Stille Quäker-Andacht: "Hören, was Gott uns sagen will"

Quäker Freikirche in Berlin
Foto: Anne Kampf/evangelisch.de
Quäker suchen Gott in der Stille. Kein Wort wird gesprochen, kein Eingangsgruß, kein Gebet, kein Bibeltext.
Stille Quäker-Andacht: "Hören, was Gott uns sagen will"
Die Religiöse Gesellschaft der Freunde, auch Quäker genannt, ist eine kleine Gruppe: Es gibt rund 260 Freundinnen und Freunde in Deutschland. Für unsere Serie "Was glaubt ihr? evangelisch.de besucht Freikirchen" hat Anne Kampf an einer Stillen Andacht in Berlin teilgenommen.

Der Andachtsraum der Quäker liegt in einem Altbau mit großen Holztüren und hohen Wänden an der Planckstraße in Berlin-Mitte. Der Raum ist schlicht eingerichtet: Parkettfußboden, zwei alte braune Holzschränke, gepolsterte rote Stühle. In der Mitte ein kleiner Tisch mit Kerze, Blumen und einem Buch. Nach und nach betreten 13 Menschen den Raum und nehmen Platz. Es ist elf Uhr am Sonntagvormittag. Kein Wort wird gesprochen, kein Eingangsgruß, kein Gebet, kein Bibeltext – nur Stille.

So sitzen sie da, eine Stunde lang, die Hände im Schoß, die Augen geschlossen, nur dann und wann schaut jemand in die Kerzenflamme oder an die weiße Wand gegenüber. Ein Magen grummelt, jemand atmet laut aus. Ein Mann lässt seinen Kopf gefährlich nach links sinken, droht beim Einschlummern auf seinen Nebenmann zu fallen. Doch der merkt gar nichts, sitzt da und schweigt – wie alle anderen. Manche sind ganz entspannt, andere scheinen zu lauschen, ob sich innen ein Stimme meldet.

Als erste durchbricht Gesa Jessen die Stille, die 26-Jährige hatte zu Beginn noch im Quäker-Buch "Glaube und Wirken" gelesen, das jetzt auf dem Tisch in der Mitte liegt. "Seid Muster, seid Beispiele", habe der Gründer der Religiösen Gesellschaft der Freunde, George Fox (1624-91), gesagt. Für Gesa Jessen bedeutet das, "sich einzureihen" in eine lange Reihe von Freunden, "Erkenntnisse sind kein Besitz, sondern ein Geschenk, das ich verpflichtet bin weiterzuschenken". Die Sätze, die sie sagt, sind sehr klar formuliert und ihr Inhalt gibt zu Denken. Wieder Stille.

Dann ergreift Gisela Faust das Wort, eine 92-jährige Dame, deren Eltern schon zur religiösen Gesellschaft der Freunde in Berlin gehörten und die den Zweiten Weltkrieg als Jugendliche erlebte. "Im Quäker-Friedenszeugnis heißt es: Wir kämpfen nicht mit äußeren Waffen", zitiert Gisela Faust sinngemäß aus einer Erklärung von George Fox aus dem Jahre 1661. "Würden uns doch die Waffen, die wir selber herstellen, endlich aus der Hand genommen! Ob wir Menschen das noch einmal erreichen?" Ihr Wunsch und ihre Frage klingen hoffnungslos, vorgestern waren die Anschläge in Paris. Schweigen.

In der Mitte des Andachtsraumes steht ein kleiner Tisch mit Kerze, Blumen und dem Quäker-Buch "Glaube und Wirken".

Ulrich Vollmer ergreift als letzter das Wort mit einem völlig anderen Gedanken: "Ich sehe vor mir das Bild von einem Flickenteppich", sagt er. Die einzelnen Stoffstücke stellen Menschen dar, die Nähte zwischen ihnen sind mal fest, mal locker, hier und da auch ganz aufgelöst. "Wir glauben, dass die Verbindungen halten, dass wir einander halten können", sagt Ulrich Vollmer. Ein optimistisches Bild von Gemeinschaft, das die anderen dankbar in ihre Gedanken aufnehmen.

