Her mit dem guten Leben!

Junge Frau vor Kreuz
epd-bild/Thomas Lohnes
Lassen sich junge Menschen noch für den christlichen Glauben begeistern?
Her mit dem guten Leben!
Die Synodentagung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) beschäftigt sich mit dem Glauben junger Menschen. Ihr Ziel: Als Kirche nicht den Kontakt zu den zukünftigen Generationen verlieren. Die Wissenschaft zeichnet das Bild einer "Generation Ich", die für die Kirche verloren ist. Die Kirchenleute stellen zehn Thesen gegen den Bedeutungsverlust auf. Und visieren eine Jugend-Quote an.

Um Augenhöhe zu erreichen, gibt es zwei Möglichkeiten: Eine von zwei Parteien muss entweder auf einen Hocker klettern – oder die andere Partei muss vom hohen Ross heruntersteigen. Was bedeutet es also, wenn Jacqueline Barraud-Volk, die Vorsitzende des Synodenausschusses, der die Debatte zum Schwerpunktthema vorbereitet hatte, in der Auseinandersetzung mit dem Glauben junger Menschen ein "Gespräch auf Augenhöhe" fordert? Herablassung hilft da natürlich nicht weiter. So rief Pfarrerin Barraud-Volk denn auch den Synodalen zu: "Heraus aus alten Sehgewohnheiten, heraus aus dem, was wir immer schon in der Kirche gewusst, gesagt und gemacht haben."

Der erste Schritt dazu war am ersten Synodentag die Beschäftigung mit dem Stand evangelischer Kinder- und Jugendarbeit und vor allem das Gespräch mit Menschen im Alter zwischen 18 und 26 Jahren am Abend gewesen. Am nächsten Morgen ging es dann weiter mit zehn Thesen, die der Vorbereitungsausschuss aufgestellt hatte, um sie am Nachmittag in Arbeitsgruppen gemeinsam zu bearbeiten. Notgedrungen entstanden die Thesen bereits, bevor die Synodalen die Erkenntnisse gleich zweier Sozialwissenschaftler und einer Sozialwissenschaftlerin präsentiert bekamen. Und das, obwohl die Mitglieder des Vorbereitungsausschusses ihre Thesen unter die Überschrift "Entdecken – Wahrnehmen – Konsequenzen ziehen" gestellt hatten.

Die Konsequenzen, die nun zur Diskussion gestellt werden sollten, umfassen ein weites Feld: Es sollen neue Möglichkeiten geschaffen werden, Glauben subjektiv zu leben. Die Bibel soll zukünftig besser kommuniziert werden und es soll mehr Musikvielfalt und zeitgemäße Musik bei kirchlichen Veranstaltungen und insbesondere Gottesdiensten geben. So hieß es bei der Einbringung deutlich und unter großem Applaus: "Ich will, dass in 15 Jahren kein Kirchenmusiker mehr sagen kann: 'Dafür bin ich nicht ausgebildet.'" Natürlich soll die digitale Kommunikation, besonders des Evangeliums gefördert werden und junge Menschen sollen in ihren Kirchen mehr Teilhabe, mehr Mitbestimmung und mehr Verantwortung bekommen, vor allem auch in Gremien. Generell soll mehr Innovation im kirchlichen Leben gewagt werden und mehr Ehrenamt gefördert werden, durch mehr Ressourcen, aber auch durch mehr Vollmacht. Andere Modelle von Gemeinde sollen zugelassen und integriert werden, Strukturen, die über die klassische Ortsgemeinde hinausgehen und kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zeitgemäßer ausgebildet werden: Mehr Netzwerker für die Digital Natives! Und der "Pubertätsgeneration" der Kirche soll man gerecht werden: Damit sind die Menschen im Alter von 16 bis 25 Jahren gemeint, die sich– wie jede/r Pubertierende eine Zeit lang zurückziehen aus der Gemeinschaft. Sie bräuchten Geborgenheit und andere Zugehörigkeitsformen neben der Kirchenmitgliedschaft, so die These.

"Jugendliche wollen am Hier und Jetzt teilhaben"

Ulrich Schneekloth, Jugendforscher in München und einer der Autoren der Shell Jugendstudie, bestätigte dies: "Die Gruppe der 18 bis 26-Jährigen ist dem Beten relativ fern." Die wichtigsten Dinge für sie seien erfüllte Beziehungen und Familien. Sie wollten das Leben in vollen Zügen genießen und sich das durch eigenen Fleiß und Ehrgeiz, eigene Fantasie und Kreativität erarbeiten, so der Sozialwissenschaftler: "Jugendliche wollen am Hier und Jetzt teilhaben." Dabei seien sie durchaus sehr wertebewusst. Aber sie seien gleichzeitig materialistisch orientiert und suchten Eigenverantwortlichkeit, was dazu nicht im Widerspruch stehe, so Schneekloth. Junge Menschen heute seien nun mal pragmatisch und verfolgten keine idealisierte, langfristige Lebensperspektive. Es gilt offenbar das Motto: "Her mit dem guten Leben!"

