Riga, ein freundlicher Sommerabend. Es ist kurz nach halb zehn Ortszeit. Auf der Showbühne der riesigen Arena in der lettischen Hauptstadt gibt der Jazzchor Freiburg sein Bestes. Sechs Minuten hat die semiprofessionelle Formation aus dem Breisgau Zeit, einer Jury, mehreren Tausend Zuschauern in der Halle und Millionen TV-Zuschauern in Europa zu beweisen, dass sie Qualität, Profil und Haltung in sich vereinigen. African Call aus dem Repertoire, dann Palettes, ein neues Stück aus dem Genre der Weltmusik, verlangen den 29 Sängerinnen und Sängern ein Höchstmaß an Genauigkeit ab. Die Intonation, Bewegung, Rhythmus, Choreographie müssen perfekt sein.Steffen Bodemer geht völlig im Flow des Ensembles auf. Der Tenor, den Blick in höchster Konzentration auf Chorleiter Bertrand Gröger gerichtet, bewegt sich im kollektiven Rhythmus, der durch ein notendefiniertes Händeklatschen akzentuiert wird. Mitten in der Performance wechselt Bodemer die Rolle, tritt nach vorn und wird, jetzt mit Mikrophon in der Hand, Teil einer dreiköpfigen Solistengruppe.
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Er sei wie die anderen "noch ganz außer Atem, aber glücklich", lässt er einige Minuten nach dem Auftritt per SMS wissen. Der ohrenbetäubende Jubel des Publikums ist gerade verklungen, da breitet sich aber schon die Gewissheit aus, Deutschland bei der Premiere der TV-Show Eurovision Choir of the Year (ECY) mit Chören aus weiteren acht europäischen Ländern großartig vertreten zu haben. Die jüngste Ergänzung des Eurovision Song Contests (ESC) ist einem Zusammenspiel der European Broadcasting Union (EBU) mit der deutschen Institution Interkultur, Veranstalter der World Choir Games (WCG), und der Stadt Riga zu verdanken. Bodemers tief empfundene Zufriedenheit ist in diesen Momenten der Ruhe nach dem Auftritt völlig ungetrübt - auch wenn nicht der Jazzchor, sondern der Frauenchor Carmen Manet aus Slowenien die Palme "Europas Chor des Jahres 2017" erringt. Jedes der neun Ensembles, sagt die lettische Mezzosopranistin El?na Garan?a als Sprecherin der Jury, sei ein Sieger. "Aber wir haben nur eine Trophäe." Bodemer, der eine Woche nach dem Rigaer Erlebnis seinen 39. Geburtstag feiern wird, resümiert: "Es war eine tolle Erfahrung, dabei zu sein." Die olympische Idee, den Austausch mit anderen unterschiedlicher regionaler und kultureller Herkunft über das Ranking zu stellen – hier ist sie lebendig.
Freiburg, an einem Sonntagmorgen im Juli. Gottesdienst in einem Multiplexkino nahe dem Hauptbahnhof. Die Gemeinde trifft sich im großen Saal, um gemeinsam Gebete zu singen. Auf der Leinwand erscheinen moderne Liedtexte. Dann und wann werden Videoclips zum Thema des Sonntags eingespielt, das vom Pastor der Gemeinde in einer Predigt vertieft wird. Gottesdienst als großes Kino sozusagen. Bodemer, Gitarrist, ferner Leiter einer Band ehrenamtlicher Musiker, erklärt, die Liturgie verschaffe einen "Zugang zu Gott". Heute agiert er in unterschiedlichen Funktionen: Er gibt etwa der Gemeinde die Einsätze zum gemeinschaftlichen Singen und tritt mit einem zweiten Sänger als Interpret von ausgewählten Popsongs auf. Die stammen beispielsweise von Andreas Bourani oder dem Rapper Sido. Nicht zuletzt laufen bei ihm die Stränge der Band zusammen, Akustik- und Bassgitarre, Schlagzeug, Keyboard. Die geistliche Botschaft wird mit Begeisterung verkündet. Großes liturgisches Kino eben.
Das Ganze wird von einer Freikirche getragen, die nach dem aus Zürich stammenden Konzept des International Christian Fellowship (ICF) benannt ist. Bodemer ist freiberuflich als Musikalischer Leiter des Freiburger ICF-Ablegers tätig. Den Ansatz erläutert er so: "Inhaltlich ist da nicht viel neu erfunden. Da ist ICF vergleichbar mit anderen evangelikalen Freikirchen wie Freie Evangelische Gemeinden, Baptisten oder Pfingstgemeinden." Anders sei allerdings der liturgische Stil. Schon immer, erzählt er, sei es sein Traum gewesen, "auch Musik in Kirchen zu machen". Daher reize ihn, den Absolventen eines erst mit 30 Jahren begonnenen Musikstudiums, die Option besonders, die das ICF-Konzept für Kirchenmusiker biete. Dieses lasse sich auf den Begriff einer "neu erfundenen Verpackung" bringen, die mit viel Multimedia und moderner Popmusik arbeite. Gerade in Freikirchen werde Musik im Gottesdienst oft mit viel Herzblut gemacht, es werde ihr ein relativ großer Stellenwert zugemessen. Hintergedanke sei, "die guten Inhalte der Kirchen auf zeitgemäße Art und Weise zu transportieren". So könne sich selbst ein Mensch ohne kirchliche Sozialisation angesprochen fühlen.
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Gefragt nach seiner Mission, verwendet Bodemer das Bild von einer "Leinwand, um mit Gott in Kontakt zu treten". Es beselige ihn, Menschen Worte und Gebete zu bieten, "die sie vielleicht selbst nicht gefunden hätten, einen Zugang zum Himmel". Es treibe ihn an, Momenten einen Raum zu geben, "in denen sich Diesseits und Jenseits berühren". Wenn Menschen ihm die Rückmeldung gäben, "dass sie eben das in unserer Musik erleben, dann ergibt mein Leben Sinn".
In Riga ist die nordische Helligkeit längst einem stahlblauen Abendhimmel gewichen. In einem Zelt hinter der Arena feiert der Jazzchor Freiburg gemeinsam mit dem Hard-Chor aus Österreich bis in die Nacht. Ob Lettland oder Breisgau, Sänger im Chor oder Bandleader im Gottesdienst der Impressionen – Bodemers Welten fließen ineinander, schaffen Synergien, von denen beide Seiten profitieren. Sowohl das Unterrichten als auch Konzerte mit dem Jazzchor, lautet seine Quintessenz, "bereichern meine Arbeit in der Kirche". Umgekehrt sei es ebenso: "Zwischen spiritueller Musik und säkularer zu trennen, ergibt für mich nicht viel Sinn. Es ist alles ein Leben, das wir leben." In diesem einen von Gott geschenkten Leben komme Musik vor, zu Gott gerichtet oder zu Menschen. Das sei nicht immer klar abgegrenzt.
Das Freiburger Multitalent firmiert im Web übrigens unter "Goldgrund. Musik und Unterricht". Dieser Goldgrund hat zweifellos eine religiöse Grundierung. "Gott", lautet Bodemers Credo, "hat mir ein Talent gegeben, dass ich für ihn einsetze und für andere."