18.11., ZDF, 20.15 Uhr: "In Wahrheit - Mord am Engelsgraben"
Die Filmografie von Regisseur Miguel Alexandre weist diverse Mehrteiler auf, die in die Kategorie "Event"-Fernsehen gehören. Für die ARD hat er unter anderem den Udo-Jürgens-Film "Der Mann mit dem Fagott" oder das Mutter-gegen-Stasi-Drama "Die Frau vom Checkpoint gedreht, für RTL "Die Patin" oder das Flieger-Epos "Starfighter". In den letzten Jahren hat sich der gebürtige Portugiese jedoch darauf konzentriert, die ZDF-Gotlandkrimireihe "Der Kommissar und das Meer" neu zu erfinden. Auch sein jüngstes Werk, "In Wahrheit", ist eher keins jener Projekte, für die ein Sender Plakatwände mieten würde. Der Film erzählt eine gewöhnliche Krimigeschichte nach dem Muster "Die Spur führt in die Vergangenheit": Nach der Ermordung einer Prostituierten stößt die ermittelnde Kommissarin Judith Mohn (Christina Hecke) auf einen alten Fall. Damals ist eine junge Ausreißerin spurlos erschwunden. Warum die Ermittlerin ahnt, dass es einen Zusammenhang zwischen den beiden Ereignissen gibt, wird zwar nicht recht deutlich, aber der Film spielt im Raum Saarlouis, wo es vermutlich noch weniger Morde gibt als im Rest der Republik; da liegt es dann wohl nahe, nach Zusammenhängen zu suchen. Davon abgesehen könnte sich die Geschichte überall zutragen; Alexandre hätte sie auch als neue Episode der Gotland-Krimis erzählen können.
Zumindest aus Sicht des ZDF ist "In Wahrheit – Mord am Engelsgraben" aber offenbar mehr als nur ein Feld-, Wald- und Wiesenkrimi, wie die Darstellerliste zeigt: Selbst für kleinste Rollen wurden namhafte Schauspieler engagiert. Die Eltern des verschwundenen Mädchens zum Beispiel werden von Ulrike Krumbiegel und Peter Kremer verkörpert, die aber kaum was zu tun haben. Noch verschwenderischer ist die Besetzung von Judith Mohns Ehemann Niklas mit Juergen Maurer, der nur wenige Dialogsätze hat, dem Gatten aber eine düstere Aura verleiht. Der Gatte ist offenbar physisch und psychisch versehrt, die Hintergründe lässt der Film offen.
Das Drehbuch stammt von Harald Göckeritz, der schon oft mit Alexandre zusammengearbeitet hat; für "Grüße aus Kaschmir" wurden die beiden 2005 mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Ihr jüngstes gemeinsames Werk ist allerdings trotz der bekannten Mitwirkenden eher unspektakulär, auch wenn die elegante Bildgestaltung – Alexandre führt seit einigen Jahren stets auch die Kamera - von sichtbarer Sorgfalt geprägt ist. Viele Szenen spielen im Halb- oder Dreivierteldunkel, was aber natürlich nicht automatisch ein Qualitätsmerkmal ist. Dafür bringen die Luftaufnahmen der Saarschleife die spezielle Schönheit dieser Gegend gut zur Geltung. Es gibt ohnehin diverse schwungvolle Kamerafahrten und –flüge, die mitunter allerdings mehr Dynamik suggerieren, als die Geschichte hergibt. Echte Spannung oder Anteilnahme will sich ebenfalls nicht einstellen, dafür kommen die Nebenfiguren einfach zu kurz. Andererseits erzählt der Film interessante Dramen am Rande, etwa vom Ehepaar Kupka (Anna Loos, Christian Berkel), dem nicht nur die Liebe abhanden gekommen ist, wie ein beiläufiger Blick auf eine Narbe am Handgelenk verrät; oder vom wunderlichen Herrn Mahn (Sebastian Rudolph), der sich mit einem kaschierten Hilferuf als Verdächtiger ins Spiel bringt, um von seinem Dasein als Betreuer seines pflegebedürftigen Vaters erlöst zu werden. Warum er in einem verschlossenen Zimmer lauter Material über die beiden Fälle aufbewahrt, wird ebenfalls nicht erklärt.
Reizvoll ist auch die Figur eines Polizisten im Ruhestand: Markus Zerner (Rudolf Kowalski) hat einst den Dienst quittiert, weil er den Eltern der verschwundenen Maria keine Gewissheit über das Schicksal ihrer Tochter verschaffen konnte; Judith Mohn reaktiviert ihn gewissermaßen. Zerners Hauptverdächtiger war damals Paul (Constantin von Jascheroff), der Freund des Mädchens, und selbstredend nimmt auch Mohn den jungen Mann ins Visier. Dieser Teil der Geschichte verdeutlicht, was der Zustand der ständigen Ungewissheit für Hinterbliebene bedeutet: Es ist nie vorbei. Schließlich stellt sich raus, dass der erste Todesfall ein völlig sinnloses, absurdes Unglück war, und womöglich war diese Idee der Ausgangspunkt der ganzen Geschichte. Auf die bittere Wahrheit stößt die Kommissarin durch den Zufallsfund einer winzigen Matrjoschka-Puppe, eine gern verwendete und vielfach interpretierbare Metapher.
