Benigno Romero ist außer sich. "Unsere Boote sind für die Seenotrettung gedacht, nicht als Aufnahmelager", sagt der Gewerkschaftssprecher der spanischen Seenotretter, die im staatlichen Auftrag tätig sind. Tagelang mussten Hunderte Migranten auf den Decks der Schiffe in den Häfen an der spanischen Südküste schlafen, weil die Polizei sie nicht an Land ließ.
Die Beamten kamen mit der Identitätsfeststellung der Neuankömmlinge schlicht nicht nach. Inzwischen haben die spanischen Behörden zwei neue Aufnahmelager für etwa 1.000 Menschen eingerichtet. Zudem hat der Zustrom seit Anfang der Woche deutlich abgenommen. Der Bürgermeister der Hafenstadt Algeciras, José Ignacio Landaluce, ist bei internationalen Medien ein gefragter Interviewpartner. "Wir könnten das neue Lampedusa werden", sagt er mit Hinweis auf die Flüchtlinge auf der italienischen Insel immer wieder. Er rechnet vor, die Bevölkerung von Algeciras von derzeit 121.000 Menschen könnte alle drei Tage um ein Prozent wachsen.
"Völlig übertrieben", winkt unterdessen Mónica López ab. Sie ist Sprecherin von Cear, dem größten spanischen Flüchtlingshilfswerk. Die spanischen Seenotretter haben in der ersten Jahreshälfte gerade einmal 22.091 Menschen aus dem Meer geholt, 46 kamen ums Leben. Das sei nicht vergleichbar mit den Flüchtlingszahlen in Italien von einst 180.000 im Jahr. "Und kein Flüchtling will in Algeciras bleiben", erklärt sie. "Sie werden ja in kurzer Zeit auf Aufnahmezentren in ganz Spanien verteilt."
Doch so lange nicht wenigstens ihre Identität festgestellt ist, haben die Flüchtlinge auf Booten, in Lagerhallen oder unter freiem Himmel geschlafen. Erst jetzt, sechs Wochen, nachdem an manchen Wochenenden weit über 1.000 Flüchtlinge in Spanien ankamen, hat die Regierung zwei neue Erstaufnahmezentren an der Küste errichtet. Dabei hatte Cear die Behörden schon im Januar gewarnt, das Land sei nicht ausreichend auf die Zunahme der Flüchtlingszahlen vorbereitet. "Wir können nicht weiter improvisieren", betonte Cear.
Der spanische Außenminister Josep Borrell von der neuen sozialistischen Minderheitsregierung lädt unterdessen die akkreditierten Auslandskorrespondenten zum Pressegespräch ein. "Wir haben keine Angst vor einer Flutwelle. Wir sollten bitte nicht übertreiben", appelliert er an die Medien. Aber auch er muss anerkennen, dass die Flüchtlingszahlen in Spanien nun schon seit zwei Jahren wieder steigen, von weniger als 10.000 Menschen 2016 auf bislang 24.000 in diesem Jahr, wenn auch die Ankommenden in den Exklaven Ceuta und Melilla in Nordafrika mitgerechnet sind.
Borrell fordert aber zudem, zu einer langfristigen Migrationspolitik müsse auch die wirtschaftliche Entwicklung Afrikas gehören. "So lange manche in Europa glauben, ein dickes Vorhängeschloss würde ausreichen, bekommen wir keine gute Migrationspolitik zusammen", erklärt der Minister. Spanien sei nicht Österreich und sehe in der Einwanderung auch Chancen. Schließlich lebten noch im Jahr 2000 weniger als eine Million Ausländer unter den 40 Millionen Spaniern, heute sind es fünf Millionen, ohne dass die Einwanderung zu größeren sozialen Spannungen geführt hätte.
Ein größeres Medienecho als der nachdenkliche Minister findet aber Pablo Casado, frisch gewählter Vorsitzender der konservativen Volkspartei. Er sagt, Spanien könne nicht Millionen von Afrikanern aufnehmen. Für die Migrationsexperten ist diese Zahl völlig aus der Luft gegriffen. "Wir müssen aufpassen, dass wir das bislang gute Zusammenleben in Spanien nicht mit populistischen Erklärungen aufs Spiel setzen", warnt López.