Um 12 Uhr richtet Gesa Jessen sich auf ihrem Stuhl auf. Es ist heute an ihr, die Stille Andacht zu beenden, doch sie zögert. Dann lächelt sie, schaut nach rechts und links, ergreift die Hände der Freundinnen und Freunde im Stuhlkreis. Einen Moment lang – immer noch still – verharrt die Runde so verbunden. Erst jetzt begrüßt Gesa Jessen die Anwesenden. Gäste stellen sich vor: Leona, eine nachdenkliche junge Frau aus Kanada, ist zu Besuch in Berlin. Sie sagt, dass sie sich über die Worte ihres neuen Premierministers freut, der von Frieden und Versöhnung spricht – auch in Bezug auf Paris. Leonie Glahn, eine blondgelockte Frau mit Strickpulli und rosa Schuhen, richtet Grüße aus Bad Pyrmont aus: Dort sind die Quäker seit mehr als 200 Jahren zuhause, im einzigen eigenen Versammlungshaus auf deutschem Boden. Gesa Jessen gibt ihr Grüße aus Berlin mit zurück auf den Weg.

"Frieden" bedeutet nicht für alle dasselbe

Leonie Glahn ist über die Friedensbewegung zu den Quäkern gekommen, "weil mir gerade dieser gewaltfreie Ansatz, Konflikte zu lösen, wichtig ist", sagt sie. Aus der evangelischen Kirche ist sie ausgetreten, weil sie fand, dass die Bergpredigt mit ihren Aussagen, "wie wir christlich oder menschlich mit Konflikten und Krisen umgehen können", nicht ernsthaft genug umsetzt wird. Doch auch andere friedensethische Positionen haben bei den Quäkern Platz: Arne Kollwitz zum Beispiel, 85 Jahre alt, ist nie Mitglied geworden, "weil ich in einem wesentlichen Punkt nicht die Meinung der Quäker teile", sagt er. Zwar halte er das Vermeiden von Aggressionen im persönlichen Leben für wichtig. "Aber als jemand, der den Zweiten Weltkrieg noch erlebt hat, habe ich immer die Meinung vertreten, dass es für ganz Europa und auch für Deutschland besser gewesen wäre, wenn die Westmächte schon im Jahre '35 oder '36 gegen Hitler vorgegangen wären und hier diesem Spuk ein Ende gesetzt hätten." Es gebe Situationen, in denen man um eine kämpferische Position nicht herumkomme, sagt der Protestant Arne Kollwitz. Er bleibt ein "Freund der Freunde" und gehört als solcher genauso dazu wie die Mitglieder.

In der Andacht hat der ältere Herr die ganze Zeit aufrecht und mit geschlossenen Augen auf seinem Stuhl gesessen, ohne sich anzulehnen. Gegen Ende hielt er die Hände geöffnet wie um Segen zu empfangen. Andacht ist für Arne Kollwitz "das Freimachen des Geistes von den täglichen Sorgen". Er spüre eine "besondere Atmosphäre im Raum, wenn sich da zehn oder zwanzig Menschen konzentrieren". Da liegt er mit Leonie Glahn wieder auf einer Linie. Auch sie versucht, sich "im Zentrum frei zu machen von den Gedanken", Denn die Idee sei ja, "auf das zu hören, was Gott uns vermitteln will oder sagen will". Klar könne sie das auch allein zu Hause tun. "Aber ich merke immer besonders nach einer gemeinschaftlichen Andacht, dass ich mit einem inneren Gleichgewicht, innerer Ruhe, Gelassenheit in die Welt hinaus gehe", sagt Leonie Glahn. 

Gott in der Stille suchen. Darum geht es auch für Gesa Jessen, die sich vor drei oder vier Jahren bewusst den Quäkern zugewandt hat. Zwar schätzt sie auch schöne Gottesdienste mit Gesang, Liturgie und Predigt "Aber diese Stille, die Offenheit, das Lauschen und Warten darauf, dass in einem selber etwas von Gott spricht, das empfinde ich schon als einen sehr intensiven Kontakt zu Gott und auch zu den anderen, mit denen man gemeinsam wartet." Manchmal passiert nichts. "Es ist jedes Mal ein neues Versuchen", sagt Gesa Jessen. Und wie war es an diesem Sonntag? Es sei ein "gathered meeting" gewesen, sagt die junge Frau und versucht, den Quäker-Ausdruck zu übersetzen: ein "Gefühl, als würde man innerlich ein wenig zusammenrücken" – erstaunlich, weil ja einige Gäste in der Runde saßen. "Als es an mir war, die Andacht zu beenden, habe ich erst noch gezögert", gesteht sie. "Es wirkte gerade so tief und es war so eine Stille und Präsenz da, dass ich dachte, eigentlich müsste das jetzt noch ein bisschen länger ausklingen." Sie überlegt kurz und schaut zu den Freunden herüber, die Kaffee trinken. "Ich fand, es war gut", sagt Gesa Jessen.