Von den verschiedenen Leerstellen abgesehen ist "In Wahrheit" ein Krimi, der sich gut anschauen lässt, aber eher nicht in Erinnerung bleiben wird; da hat Alexandre, auch für "Der Kommissar und das Meer", schon ganz andere Filme gedreht. So gesehen ist es fast wieder schade um das Ensemble, zumal die guten Schauspieler angesichts der Kürze ihrer Auftritte nur an der Oberfläche ihrer Figuren ratzen können. Anna Loos, stark geschminkt und dadurch noch strenger wirkend als sonst, gelingen als innerlich verhärmte Fernfahrerfrau dennoch intensive Momente. Fast zu groß für ihre Mini-Rolle ist auch die junge Emilia Bernsdorf, die seit zwei Jahren regelmäßig Glanzlichter setzt, zuletzt unter anderem als Tochter im Heike-Makatsch-"Tatort" ("Fünf Minuten Himmel"), davor in der "Inga Lindström"-Romanze "Liebe deinen Nächsten"; hier spielt sie in den Rückblenden die verschwundene Maria.
Sehenswert ist der handlungsreiche Film auch wegen Christina Hecke, selbst wenn sie Frauen wie Judith Mohn regelmäßig verkörpert: empathisch, freundlich, ruhig, außerdem attraktiv und langbeinig; abgesehen von den Eheproblemen also eine erfrischend positive Hauptfigur, die komplett ohne die üblichen Ermittlermacken auskommt. Nur einmal rastet die Kommissarin aus: Kollege Freddy (Robin Sondermann) hat sich von dem scheinbar harmlosen Mahn übertölpeln lassen. Freddy revanchiert sich etwas überraschend mit einem Kuss, was seine Chefin nicht weiter kommentiert; gemeinsam mit dem vermeintlichen Reihentitel und der ungeklärten Düsternis von Niklas Mohn ein weiteres Indiz dafür, dass "Mord am Engelsgraben" nicht der letzte Fall für Judith Mohn gewesen sein könnte. Das ZDF wäre einer Fortsetzung jedenfalls nicht abgeneigt, vorausgesetzt, der Auftakt findet genügend Zuschauer. Den Saarländern wird’s recht sein; mit Ausnahme des "Tatort" aus Saarbrücken ist das Bundesland filmische Diaspora.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
19.11., ARD, 20.15 Uhr: "Tatort – Gott ist auch nur ein Mensch"
Schon der Titel ist brillant, aber auch sonst erfüllt dieser "Tatort" aus Münster endlich mal wieder die großen Erwartungen: Die Geschichte ist originell und geistreich, die Dialoge sind nicht wie viele andere Drehbücher für das Duo Thiel und Boerne auf Kalauer gebürstet. Anders als in seiner letzten Münster-Episode hat Regisseur Lars Jessen Krimi und Komödie deutlich besser austariert. Star des Films ist die Titelfigur, die zwar wie Gott klingt, sich aber G.O.D. schreibt. Hinter dem Namen verbirgt sich ein exzentrischer Aktionskünstler, der die nur alle zehn Jahre stattfindenden Skulpturentage Münster zu einem unvergesslichen Erlebnis machen soll; eine Figur wie gemalt für Aleksandar Jovanovic, der mit seinen markanten Gesichtszügen und dem stechenden Blicks gern in erstklassig verkörperten zweitklassigen Schurkenrollen besetzt wird. Zoltan Rajinovic alias G.O.D. gehört daher selbstredend zu den Verdächtigen, als kurz vor Eröffnung der Ausstellung eine bizarr verpackte Leiche gefunden wird. Eines Morgens steht vor dem Rathaus ein lebensgroßes Kunstwerk, das dem "Jack in the Box" nachempfunden ist: ein Clown, der aus einer Schachtel springt. Bei dem konservierten Toten, der unter der Maskerade zum Vorschein kommt, handelt es sich um ein Ratsmitglied, das kürzlich wegen Kindesmissbrauchs angeklagt war, aber freigesprochen wurde. Ein weiteres Mordopfer taucht mumifiziert in einem Schlauchboot vor einem Flüchtlingsheim auf, in der Hand ein Schild mit der Kurzform eines Gandhi-Zitats; der Tote war ein Ausländerhasser. Spätestens bei Leiche Nummer drei gibt es keinen Zweifel mehr: Ein kunstaffiner Mörder übt Selbstjustiz. Dank der Hinweise, die Rechtsmediziner Boerne (Jan Josef Liefers) in den Leichen findet, kommen Hauptkommissar Thiel (Axel Prahl) und seine Kollegin Krusenstern (Friederike Kempter) zu dem Schluss, dass der Täter einen vierten Leichnam und den Höhepunkt der Serie anlässlich der Ausstellungseröffnung präsentieren wird.
