Nach Berichten über Gräueltaten der vorrückenden syrischen Armee wächst international die Sorge um die Menschen im Osten der umkämpften Stadt Aleppo. Mehr als 100.000 Menschen sollten dort am Dienstag noch in den Rebellengebieten eingeschlossen sein. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte in Berlin, die Lage sei desaströs: "Sie bricht einem das Herz", betonte sie bei einem Treffen mit dem französische Präsidenten François Hollande. Berlin und Paris würden vor allem beim syrischen Regime, bei Russland und beim Iran nichts unversucht lassen, damit den Menschen geholfen werden kann, sagte Merkel.
"Sie können nirgendwohin fliehen"
Am Dienstagabend gab es Hinweise auf eine Feuerpause, um Rebellen und Zivilisten den Abzug aus Aleppo zu ermöglichen. Die Angaben konnten jedoch nicht bestätigt werden. Der UN-Sicherheitsrat in New York trat zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen. Aleppo schien vor dem Fall zu stehen. Die Rebellen verloren zusehends an Terrain in ihrer einstigen Hochburg Ost-Aleppo. Zehntausende Menschen sind bereits aus der Stadt geflohen.
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon beauftragte den UN-Sondergesandten für Syrien, Staffan de Mistura, die Konfliktparteien zu kontaktieren und auf eine strikte Einhaltung des humanitären Völkerrechts zu pochen. Russland und der Iran unterstützen das Assad-Regime im Kampf gegen Rebellen und islamistische Terrormilizen. Frankreichs Präsident Hollande warf Russland vor, den Sicherheitsrat mit seinem Veto zu blockieren. "In Aleppo gibt es 120.000 Geiseln", betonte Hollande. Sie würden bombardiert, Repressionen unterworfen und riskierten ihr Leben bei dem Versuch, die Stadt zu verlassen.
Die Vereinten Nationen, das Rote Kreuz und Unicef beklagten grausame Gefechte und Massaker an Zivilisten in Ost-Aleppo. Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte in Genf teilte mit, Truppen des Assad-Regimes hätten laut Berichten mindestens 82 Zivilisten umgebracht, darunter Frauen und Kinder. Die Einheiten durchkämmten Wohnhäuser in den eroberten Gebieten und töteten die Menschen, die sie fänden, erklärte der Sprecher des Hochkommissariats, Rupert Colville. Gefangenen drohe Folter. Allerdings könnten die Berichte nicht unabhängig überprüft werden.
Das Kinderhilfswerk Unicef berichtete von mehr als 100 Mädchen und Jungen, die in einem Gebäude in Ost-Aleppo festsäßen, das unter schwerem Beschuss stehe. Die Kinder seien von ihren Familien getrennt. Unicef berief sich auf einen Arzt in dem Gebiet. Die Rebellen kontrollierten nach UN-Angaben am Dienstag wahrscheinlich noch einen Quadratkilometer in Ost-Aleppo. Tausende Zivilisten harrten in dem umkämpften Gebiet aus. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz betonte mit Blick auf die Männer, Frauen und Kinder: "Sie können nirgendwohin fliehen." Die Menschen seien den Kämpfen schutzlos ausgeliefert.
Rund 400.000 Menschen kamen ums Leben
Die syrische Hilfsorganisation Weißhelme hatte zuvor einen dramatischen Hilfe-Appell versandt: 100.000 Menschen seien in Ost-Aleppo auf winzigem Gebiet eingeschlossen. Bombenangriffe und Granatenfeuer dauerten an, mit unvorstellbaren Opfern. "Die Toten liegen, wohin sie gefallen sind", heißt es in dem Appell.
Die oppositionsnahe Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit Sitz in London berichtete, dass bei den jüngsten schweren Kämpfen Dutzende Menschen ums Leben gekommen seien. Seit Beginn der Großoffensive des Assad-Regimes gegen Ost-Aleppo Mitte November seien mehr als 1.130 Menschen gestorben, darunter Hunderte Zivilisten.
In Syriens Bürgerkrieg kämpfen das Regime, Rebellengruppen und Terrormilizen um die Macht. Rund 400.000 Menschen kamen seit Beginn der Kämpfe 2011 ums Leben. Millionen Männer, Frauen und Kinder sind auf der Flucht.