"Gibt es bei Ihnen eine Toilette?" Gar nicht selten ist es dieses zutiefst menschliche Bedürfnis, mit dem Gäste in das evangelische Informationszentrum "Kapitel 8" in Bremen kommen. Andere treibt die Frage um, wo die berühmte bronzene Skulptur der Stadtmusikanten steht oder der Spuckstein zu finden ist, der an die Hinrichtung der Giftmischerin Gesche Gottfried (1785-1831) in der Hansestadt erinnert. "Da können wir natürlich helfen", sagt Pastor Hans-Jürgen Jung, der "Kapitel 8" leitet.
Das Infozentrum ist eine von derzeit 113 Einrichtungen in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Frankreich, die zum stetig wachsenden ökumenischen Netzwerk deutschsprachiger Citykirchenprojekte gehören. Von diesem Mittwoch an bis Freitag treffen sich Vertreter der Initiativen, um über die Frage nachzudenken, wie sich Kirche kreativ als Teil der modernen Stadtkultur positionieren kann.
Nicht einfach, denn urbane Kommunikation heißt: Die Passanten, die an Einrichtungen wie dem "Kapitel 8" vorbeilaufen, haben meist wenig Zeit, gehen ihren eigenen Plänen nach und sind oft kirchenfern. "Ziel ist die kurze, injektionshafte touch & go-Begegnung", sagt Professor Matthias Sellmann, Leiter des Zentrums für angewandte Pastoralforschung an der Ruhr-Universität Bochum.
Niedrigschwelliges Angebot
Kirche to go also. Pastor Heiko Kuschel, einer der Sprecher des Netzwerkes Citykirchenprojekte, nennt das "Kommunikation im Vorübergehen". Die Arbeit sei nicht auf Mission oder Bindung ausgerichtet, sondern sei ein niedrigschwelliges Angebot für Passanten. "Die Leute sollen bei uns reinkommen, ohne Widerstände überwinden zu müssen."
Im Bremer "Kapitel 8" kommen neben Touristen auch Bedürftige und Menschen, die etwas kaufen wollen. "Den Hilfesuchenden können wir sagen, wo Beratungsstellen sind und wo es Unterstützung gibt", sagt Jung, der das Informationszentrum zusammen mit 20 Ehrenamtlichen managt. Käufer suchen meist christliche Devotionalien: Kleine Engelsfiguren, Grußkarten, Bücher oder Handschmeichler, die gerne zu Geburtstagen verschenkt werden.
Manchmal kommen auch Besucher, die theologische Fragen erörtern wollen: Ist die biblische Offenbarung tragfähig? Hat Gottes Stimme in der gegenwärtigen Gesellschaft noch eine Bedeutung? Wie kann Gott im Weltraum überleben? "Man muss schon gut diskutieren können", hat Kuschel festgestellt, der im unterfränkischen Schweinfurt regelmäßig mit einer Wagenkirche durch die Fußgängerzone zieht.
Dass er dabei auch schon mal als Verbrecher beschimpft wurde - geschenkt. Wer sich in einem solchen Projekt engagiere, müsse offen und kommunikativ arbeiten, ist der 48-jährige Theologe überzeugt. "Eine positive Erfahrung mit Menschen aus der Kirche vermitteln, jemandem ein Lächeln ins Gesicht zaubern - das ist es, was mir wichtig ist", meint der 48-jährige Pastor.
Vielerorts wurden dazu Cafés, Buchhandlungen oder eher auf Information ausgerichtete Räume wie das "Kapitel 8" eingerichtet. Sie tragen Namen wie "Offener Himmel", "Lichtblick" oder "Café Auszeit". Oft sind den Anlaufpunkten Kircheneintrittsstellen angegliedert. Die Läden sind zudem nicht selten Ausgangspunkte für spirituelle oder soziale Stadtführungen. Manche liegen neben kulturell bedeutenden Kirchenbauten, andere abseits des städtischen Trubels.
Unterschiedlich sind auch die Konzepte sowie personelle und finanzielle Ausstattungen. Es gehe aber nicht um Gemeindebildung, Kirchenkunde oder ethische Belehrung, verdeutlicht Sellmann das Verbindende. Er sieht die spirituelle Inspiration als eine wichtige Aufgabe der Projekte. Etwas, was "angenehm-konstruktiv in die Seele geht". Beispielsweise in "Regenerations-Areas" für gestresste Städter: Wer kommt, könnte auf Liegesesseln Platz nehmen, um sich verwöhnen zu lassen. Mit Stirn- und Schultermassagen, gewärmten Lemon-Tüchern. Oder in Räumen der Stille.