Das Drehbuch stammt von Christoph Silber und Thorsten Wettcke, die unter anderem den sehenswerten historischen Sat.1-Krimi "Mordkommission 1" (2015) und das Medical-Drama "Das Wunder von Kärnten" (2012) geschrieben haben; zum "Tatort" aus Münster haben sie die Episoden "Schwanensee" und "Zwischen den Ohren" beigesteuert. In "Gott ist auch nur ein Mensch" nutzen sie das Sujet nicht zuletzt für manche Seitenhiebe gegen den Kunstbetrieb. Lieblingsfigur in dieser Hinsicht ist eindeutig Nika Wenger (Gertie Honeck), die ehemalige Kuratorin der Skulpturentage, ein Kunstparasit, der prätentiöse Sprechblasen absondert. Ihre Nachfolgerin ist die eigene Tochter Klara (Victoria Mayer), die eine etwas ausufernde Kindheitsgeschichte zum Besten gibt: Nika lebte einst gemeinsam mit Staatsanwältin Klemm (Mechthild Großmann) in einer Kommune, und weil auch Thiels Vater samt Sohn regelmäßig dort vorbeigeschaut hat, begrüßt Klara den Kommissar überschwänglich als "Frankie"; Fotos belegen gemeinsame unbeschwerte Kindertage, an die sich Thiel seltsamerweise gar nicht erinnern kann. Das könnte damit zu tun haben, dass die Kindheit des Kommissars unübersehbar viel länger her ist als die der Kuratorin; Prahl ist 16 Jahre älter als Mayer. Die entsprechenden Szenen wirken ohnehin wie ein missglückter Versuch, auch Thiel senior (Claus Dieter Klausnitzer) irgendwie in die Handlung mit einzubeziehen. Dass Klara dem einstigen Spielkameraden vorschlägt, wie früher die Kleider zu tauschen, ist erst recht blödsinnig.
Dieser überflüssige Exkurs ist zum Glück der einzige Fehltritt in dem ansonsten jederzeit stimmig erzählten "Tatort". Der Stoff scheint auch Jessen besser zu liegen; der Regisseur der großartig skurrilen Komödie "Jürgen – Heute wird gelebt" hat mit Prahl und Liefers zuletzt den Münster-Krimi "Feierstunde" gedreht, einen potenziellen Thriller, der als hybride Krimikomödie eher kraftlos wirkte. Diesmal hat Jessen die beiden Genres deutlich überzeugender austariert. Auf die üblichen Slapstickelemente hat er völlig verzichtet, und die obligaten Bosheiten von Rechtsmediziner Boerne gegenüber seiner kleinwüchsigen Assistentin sind auf beiläufige Bonmots reduziert ("Weniger ist mehr"). Anders als in vielen früheren Krimis aus Münster haben Silber und Wettcke über ihren Spaß am Spiel mit Wortwitz ("Ich suche Gott") und absurden Einfällen nicht vergessen, dass auch komödiantische Krimis in erster Linie eine gute Geschichte brauchen. Schon die Einführung ist vergleichsweise komplex. Filme über intelligente Serienmörder müssen ohnehin besondere Ansprüche erfüllen, weil die Täter ihre Jäger stets mit versteckten Hinweisen zum geistigen Kräftemessen einladen.
Mehr als nur eine Erwähnung wert ist auch die Kameraarbeit (Rodja Kükenthal), die auf angenehm unaufdringliche Weise kunstvoll wirkt. Dass der asketische Rajinovic gleich zu Beginn in einem gesprungenen Spiegel zu sehen ist, den er zuvor mit einem gezielten Flaschenwurf demoliert hat, mag ein filmisch abgenutzter Hinweis auf eine gestörte Psyche sein, aber später gibt es eine weitere Einstellung dieser Art: Boerne spiegelt sich dutzendfach in einem Kunstwerk, was ihm ein ehrfürchtiges "vita brevis, ars longa" (sinngemäß: Das Leben ist kurz, die Kunst währt ewig) entlockt; zusammen ergeben die beiden Spiegel-Bilder einen tieferen Sinn, zumal es dem ehrgeizigen Boerne gelingt, Rajinovics "Meisterschüler" zu werden. Dass der charismatische G.O.D. keine anderen Götter neben sich duldet, versteht sich von selbst. Was zählt da schon eine weltliche Instanz wie die Polizei, weshalb Buch und Regie die Vernehmung des Mannes auf ein schweigendes Blickduell von Thiel und Rajinovic reduzieren. Als der Künstler plötzlich zuckend vom Stuhl fällt, kommentiert Thiel den Anfall mit einem verächtlichen "So ein Kasperkönig", aber damit tut er Rajinovic unrecht, denn der Titel "Gott ist auch nur ein Mensch" ist mehr als nur ein Wortspiel. Die beiden anderen Stars der Ausstellung sind längst nicht so exaltiert (und auch nicht prominent besetzt), aber auch sie haben nicht zuletzt dank der ausgefallenen Alibis ihre Momente.
Eine besondere Idee hat sich der Film für den Schluss aufgehoben. Einer der Künstler verbirgt sein jüngstes Werk in einem Koffer. Er gewährt Thiel zwischendurch zwar einen kurzen Blick, aber Jessen verstößt gegen die filmische Syntax, nun auch zu zeigen, was der Kommissar – "Das Bekloppteste, was ich je gesehen habe" – wahrnimmt. Das weckt die Neugier natürlich erst recht; die Auflösung erfolgt jedoch erst mit dem in der Tat verblüffenden Schlussbild.
