist als Innenstadtgemeinde besonders aufgestellt. Am Hauptgottesdienst, der in isiZulu gehalten wird, sind von den durchschnittlich 350 Gottesdienstteilnehmenden 50 Prozent Studierende. Das gibt der Gemeinde ein recht junges Durchschnittsalter und andererseits eine hohe Mitgliederfluktuation durch Abgänge (Studienabschluss) oder Zugänge (Studienbeginn). Die Gemeinde versucht einmal im Monat ein Essen für und mit den Studierenden vorzubereiten, so dass es nach dem Gottesdienst und der "geistlichen Nahrung" auch ein leckeres Essen gibt. Viele der Studierenden können nur studieren, da die Großfamilie für die Studiengebühren Geld zusammengelegt hat. Für Unterkunft und Verpflegung ist da kaum noch etwas über. Aber auch die ökumenische Zusammenarbeit im Bereich sozialer Nöte ist ein besonderes Merkmal der St. Michael’s Gemeinde. Der diakonische Dienst der Gemeinde unterstützt NGO’s anderer Kirchen oder auch sonstiger sozialer Bewegungen. Aids und Armut sind wichtige Themen hier.
Der Erzbischof von Kapstadt Stephen Brislin hat in einem Interview gesagt: "Einige unserer Pfarreien haben traditionell drei Kirchen, eine für jede Hautfarbe". Gibt es also weiterhin eine Art inoffizielle Trennung der Menschen innerhalb der Kirche?
Lüdemann: Eine der vielen menschenverachtenden Maßnahmen, die die Regierung zu Apartheidszeiten in Südafrika traf, war das Konzept von "social engineering" in der Raum- und Städteplanung. Ausserhalb der damals noch relativ kleinen Städte Südafrikas wurden die sogenannten "Townships" geplant - weit weg von den Wohngebieten, die gesetzlich der weißen Bevölkerung vorbehalten waren, und nahe an den Industriegebieten oder Minen, die von einem stetigen Fluß billiger Arbeitskräfte abhängig waren und teils nur durch diese international wettbewerbsfähig waren. Nach Ende der Apartheid wurde der "Group Areas Act" abgeschafft, und so kann jeder wohnen, wo er oder sie will. Nun bestimmt allerding das Einkommen die Wohngegend und in Südafrika zeigt sich, dass die Bewegung von "Schwarzen" Menschen in ehemalige Wohnorte der "Weißen" durch eine wachsende "schwarze Mittel- und Oberschicht" viel eher anzutreffen ist, als eine Bewegung einkommensschwacher "Weißer" in Townships, bzw. Wohngebiete der Mehrheit der "schwarzen" Bevölkerung. Das hat zur Folge, dass es in vielen Kirchen in der Mehrheit der homogenen "schwarzen" Wohnorte fast ausschließlich Gemeinden mit "schwarzen" Gemeindegliedern gibt, bei denen der Gottesdienst dann auch in deren Muttersprache gefeiert wird.
"Gerade im persönlichen und Glaubensbereich werden Menschen am liebsten in ihrer Muttersprache angesprochen"
Also ist neben der historischen Apartheid-Raumplanung auch die Muttersprache ein weiterer Grund, dass in Kirchen die Trennung nach Hautfarben sichtbar ist?
Lüdemann: Gerade im persönlichen und Glaubensbereich werden Menschen am liebsten in ihrer Muttersprache angesprochen. Was in Deutschland eine Selbstverständlichkeit ist, ist in Südafrika, mit elf offiziellen Sprachen, bei Leibe nicht der Fall. Schon der Schüleraufstand von 1976 in Soweto - wo gegen die Sprache Afrikaans als Unterrichtssprache protestiert wurde - deutet die zentrale Rolle von Sprache an. Auch dies ist ein Grund, warum das ELM sehr viel in die Sprachausbildung seiner Mitarbeitenden investiert, damit mit Menschen in ihrer Muttersprache ins Gespräch gekommen werden kann. Es hat mir einen völlig neuen Zugang zu meinen Gemeindegliedern und Kollegen und der ELCSA überhaupt, sowie der Südafrikanischen Gesellschaft insgesamt verschafft, dass ich eine der indigenen afrikanischen Sprachen Südafrika’s intensiv gelernt habe - in meinem Fall: isiZulu.
Gibt es auch heterogene Gemeinden in Südafrika?