Anna-Katharina Lienau, Forscherin am Seminar für Praktische Theologie und Religionspädagogik an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster, stieß in das gleiche Horn: Nach ihren Daten sei der Glaube junger Menschen heute sehr individualisiert. Sie wollten sich aber selbst Gedanken darüber machen, ohne vorgefertigte Angebote. Sie bräuchten die Kirche nicht mehr zum gläubig sein: Sie fänden sie zwar gut, fänden aber keine Antworten bei ihr. Ein Befund, den ihr Vorredner Schneekloth wie folgt beschrieb: Junge Menschen lehnen die Kirche zwar nicht ab, finden aber, dass sie sich ändern muss.

Das wiederum konnte auch Gerhard Wegner, der Leiter des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD bestätigen. In seiner Studie, die die Synode extra zu diesem Schwerpunktthema in Auftrag gegeben hatte, war eines der Ergebnisse, dass die Kirchen von jungen Menschen gar nicht mehr als wirksame Institutionen gesehen werden. Auch er erklärte, dass die junge Generation sich an erster Stelle selbst wichtig sei. An zweiter Stelle liege die Familie, an dritter Stelle lägen die Freunde. Man wünsche sich vor allem Gesundheit und für die Gesellschaft Toleranz und Chancengleichheit und halte alle diese Wünsche für aus eigener Kraft erfüllbar. Der persönliche Glaube sei von Kirche und sogar Religion losgelöst, Jugendliche glaubten zuallererst an sich selbst. Sie empfänden sich als selbstbestimmt und sähen sich für ihr Leben als selbstverantwortlich, so der Sozialforscher: "Jugendliche heute sind nicht unchristlich, aber postchristlich."

Das Fazit aller drei Sozialwissenschaftler/innen nun war recht ähnlich: Die Selbstorientierung der "Generation Ich" ist kein Egoismus oder reine Selbstbezogenheit, sie ist vielmehr eine "Selbstwirksamkeitswahrnehmung". Dazu gehört durchaus auch, Verantwortung für sich und andere wahrzunehmen, mithin also ein Haupterziehungsziel der vergangenen Jahrzehnte. Die Werte dafür stammen bloß nicht mehr aus dem christlichen Glauben. Also: Mission accomplished – Kirchen leer?

Interview mit Gerhard Wegner, Leiter des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD in Hannover: Was junge Menschen von der evangelischen Kirche trennt?

Die Forscher empfohlen unisono, der christliche Glaube müsse sich mehr und zeitgemäßer anbieten und seinen Markenkern darstellen, als Basis für die Werte. Gerhard Wegner formulierte es so: "Wir können nicht einfach die vorhandene Wertorientierung der jungen Menschen taufen und sagen: 'Das ist schon gut so.' Das wird nicht funktionieren. Kirche muss mehr Zeugnis geben vom Glauben, wenn sie junge Menschen davon überzeugen will, dass sich das Leben mit Gott und Jesus Christus lohnt. Der Ich-Bezug dieser Generation passt eigentlich zum christlichen Glauben, nur dass das Ich dort von Gott kommt, als Geschenk. Diesen Bezug müssen wir wieder deutlicher machen." Ulrich Schneekloth verwies auf die Chance der Kirche, in einer zunehmend polarisierten Gesellschaft ausgleichend und versöhnungsstiftend zu wirken, wenn sie es schaffe, sich alltagspraktisch auf die Lebenswelten der Jugendlichen zu beziehen. Anna-Katharina Lienau bestärkte dies unter dem Hinweis auf die Tatsache, dass es nicht die Jugendlichen seien, die nach der Konfirmation oder als junge Erwachsene den Kontakt zur Kirche abbrechen würden, sondern umgekehrt: "Kirche muss die Teilhabe und Partizipation von Jugendlichen als Geschenk wertschätzen!"

Eine Aufforderung, die Synodenpräses Irmgard Schwaetzer unterstrich: "Die Gespräche mit den jungen Erwachsenen gestern wie die Diskussion heute Morgen haben sehr deutlich gezeigt, wie wichtig es ist, dass junge Menschen in unserer Kirche mitmischen. Wir brauchen Mut zum Experiment mit neuen Formen und Formaten. Und wir müssen über Möglichkeiten der Partizipation und Mitgestaltung nachdenken, wie das auch die Generalsynode der VELKD getan hat." Im Klartext: Eine Jugendquote in der EKD-Synode wird kommen, das empfahl auch Sozialforscher Wegner. Darüber hinaus müsse man endlich rausgehen, statt immer nur "einzuladen" und Angebote zu machen, so Schwaetzer, das habe das Reformationsjubiläum doch gezeigt: "Unsere Kirche muss sich wirklich ändern!"

Wie sehr die aufgestellten Thesen dabei helfen, die "Generation Ich" wieder für den christlichen Glauben zu begeistern, das muss die weitere Ausarbeitung – und vor allem deren Umsetzung zeigen. Immerhin kam aus der Synode bereits der Hinweis, dass bei den Thesen ja auch Vorschläge dabei seien, die schon vor Jahrzehnten gemacht worden seien. Und auch der Hinweis, dass man unbedingt den Blick über die hochgebildete Mittelschicht hinaus weiten müsse. Zeit, vom hohen Ross herabzusteigen - auf Augenhöhe also.