20.11., ZDF, 20.15 Uhr: "Der Kommissar und das Kind"
Wenn nach einer Kindesentführung ein Trauma zurückbleibt, dann in erster Linie beim Opfer und seinen Eltern. Der ZDF-Krimi "Der Kommissar und das Kind" trägt seinen Titel jedoch völlig zu recht, denn der Berliner LKA-Ermittler Martin Brühl (Roeland Wiesnekker) leidet gleichfalls unter den Folgen eines Kidnappings, das er nicht aufklären konnte; eine Lösegeldübergabe ist gescheitert, der entführte Säugling Baby ist nie wieder aufgetaucht. Als ein weiteres Kind entführt wird und die Umstände keinen Zweifel daran lassen, dass es sich um den gleichen Täter handelt, überschreitet Brühl die Grenzen seiner physischen und psychischen Belastbarkeit, um den Fall lösen.
Das erheblich angeschlagene Seelenleben des Kommissars ist aber nur die eine Seite des Drehbuchs von Christoph Darnstädt und Annette Simon. Auf der anderen geht es ums Dasein als Eltern, und zwar in Theorie und Praxis. Caroline Schäfer (Anja Kling), die Mutter der knapp zwei Jahre alten Pauline, ist eine bekannte Fernsehmoderatorin, die nicht viel Zeit für Kind hat und ihr schlechtes Gewissen in dem Spiegel sieht, den ihr die Freunde vorhalten. Der Kidnapper hat das Mädchen aus seinem Bett genommen und eine Puppe hineingelegt; Caroline betrachtet dies als Botschaft, dass sie keine Kinder verdient habe. Ihr Gegenstück ist die Entführerin (Silke Bodenbender), deren Motive der Film lange offen lässt; allerdings wird trotz einer Lösegeldforderung recht bald klar, dass es der Frau nicht ums Geld geht.
Der Schweizer Regisseur Andreas Senn hat unter anderem den Afghanistan-Heimkehrerfilm "Willkommen zuhause" (2009) inszeniert und mit Anja Kling "Kein Entkommen" (2014) gedreht, ein erschütterndes Drama über die Folgen einer sinnlosen Gewalttat. Natürlich ist "Der Kommissar und das Kind" ein Krimi, zumal Senn erfolgreich das eine oder andere Genre-Versatzstück verwendet, aber davon abgesehen interessiert sich der Regisseur auch hier vor allem dafür, was die Entführung mit den Beteiligten macht. Deshalb ist die Titelrolle wie geschaffen für Roeland Wiesnekker, der gebrochene Charaktere so glaubwürdig verkörpern kann wie kaum ein anderer; am besten vielleicht in dem, Trinkerdrama "Ich habe es dir nie erzählt" (2011). Gegen den Rat seiner Freundin und Psychologin (Meike Droste) stürzt sich der Kommissar wie besessen in die Suche nach der Entführerin; wenn er doch mal schläft, hat er Alpträume von dem früheren Fall. Mehrfach zeigt Senn, wie der Ermittler in den entsprechenden Traumbildern auf das Haus der Eltern zugeht. Dass er diesen Weg am Ende nochmals beschreiten wird, ist nur eine von vielen klugen Drehbuchideen, zumal die Geschichte schließlich einen echten und völlig unerwarteten Knüller zu bieten hat.
Wiesnekkers Leistung überstrahlt beinahe zwangsläufig alle anderen, weil er die mit Abstand interessanteste figur voerkörpert, aber auch die weiteren Mitwirkenden sind nicht minder vorzüglich, zumal auch die Nebenrollen mit unter anderem Michael Schenk und Magnus Krepper ausgezeichnet besetzt sind. Eine besondere Rolle spielt dabei Dario Prodoehl, ein Junge mit Trisomie 21, der schließlich zum Helden der Geschichte wird; neben Brühl natürlich. Der Film könnte auch "Der gute Bulle" heißen, aber diesen Titel trug erst kürzlich ein anderer ZDF-Krimi, und auch darin ging es um einen Berliner Polizisten, der beinahe davon besessen war, einen Kidnapper und Mörder zur Strecke zu bringen. Buch und Regie haben ein interessantes Bild gefunden, um die Dämonen zu illustrieren, unter denen Kommissar Brühl leidet: Immer wieder kreuzen Krähen sein Weg. Bei der ersten Begegnung zerfleddern sie im Garten von Familie Schäfer eine tote weiße Taube; ein plakatives, aber treffendes Bild dafür, wie es um seinen inneren Frieden bestellt ist. Die Vögel spielen auch bei einer faszinierend kafkaesken und dank der Bildgestaltung (Markus Hausen) beinahe surrealen Szene eine Rolle, als der Beamte auf der Suche nach einem Ausgang durch eine Klinik irrt; schließlich landet er am Bett einer Gebärenden, die seine Hand ergreift und nicht mehr loslässt. Dass sich Brühl überhaupt in dem Krankenhaus aufhält, hat mit einem gewaltigen Holzweg zu tun, auf den sich die Ermittler verirrt haben. Im schönen lakonischen Epilog, als der auch dank des nasskalten Herbstwetters recht ungemütliche Film und mit ihm die Hauptfigur im Grunde zum ersten Mal zur Ruhe kommen, haben die Krähen quasi das letzte Wort, aber sie haben keine macht mehr über Brühl.