Lüdemann: In den - was die kulturelle unterschiedliche Herkunft der Menschen angeht - viel "gemischteren" Wohngebieten der Mittel- und Oberschicht, gibt es auch kulturell bunt gemischte Gemeinden. Dies ist besonders bei der Schwesterkirche der ELCSA, nämlich der ELCSA-NT zu beobachten. Diese Kirche war ursprünglich eine rein deutschsprachige Kirche für deutsche Einwanderer, die Nachfahren von deutschen Missionaren, usw. Somit war sie - und dies geht auf die Zeit vor der offiziellen Apartheidspolitik zurück hin in die Kolonialgeschichte Südafrikas - vorerst eine rein weiße Kirche. Es ist ein trauriger Fakt, dass damals die Verantwortlichen nicht eine Kirche mit unterschiedlichen Gemeinden und unterschiedlichen Gottesdienstsprachen geschaffen haben, sondern dass zwei selbständige Kirchen entstanden sind. Die getrennten lutherischen Kirche waren so auch in der Apartheidszeit in ihrer äußeren Erscheinung eher ein Spiegel der getrennten Gesellschaft denn ein mutiges Zeugnis für Jesu Zuruf "…dass sie alle eins sein mögen!" (Johannes 17:21). Über die vergangenen drei Jahrzehnte änderte sich die Gottesdienstsprache dieser Kirche von fast ausschließlich Deutsch bis heute zu ungefähr 90 Prozent aller Gottesdienste in Englisch. Das hing anfangs damit zusammen, dass Deutsche oder Deutschstämmige englische Ehepartner heirateten und/oder die Kinder nicht mehr Deutsch sprachen. Durch die Änderung der Gottesdienstsprache hin zu Englisch war aber dann auch der Zugang für Gottesdienstteilnehmende anderer Kulturen erleichtert, so dass heutzutage die Mehrheit der Gemeinden dieser lutherischen Kirche eine weite Bandbreite verschiedener Kulturen in ihren Mitgliedern vorweisen können.
"So schmerzt doch, dass das "Neue Südafrika" diese Ungleichheit nicht erfolgreich bekämpft hat"
Nun wurde in den vergangenen Tagen 25 Jahre Ende der Apartheid und 25 Jahre Demokratie gefeiert. Was sind die drängendsten Probleme in Südafrika heute?
Lüdemann: Der 27. April ist Südafrikas Nationalfeiertag, der Freedom Day. Es wird die politische Freiheit gefeiert und an die ersten demokratischen Wahlen in Südafrika am 27. April1994 erinnert. Es ist bereits vieles erreicht im sog. "Neuen Südafrika", aber die Probleme auf verschiedenen Ebenen häufen sich. Am bedrohlichsten für die Demokratie und die Zukunft des Landes ist meines Erachtens die hohe Arbeitslosigkeit - derzeit liegt sie bei 27 Prozent; für die Altersgruppe 15-34 Jahre sogar 38 Prozent. Bei einer stagnierenden Wirtschaft droht der Anschluss bei der weltweit angekündigten und bereits angebrochenen "4. Industriellen Revolution" ganz verpasst zu werden. Damit hängt auch das schlechte Bildungssystem Südafrikas zusammen, das, trotz nicht unerheblicher Ressourcen, teils sogar hinter denen der viel ärmeren Nachbarländern hinterherhinkt. Weiterhin beschäftigt viele Südafrikaner, dass sie auch 25 Jahre nach Beendigung der Apartheidspolitik eine noch wachsende Kluft zwischen Arm und Reich erleben. Auch wenn "die Reichen" nun eine Gruppe von Menschen verschiedener Kulturen ist ("schwarz" und "weiss"), so schmerzt doch, dass das "Neue Südafrika" diese Ungleichheit nicht erfolgreich bekämpft hat.
Wo zeigen sich die Verteilungskämpfe besonders?
Lüdemann: Derzeit wird - auch im Hinblick auf die Zwangsumsiedlungen zu Kolonial- und Apartheidszeiten - die Frage des Landbesitzes wieder diskutiert und eine Gesetzgebung zur Ermöglichung der Zwangsenteignung von Land zur gerechteren Verteilung wird im Parlament erörtert. Bei Diskussionen zu dieser Frage treten auch die bleibenden Spannungen zwischen Menschen verschiedener Hautfarbe in Südafrika immer mal wieder zu Tage. "Keine Versöhnung ohne Gerechtigkeit! Wie kann es sein, dass weiterhin Großteil der schwarzen Bevölkerung in Armut lebt und Großteil der weissen Bevölkerung von Armut nichts weiss?" fragen die einen, "Wir zahlen schon Steuern und müssen trotzdem alle Leistungen, die eigentlich eine Regierung der Bevölkerung bieten sollte, privat bezahlen: Sicherheit, Bildung, Gesundheit…", meinen die anderen und deuten auf die weiterhin steten Auswanderungswellen nach Großbritannien, Australien, USA, Neuseeland und Kanada.
Wie positioniert sich die Kirche bei der Bewältigung von sozialer Ungerechtigkeit und was kann und sollte sie tun?
