Mehr als nur ranklotzen

Blick auf Ausstellungsplakat mit Zahnrädern.
Foto: epd-bild/Christina Oezlem Geisler
Blick in die Ausstellung "Berufungsfabrik".
Mehr als nur ranklotzen
Über den Zusammenhang von Beruf und Berufung
Die Protestanten feiern Martin Luther in diesem Jahr als Reformator der Kirche. Dass er auch die Arbeitswelt revolutioniert hat, wissen die wenigsten. Eine Ausstellung in Wittenberg greift seine Fragen auf, die auch nach 500 Jahren noch aktuell sind.
28.08.2017
epd
Christina Özlem Geisler

Wittenbergs historische Vorzeigefigur Martin Luther hat den Begriff schon zu Beginn der 1500er Jahre verwendet. Zwar nicht als erster, aber durchaus pointiert. Seiner Überzeugung nach folgten nicht nur Priester und Obrigkeiten bei der Berufswahl ihrer Berufung, sondern alle Menschen. Der Mönch und Reformator ging sogar so weit, Erwerbsarbeit als eine Form von Gottesdienst zu bezeichnen. "Dadurch hat er auch einfachen Arbeiten Würde verliehen", sagt Gerhard Wegner: "Minderwertige Tätigkeiten gibt es aus dieser Sicht nicht. Für das Funktionieren unserer Gesellschaft ist jede einzelne wichtig."

Wegners Credo ist, dass der Mensch zu viele Stunden seines Lebens mit Arbeit verbringt, um diese nicht mit Sinn zu füllen. Er ist Direktor des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und stolz auf das Ausstellungskonzept der "Berufungsfabrik". Noch bis zum 10. September geht es hier auf der Wittenberger Weltausstellung zum 500. Reformationsjubiläum darum, sich selbst als Teil der Arbeitswelt zu begreifen, über gute Arbeit nachzudenken und nicht zuletzt zu erfahren, was Luther für das Ansehen von Berufen in der Gesellschaft getan hat. Neben dem Berufungsereignis durch Gott werden Themen angesprochen wie die Identifikation mit dem Arbeitsplatz, Mitbestimmungsrechte oder vertrackte Situationen aus dem Arbeitsalltag.

Gerhard Wegner

"Ethische Konflikte kennt jeder", sagt Wegner. Sei es der Zwang, etwas verkaufen zu müssen, das ein anderer gar nicht braucht, oder eine Gewissensentscheidung, die zum Nachteil des Unternehmens ausfällt. Die Ausstellung kennt keine Tabus, wenn es um Missstände oder das Erlangen der persönlichen Zufriedenheit geht. Denn für jeden sei es heute wichtig, nicht nur ranzuklotzen, um zu überleben, sagt Wegner.

Die großen Jahrzehnte des Fließbands seien vorbei. Menschen werde mehr Selbstständigkeit zugetraut, aber sie tragen auch eine größere Verantwortung. "Das erzeugt mehr Druck durch mehr Freiheit", stellt Wegner fest, "und lässt Menschen viel mehr darüber nachdenken, was sie arbeiten."

In einem Hinterhof der Wittenberger Altstadt liegt der 200 Quadratmeter große Pavillon der "Berufungsfabrik" mit den sechs interaktiven Stationen. Entstanden ist das Projekt in Kooperation des Sozialwissenschaftlichen Instituts mit dem Wittenberg-Zentrum für Globale Ethik, dem Evangelischen Verband Kirche-Wirtschaft-Arbeitswelt (KWA), der Hans-Böckler-Stiftung und der Stiftung Sozialer Protestantismus.

Am Ende des Rundgangs durch die Ausstellung sind viele Besucher überrascht. Zwei Freundinnen sprechen vom Gefühl, sich neu kennengelernt zu haben, nachdem sie sich in den vergangenen 40 Jahren noch nie über ihre Anforderungen an gute Arbeit unterhalten haben. Bei einem älteren Herren werden Erinnerungen wach und er erzählt von den Einschränkungen in der DDR, wenn der Wunschberuf nicht gebraucht oder gebilligt wurde. Ein anderer wird nachdenklich, ob er wirklich den richtigen Beruf für sich gefunden hat.

Die Berufungsfabrik geht weiter

"Solche Gespräche machen deutlich, wie viel Power in dieser Schau steckt!", sagt Wegner. Umso größer ist seine Freude darüber, dass das Ende der Weltausstellung Reformation am 10. September noch lange kein Ende für die Berufungsfabrik bedeutet. In Wittenberg habe sich das Konzept bewährt, sagt er. Von dort aus ziehe es in die Dortmunder Deutsche Arbeitsschutzausstellung (DASA). Und danach, in Zusammenarbeit mit der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), noch in weitere deutsche Städte.