21.11., 3sat, 20.15 Uhr: "Tod in Istanbul"
Man kann die Filme kaum miteinander vergleichen, aber ein wesentliches dramaturgisches Prinzip ist identisch: Ähnlich wie seinen Thriller "Der Verdacht" beginnt Matti Geschonneck auch den Krimi "Tod in Istanbul" ohne Umschweife. Es gibt keinen Prolog, keine Einführung, keine Erklärungen, man ist gleich mittendrin; und entsprechend orientierungslos. Für einen Fernsehfilm ist das durchaus mutig, und zwar nicht nur, weil es eine Weile dauert, bis man die Handlung einigermaßen durchblickt. Auch bei den vier Protagonisten weiß man lange nicht, wer die Guten und wer die Bösen sind; niemand identifiziert sich gern mit einer Figur, die sich am Ende als Mörder entpuppt.
Entsprechend komplex ist die Handlung, die sich unmöglich in einem Satz zusammenfassen lässt: Hauptkommissar Kleinert (Heino Ferch) verabredet sich mit seiner Freundin Carla in einem Hotel in Istanbul. Als er dort eintrifft, ist Carla tot. Der Mann, den er für den Mörder hält (Jürgen Vogel), entpuppt sich nicht nur als verdeckt ermittelnder BKA-Mitarbeiter, sondern auch als Ehemann der Toten. Kurz drauf werden ihre Mutter und ihre Tochter ermordet. Kleinert hat keine Ahnung, wo er da hineingeraten ist, wird zu allem Überfluss auch noch suspendiert, ermittelt aber auf eigene Faust weiter. Eine schöne BKA-Beamtin (Ina Weisse) ist auf seiner Seite, aber ganz sicher ist er sich nicht. Einzig ihr Chef (Peter Simonischek) scheint eine saubere Weste zu haben; aber auch er hatte eine Affäre mit Carla.
Im Hintergrund, das wird etwa zur Hälfte des Films deutlich, geht es um internationalen Waffenhandel, aber das ist letztlich nur Mittel zum Zweck. Entscheidender ist das komplizierte Beziehungsgeflecht zwischen den vier einander belauernden Hauptfiguren, die bloß auf einen Fehler des anderen warten. Weil es der Film tunlichst vermeidet, sich auf eine Seite zu schlagen, bezieht die Geschichte ihren Unerhaltungswert aus der Ungewissheit, worauf das alles hinausläuft und wer hier mit wem unter einer Decke steckt.
Bei Geschonnecks Film "Der Verdacht" ist das Kalkül nur bedingt aufgegangen. Hier funktioniert es wesentlich besser, was nicht zuletzt am Drehbuch liegen dürfte. Es stammt von Hannah Hollinger, die seit vielen Jahren Filmen mit Geschonneck zusammenarbeitet. Die Seelenverwandtschaft von Autorin und Regisseur hat schon zu diversen bemerkenswerten Werken geführt (zuletzt "Entführt" und "Hinter blinden Fenstern"). Gerade die mosaikhafte Konstruktion und der Mut, dass jede Antwort weitere Fragen aufwirft, machen den großen Reiz des Films aus. Und natürlich die vier Hauptdarsteller, ausnahmslos und sehr clever mit Sympathieträgern besetzt. "Wir wollten einen besonderen Film über das Spiel des Bösen machen", sagt Hollinger über "Tod in Istanbul". Und fügt hinzu, es habe ihr ungeheuren Spaß bereitet, dieses Buch zu schreiben. Das merkt man.
22.11., ARD, 20.15 Uhr: "Brüder"
Romanzen und religiöse Dramen erzählen im Grunde die gleiche Geschichte: hier geht es ums Suchen und Finden der Liebe, dort um die Entdeckung des Glaubens. Beide Genres handeln also von großen Gefühlen, und darin liegt die Herausforderung für die Regie, denn sie muss diese Gefühle sichtbar machen. Bei Romanzen funktioniert das in der Regel über das Gegenüber, also die Person, der die Emotionen gelten; bei Religionsfilmen muss aus naheliegenden Gründen ein anderer Weg gefunden werden. In letzter Zeit gab es einige Krimis über junge Menschen ohne inneren Kompass, deren Leben einen Sinn bekommt, als sie den Islam entdecken, sich radikalisieren (oder radikalisiert werden) und sich dem "Islamischen Staat" anschließen. Diese Filme, allen voran zwei "Tatort"-Beiträge des NDR ("Borowski und das verlorene Mädchen" und "Zorn Gottes", beide 2016), waren zwar spannend, aber es gelang ihnen nicht, die Motive der Konvertiten nachvollziehbar darzustellen. Das ist auch das Manko des Zweiteilers "Brüder": Als wäre ein Schalter umgelegt worden, ist der junge Protagonist, Informatikstudent Jan, plötzlich gläubig. Der salafistische Prediger Abadin, der ihn bekehrt, ist ein überaus charismatischer Typ (Tamer Yigit erinnert an den jungen Mario Adorf), sodass zumindest nachvollzogen werden kann, warum Jan von diesem Menschenfänger so fasziniert ist. Aber wie aus Abadins Samenkorn eine derart robuste Pflanze entsteht, dass Jan sogar bereit ist, alle Brücken hinter sich abzubrechen und für den "IS" in den Krieg gegen zu ziehen: Das vermittelt Züli Aladag mit seinem Film nicht. Genau das wäre jedoch die Voraussetzung, um sich mit Jan zu identifizieren. So ist der angeklebte Bart im Gesicht des ansonsten sehr glaubwürdigen Hauptdarstellers Edin Hasanovic ein treffendes Bild für die behauptete, aber unbelegte Erleuchtung.