Lüdemann: Bei Kirchen, die in Südafrika völlig anders aufgestellt sind als in Deutschland, aufgrund des einmaligen Staat-Kirchen-Vetrags in Deutschland mit der Einkunft durch die Kirchensteuer, gibt es längst nicht die finanziellen Spielräume, die Kirchen gerade in den vergangenen Jahren des Wirtschaftswachstums in Deutschland haben. Auch kann man sagen, dass z.B. die ELCSA nicht hauptsächlich aus Mitgliedern aus dem Bildungsbürgertum besteht, wie das teils in Deutschland der Fall ist, sondern gleichermaßen aus Arbeitslosen, Mitgliedern der "Arbeiterklasse", usw. Wenn dann das Gehalt der Pastorin und die Instandhaltung des Kirchgebäudes allein durch freiwillige Mitgliedsbeiträge, bzw. Kollekteneinnahmen am Sonntag finanziert werden müssen, dann kann man sich vorstellen, dass für große Sozialprojekte nicht viele Mittel übrig sind. Das heisst aber nicht, dass nicht viel passiert. In den sogenannten "Leagues" gruppieren sich Gemeindeglieder und setzen sich füreinander und für Notleidende ein. Die "Prayer Women’s League (PWL)" - die kirchliche Frauenarbeit - ist die finanzstärkste Gruppierung in der Kirche, die auch informell erstaunliche Sozialarbeit leistet - immer eng verbunden mit einem geistlichen Anspruch. Nach den schlimmen Überschwemmungen in der Region EThekwini/ Durban am vergangenen Wochenende machten sich PWL-Gruppen auf den Weg, besuchten die, deren Hab und Gut weggeschwemmt wurde, und leisteten seelsorgerische sowie praktische Hilfe vor Ort. In ihren jährlichen großen Konferenzen laden sie Fachleute z.B. zur persönlichen Finanzplanung oder zur Gesundheitsvorsorge ein und stellen so eine wichtige Plattform der Erwachsenenbildung dar.
Und in Bezug auf die Spannungen zwischen Menschen verschiedener Kulturen und Hautfarben?
Lüdemann: Hier hat die Kirche eine besondere Möglichkeit und daher auch Verantwortung. Durch die Gotteskindschaft, in der es "weder Jude noch Grieche…(Kolosser 3:11)" gibt, ist im gemeinsamen Glauben eine Basis geschaffen, von der aus der gemeinsame Einsatz für mehr Gerechtigkeit geschehen kann. Diese verbindende Gotteskindschaft muss aber praktisch erlebbar sein - durch Begegnungen und Austausch miteinander, durch Abbau von Vorurteilen sowie das Kennenlernen von Gemeinsamkeiten und Respektieren von Unterschieden. Dies geschieht an vielen Orten auf Gemeindeebene, manchmal besonders koordiniert, manchmal "einfach nebenher". Das könnte jedoch noch viel weiter ausgebaut werden.
Haben Sie das Gefühl, dass sich die Menschen mit ihren Sorgen an die Kirche wenden?
Lüdemann: Ich habe das Gefühl, dass ein Großteil der Kirchenglieder in Südafrika ein anderes Bild von Kirche haben als das im Hinblick auf den durchschnittlichen deutschen Kirchensteuerzahler der Fall sein mag. Kirche ist für sie weniger eine Institution, bzw. ein Gegenüber, an das sie sich wenden, oder von der sie bestimmte Leistungen erwarten, sondern Kirche ist eine Gemeinschaft, der sie beitreten und die sie mitgestalten. Da sie als Gruppe (z.B. PWL) die Trauernden besuchen, ihnen mit Gesang, Gebet, Bibelauslegung und Sachgeschenken in dunklen Trauertagen beistehen, so erleben sie diesen Beistand auch, wenn sie selber schwere Zeiten durchmachen. Die Kirchen sind hier sehr oft wirklich geistliche Heimat und Gemeinschaft, in der Freude und Leid in Gottes Gegenwart geteilt wird - ganz praktisch in unterschiedlichsten Lebenslagen. Da wird das abgeschlossene Studium eines Kindes genauso ausgiebig im Kreise der Gemeinde gefeiert wie auch diejenigen, bei denen eingebrochen wurde, besucht und getröstet werden, und kleine Geldgeschenke als praktischer Trost gespendet werden.
"Gegenseitiger Respekt und große Bereitschaft miteinander zu feiern"
Wie ist der Umgang der unterschiedlichen protestantischen Kongregationen miteinander?
Lüdemann: Durch die sehr viel größere Bandbreite an christlichen Kirchen in Südafrika, ist die Konfessionsökumene für jede Gemeinde im praktischen Vollzug der Gemeindearbeit ein Muß - nicht nur zwischen protestantischen, sondern zwischen allen Kirchen. Schon bei jeder Beerdigung (die meistens von 80 bis 200 Leuten oder mehr besucht werden) treffen Menschen unterschiedlichster Konfessionen aufeinander. Das gemeinsame Gottesdienstfeiern wird durch die sog. "Chorusse" erleichtert, Lieder mit kurzen Texten (häufig mit biblischem Bezug) und rythmischen Melodien, die konfessionsübergreifend bekannt sind. Ich erlebe wenig Berührungsängste von Gemeindegliedern im Hinblick auf Mitglieder anderer Kirchen, sondern vielmehr gegenseitigen Respekt und große Bereitschaft, miteinander zu feiern.