Davon abgesehen ist "Brüder" das packende Porträt eines impulsiven jungen Mannes, den der Film nicht sonderlich sympathisch einführt: mit lieblosem Sex auf dem Discoklo, einem unhöflichen Abschied von der Zufallsbekanntschaft und totgeschlagener Zeit bei lautstarkem Techno und Videoballerspiel. Jan hat keinen Respekt vor seiner Mutter (Karoline Eichhorn), und ein Besuch bei seinem Vater Rainer (Thorsten Merten) endet mit einem Mordversuch; aber vielleicht ist das auch nur eine Vision von Jan, denn geraume Zeit später wird Rainer den Sohn bei sich aufnehmen, als sei nichts geschehen. Zwischen diesen beiden Momenten liegen zehn Monate, in denen sich das Leben des Studenten zweimal um 180 Grad gedreht hat.
Jans erstes Umdenken beginnt, als er gemeinsamen mit seinem syrischen Mitbewohner Tariq (Erol Afsin) dessen ebenfalls geflohene Schwester abholt; die junge Frau ist im Militärgefängnis gefoltert und vergewaltigt worden. Bei der Ankunft des Flüchtlingsbusses lernt Jan den Prediger Abadin kennen, der die Flüchtlinge in seine Moschee einlädt. Eher aus Neugier nimmt Jan die Einladung an und trifft auf junge Männer, die bislang offenbar ähnlich ziellos durchs Leben gedriftet sind wie er. Geschickt lockt Abadin sie auf den Kriegspfad; "Allah führt dich aus der tiefen Dunkelheit hinaus ins Licht", heißt es auf seiner Website. Als Tariq seine Eltern aus Syrien holen will, schließt Jan sich ihm an, landet in einem Ausbildungslager des "IS" und führt nun Krieg; davon erzählt der zweite Teil. Die Feuergefechte kennt Jan aus seinen Ballerspielen; auf Erlebnisse wie jene, als seine Truppe eine Hochzeitsfeier stürmt und der geschminkten Braut die Kehle durchgeschnitten wird, oder den Selbstmord eines Mitkämpfers, der sich eines nachts vor seinen Augen erschießt, war er nicht vorbereitet. Vermutlich sind es Momente wie diese, die bei dem glühenden "IS"-Kämpfer einen erneuten Denkprozess in Gang setzen. Als Jan schließlich nach Stuttgart zurückkehrt, um dort im Auftrag seines Befehlshabers ein furchtbares Massaker durchzuführen, nehmen die Dinge eine völlig unerwartete Wendung.
Kristin Derfler hatte die Idee zu "Brüder" und auch eine Drehbuchvorlage geschrieben. Die bisherigen Verfilmungen ihrer Arbeiten, zuletzt das Gen-Defekt-Drama "Ellas Entscheidung", zuvor unter anderem "Es ist nicht vorbei" und "Mama arbeitet wieder", ließen nie einen Zweifel an den Motiven und Gefühlen ihrer meist weiblichen Hauptfiguren. In der Umsetzung durch Ko-Autor Aladag aber bleibt Jan ein Fremder, ganz anders als zum Beispiel der Familienvater in Aladags Grimme-preisgekrönten Film "Wut", der sich gegen den Terror eines türkischstämmigen Jugendlichen wehrt; aber womöglich wollte der Regisseur auch vermeiden, dass "Brüder" als "IS"-Werbung missverstanden wird. Dass das Drama dennoch auch über 180 Minuten fesselt, liegt am quasidokumentarischen Charakter der Geschichte: Jan ist gewissermaßen der prototypische Repräsentant einer Vielzahl junger Westeuropäer, die sich in den letzten Jahren dem "IS" angeschlossen haben.
Die ARD zeigt beide Teile hintereinander. Um 23.45 Uhr folgt die Dokumentation "Sebastian wird Salafist" über einen jungen Deutschen, der Ähnliches erlebt hat wie die Hauptfigur des Fernsehfilms, wenn auch ohne Kriegserlebnisse.
23.11., ARD, 20.15 Uhr: "Der Tel-Aviv-Krimi: Masada"
Spätestens mit dem zweiten Film, "Shiv’a", hat sich der "Tel-Aviv-Krimi" als ARD-Reihe mit großem Potenzial erwiesen: weil Israel natürlich ein geschichtsträchtiger Schauplatz ist, weil es mannigfaltige Bezüge zu Deutschland gibt, weil die religiöse, kulturelle und ethnische Vielfalt des Landes ein unerschöpfliches Reservoir an Krimistoffen bereithält; und weil es vor den Toren der Stadt faszinierende Drehorte gibt. Mit "Masada" macht sich Matthias Tiefenbacher, der die ersten beiden Episoden inszeniert und diesmal auch das Drehbuch geschrieben hat, gleich mehrere dieser Aspekte zunutze. Schon allein der historische Hintergrund ist faszinierend: In der Festung Masada am Toten Meer, so berichtet es jedenfalls der jüdisch-römische Historiker Flavius Josephus, haben sich vierzig Jahre nach dem Tod Christi rund tausend Juden das Leben genommen, um nicht in die Hände der römischen Belagerer zu fallen und versklavt zu werden. Der Masada-Mythos gilt in Israel bis heute als Symbol des jüdischen Freiheitswillens; das Motto der Menschen in Masada, "lieber tot als Sklave", spielte eine entsprechend große Rolle im Zionismus, der Bewegung für einen eigenen israelischen Nationalstaat in Palästina .
Schon allein die Idee, einen Krimi vor diesem Hintergrund anzusiedeln, ist ausgesprochen reizvoll, zumal der Wahrheitsgehalt des knapp 2000 Jahre zurückliegenden Ereignisses angezweifelt wird. Die Handlung beginnt mit einer Explosion auf dem ehemaligen Festungsgelände, das heute zum Weltkulturerbe gehört. Bei der Sprengung ist Aaron, der Sohn des Masada-Entdeckers Avram Salzmann (Michael Degen), gestorben. Zunächst gehen die Behörden von einem terroristischen Anschlag auf die symbolträchtige Stätte aus, aber dann zeigt sich, dass das Opfer vorher niedergeschlagen worden ist. Sara Stein (Katharina Lorenz) und ihr Kollege Jakoov Blok (Samuel Finzi) finden raus, dass Aaron einen schwunghaften Handel mit antiken Fundstücken betrieben hat; auf diese Weise wird neben den Hehlern auch sein Assistent zum Verdächtigen. Aber vielleicht war der Mord auch eine Beziehungstat; im Gegensatz zu seinem Vater, der einst das Warschauer Ghetto überlebt hat und heute als Held Israels gefeiert hat, führte Aaron das Leben eines Playboys und hatte diverse Freundinnen, darunter auch eine tiefreligiöse Jüdin, die ein Kind von ihm erwartete.
Geschickt verknüpft Tiefenbacher die verschiedenen Ebenen miteinander. Einerseits erfüllt "Masada" die typischen Krimi-Erwartungen; es gibt sogar eine handfeste Schießerei mit der Hehlerbande. Andererseits lässt das Drehbuch immer wieder beiläufig jene Elemente einfließen, die den Reiz der Reihe ausmachen. Das gilt nicht zuletzt für die religiösen Aspekte; der Assistent zum Beispiel ist den einheimischen Polizisten schon deshalb hochgradig suspekt, weil er iranische Wurzeln hat. Gerade der von Samuel Finzi nur bedingt als Sympathieträger verkörperte Kollege Blok erweist sich immer wieder als Quell diverser Vorbehalte, die allerdings auch die Juden betreffen; Avrams zweiten Sohn Elia, ein orthodoxer Jude, bezeichnet er mehrfach abschätzig als "Betbruder". Auch Elia findet sich auf der Liste der Verdächtigen wieder: Zwischen ihm und Aaron herrschte eine herzliche Abneigung, die ihre Wurzeln in einem traumatischen Kindheitserlebnis hatte.
Die interessanteste Figur ist jedoch der alte Salzmann. Für Michael Degen war die Handlung sicherlich eine ganz besondere Herausforderung. Er hat in seinem Buch "Nicht alle waren Mörder" erzählt, wie er gemeinsam mit seiner Mutter während der letzten Kriegsjahre in Berlin von nichtjüdischen Mitmenschen versteckt worden ist. Anders als Avram ist er zwar nicht als Kind nach Israel ausgewandert, aber auch sein Vater ist von den Nationalsozialisten ermordet worden. Mit diesem Teil der eigenen Lebensgeschichte konfrontiert zu werden, war für den mittlerweile 85 Jahre alten Schauspieler bestimmt nicht einfach. Dass es der Produktion gelungen ist, eine Drehgenehmigung in Masada zu bekommen, dürfte die Dreharbeiten nicht nur für Degen zu einem unvergessenen Erlebnis gemacht haben; Kameramann Holly Fink hat für angemessen große Bilder gesorgt.
Der Schlüsselsatz des Films fällt gegen Ende: "Mit seiner Identität darf man nicht spielen", sagt der alte Salzmann. Das ist zwar nicht auf Sara Stein gemünzt, passt aber perfekt, denn die wohl größte Überraschung der Geschichte hat nur am Rande mit dem Fall zu tun: Die erste Begegnung mit der aus Berlin stammenden Polizistin ist für den Archäologen wie ein Wiedersehen, denn Sara hat große Ähnlichkeit mit ihrer vor rund dreißig Jahren verstorbenen Tante Miriam, einer Journalistin, die einst ein Interview mit Avram geführt hat. Während die privaten Ebenen in anderen Donnerstagskrimis oft wichtiger und interessanter sind als die eigentlichen Fälle, handelt Tiefenbacher diesen Teil beinahe beiläufig ab; bis Sara verblüfft und schockiert auf ein Familiengeheimnis stößt, das ihr Leben von Grund auf ändert.