Und wie ist das Verhältnis zur Niederländisch Reformierten Kirche, die das Apartheidsregime unterstützt hat?
Lüdemann: Im Hinblick auf die Nederduits Gereformeerde (NG) Kerk, von der führende Theologen zur Apartheidszeit eine biblische und theologische Begründung derselben vorlegten, kann man dieselbe Geschichte feststellen von parallel zueinander aufgebauten und bestehenden Kirchen, vormals ausschließlich auf Grund von Hautfarbe getrennt. So gibt es derzeit vier verschiedene miteinander in Kontakt stehende Reformierte Kirchen in Südafrika. Auch hier hat es einen inhaltlichen Wandel in der NG Kerk gegeben, mit Schuldbekenntnissen, usw., aber dadurch, dass die Gottesdienstsprache in der NG Kerk hauptsächlich Afrikaans ist, ist hier der natürlichen kulturellen Diversifizierung auch sprachlich eine gewisse Grenze gesetzt.
Es gibt auch einige deutschsprachige Gemeinden in Südafrika.
Lüdemann: Es gibt meines Wissens drei rein deutschsprachige Gemeinden in Südafrika - in Pretoria/Tshwane, in Johannesburg und in Kapstadt. Die ersten beiden dieser drei Gemeinden sind Gemeinden der bereits mehrfach erwähnten ELCSA-NT, die mehrheitlich englischsprachig und kulturell divers ist und die sich in den beiden deutschsprachigen Gemeinden eben - auch im Kontakt zu den großen deutschen Schulen dieser beiden Großstädte Südafrikas - um die muttersprachlich deutsche Bevölkerung bemühen. Diese beiden Gemeinden sind aber eben strukturell nicht gesondert, sondern als Teil der ELCSA-NT zu sehen, die eine institutionelle partnerschaftliche Beziehung zur EKD haben. Die EKD stellt derzeit das Personal für diese zwei Pfarrstellen und bis Juni diesen Jahres noch für eine dritte Pfarrstelle zur Verfügung.
Wie ist die Zusammenarbeit mit der EKD?
Lüdemann: Das von Paulus in 1. Korinther 12:13 beschriebene Bild des Leibes Christi, das aus verschiedensten Gliedern besteht, die alle miteinander in Beziehung stehen und nicht ohne einander ein glaubhaftes christliches Zeugnis in der Welt leben können, ist auch den Kirchen Deutschland Zuspruch und Anspruch zugleich. Hier sehe ich eine wichtige Aufgabe der EKD: die regionalen Werke, wie z.B. dem ELM, bringen die "grassroot-connections"-Ebene durch konkrete Partnerschaften zu Partnerkirchen mit, die unverzichtbar für weltweite kirchliche Zusammenarbeit sind, wenn man sich nicht in eine von der Realität abgehobenen "Konferenz-Theologie" verirren möchte. Die EKD bringt durch ihre Mitarbeit in verschiedensten internationalen kirchlichen Netzwerken - u.a. auch im Ökumenischen Rat der Kirchen, zu dem über 350 verschiedenen Kirchen weltweit gehören - eine unvergleichliche Vernetzung auch zu verschiedensten Themenstellungen mit sich, die die regional gestalteten Beziehungen von EKD-Gliedkirchen in einen breiteren Rahmen stellen und diese so auch inhaltlich weiter reflektieren und vertiefen können.
Was wünschen Sie sich von der EKD?
Lüdemann: Ich wünsche mir von der EKD, dass sie in einer Zeit knapper werdender Ressourcen, die unweigerlich auf sie zukommen wird, nicht der Versuchung erliegt, bei dem Blick "nach innen" auf ihre Aufgaben im Hinblick auf die von den Gliedkirchen der EKD vorgegebenen Themen (z.B. der großen Herausforderungen der zukünftigen Gestaltung der Kirchen in Deutschland) die meines Erachtens auch für die Zukunft der Kirchen in Deutschland überlebensnotwendigen Perspektive der "Kirchen des Südens" aus dem Blick zu verlieren. So wie das politische Projekt "Europäische Union" in der Zeit wachsenden Nationalismus eine guter Ausdruck des "gemeinsam sind wir stark" darstellt, so sollte eine EKD der Zukunft - auch was die Verwendung ihrer finanziellen Ressourcen angeht - ein Bekenntnis zum weltweiten Charakter der Kirche Jesu Christi aussprechen!