24.11., ARD, 20.15 Uhr: "Hausbau mit Hindernissen"
Man kann es mit der Benennung immer neuer Subgenres zwar auch übertreiben, aber die Komödienspielart "Hausbau mit Hindernissen" hat es mittlerweile in der Tat zu einer eigenen Kategorie gebracht. Meistens tragen die Filme Titel, die im Grunde schon die ganze Geschichte erzählen, wie beispielsweise "Handwerker und andere Katastrophen" (ZDF 2016), eine Komödie mit Tanja Wedhorn und Oliver Mommsen als Paar, das an der Renovierung eines maroden Hauses verzweifelt; oder "Schlimmer geht immer" (Sat.1 2016) mit Sebastian Bezzel als Besitzer eines Hauses, das sich dagegen wehrt, renoviert zu werden. Prototyp für diese Filme ist eine Hollywood-Komödie mit Tom Hanks, "Geschenkt ist noch zu teuer" (1986); die Steven-Spielberg-Produktion handelt von einem Paar, dessen Traumhaus sich in einen Albtraum verwandelt. Das Handlungsmuster ist stets das gleiche; die Drehbücher reihen gemäß der Redensart "Ein Unglück kommt selten allein" ein Desaster ans nächste.
Das gilt auch für diese ARD-Komödie. Hauptfiguren sind allerdings nicht wie üblich Lehrer, Ärzte oder Anwälte, sondern Krankenschwester Karla und Fliesenleger Martin Seewald (Katharina Schüttler, Hans Löw). Eigentlich können sich die beiden kein Eigenheim leisten, erst recht keins, dass nur halbfertig ist, aber weil sie partout keine neue Wohnung finden und ihnen das zwangsversteigerte Haus wie ein Geschenk des Himmels vorkommt, schlagen sie zu. Die Kaufsumme frisst zwar sowohl das Eigenkapital wie auch den Kredit auf, aber Martin ist schließlich Handwerker. Wie immer in diesen Filmen offenbaren sich die wirklichen Mängel erst, als das Paar längst mit seinen beiden Kindern eingezogen ist.
Das Drehbuch (Sarah Esser) hält sich weitgehend an die Gepflogenheiten des Genres: Wenn es bedrohlich aus den Rohren grummelt, pflegt kurz drauf ein Fäkalienregen niederzugehen (was Olli Schulz und David Bredin Gastauftritte als Rohrspezialisten beschert). Im Unterschied gerade zu "Schlimmer geht immer" erzählt die ARD-Komödie ihre Geschichte jedoch nicht als klamaukige Slapstick-Nummernrevue, weshalb sich die Katastrophen in einem realistischen Rahmen bewegen. Deshalb ist auch die Inszenierung nie übertrieben. Regisseur Till Franzen hat sich offenkundig vor allem auf die Arbeit mit seinen Schauspielern und eine sorgfältige Bildgestaltung (Timo Moritz) konzentriert. Das sonst oft obligate Beziehungsdrama bleibt ebenfalls aus, weil sich die Liebe von Karla und Martin als unerschütterlich erweist. Wichtiger als die kleinen und großen Renovierungsrückschläge wird daher mehr und mehr das Verhältnis zu den Nachbarn. Das Haus der Seewalds bildet mit zwei anderen eine Minisiedlung. Die Gebäude stehen eng beieinander, was es schwierig macht, sich aus dem Weg zu gehen. Der alte Rufus (Peter Franke), Vorbesitzer des Grundstücks, verhält sich regelrecht feindselig und scheint sich einen Spaß daraus zu machen, seine Ziegen über das Baumaterial der Seewalds klettern zu lassen. Auf der anderen Seite wohnt Lisbeth (Angela Winkler), die ihr Haus nie zu verlassen scheint, weshalb die kleine Tochter Finja sie "die Eiskönigin" nennt. Tatsächlich sind die beiden Alten nicht nur harmlos, sondern auch äußerst liebenswürdig, wie die beiden Kinder rausfinden, als sich Finja mit Lisbeth und ihr Bruder Mats mit Rufus anfreunden. Selbst wenn Karla nach und nach Rufus’ tragische Geschichte erfährt: Es vergeht noch eine ganze Weile, bis auch die Eltern feststellen, dass sie die besten Nachbarn haben, die man sich nur wünschen kann.
Auch in den anderen Filmen sind Hausbau und Renovierung meist letztlich nur Mittel zum Zweck, um etwas über die Figuren zu erzählen. Daher konfrontieren Buch und Regie die Familie Seewald mit einer Vielzahl alltäglicher Herausforderungen: Sohn Mats hat Ärger in der Schulde, Mutter Karla bekommt Krach mit ihrer unsympathischen Chefin, weil die Doppelbelastung sie überfordert, und als berufstätige Eltern müssen die beiden irgendwie Arbeit und Familie unter einen Hut bekommen. Schließlich scheint der Traum vom Eigenheim endgültig zu platzen, als Martin vom Dach stürzt, weil ein Ast bei einem nächtlichen Unwetter ein Loch verursacht hat. Da auch "Hausbau mit Hindernissen" also vor allem ein Film über Menschen ist, war die Besetzung umso wichtiger. Katharina Schüttler und Hans Löw sind als Paar in jeder Beziehung glaubwürdig, aber die schöneren Rollen haben Peter Franke und Angela Winkler, zumal gerade Lisbeth ein verblüffendes Geheimnis hütet.